Baltasar Garzón ist Spaniens bekanntester Richter, weltweit angesehen und umstritten. Er brachte Diktatoren zur Strecke, kämpfte für die Aufarbeitung der Verbrechen unter Franco und wurde gar für den Friedensnobelpreis nominiert. Seit 2010 lebt er als Exilant in Den Haag. Am Dienstag beginnt sein eigener Prozess wegen Rechtsbeugung.
Juristen gelten gemeinhin als eher dröge Gestalten. Gelangt, was selten ist, doch einmal einer zu internationaler Bekanntheit, so handelt es sich fast immer um einen Anwalt. Die Ausnahme von dieser Regel kommt aus Spanien und hört auf den Namen Baltasar Garzón.
Genaugenommen ist er aber nur eine halbe Ausnahme. Denn Garzón hat zwar beinahe sein gesamtes berufliches Leben als Ermittlungsrichter gearbeitet. Wirft man jedoch einen Blick auf seine Vita, so glaubt man eher, die Stationen eines Staatsanwalts vor sich zu sehen. Eines außerordentlich erfolgreichen Staatsanwalts, wohlgemerkt.
Diese Diskrepanz ist Folge des spanischen Rechtssystems, welches dem Untersuchungsrichter umfassende Befugnisse bei der eigenen Erforschung des Sachverhaltes einräumt. Befugnisse, von denen Garzón weidlich Gebrauch machte. So kam es, dass er 1988, sieben Jahre nach Amtsantritt, an die Audiencia Nacional, den höchsten spanischen Strafgerichtshof, berufen wurde.
In der folgenden Zeit machte er sich mit einer Reihe öffentlichkeitswirksamer Verfahren einen Namen. 1995 konnte unter anderem durch seine Untersuchungen nachgewiesen werden, dass der ehemalige Innenminister der PSOE-Regierung, José Barrionuevo Peña, über die Aktivitäten einer Todesschwadron namens GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación), die mehrere Dutzend ETA-nahe Personen ermordet hatte, informiert war. Der folgende Skandal trug zur Wahlniederlage der PSOE bei und brachte Garzón neben viel Anerkennung auch die ersten Feinde ein.
Hardliner für die gute Sache
Davon unbeeindruckt, ermittelte der Richter nun in die andere Richtung weiter. Im Kampf gegen die baskisch-nationalistische ETA (Euskadi Ta Askatasuna) ließ er 1998 eine Sprachschulvereinigung durchsuchen sowie eine baskische Zeitung und einen Radiosender schließen, denen Verbindungen zu der Untergrundorganisation nachgesagt wurden. Auch diese Maßnahmen blieben, wie man sich denken kann, nicht ohne Kritik – umso weniger, als die von dem Verbot betroffene Zeitung "Egin" elf Jahre später vor dem Obersten Spanischen Gerichtshof eine Aufhebung des sie betreffenden Urteils erwirken konnte. Seit jener Zeit, und erst recht seit seiner Beteiligung am Verbot der ETA-nahen Partei Batasuna im Jahr 2002/03, ist Garzón auf Schritt und Tritt von Leibwächtern umgeben – einer der Preise, den er für sein Engagement zahlen musste.
Beruflich hingegen zahlte sich dieses Engagement voll aus. So landete er einen seiner größten Erfolge 1998, parallel zu den ETA-Ermittlungen, als der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet in London auf Grund eines von Garzón erlassenen Haftbefehls festgenommen wurde. Bedenkt man, dass Pinochets Regentschaft längst vorbei war und er aus gesundheitlichen Gründen nach 18 Monaten des Hausarrests wieder auf freien Fuß kam, so hat der Haftbefehl in der Sache nicht viel bewirkt. Dennoch bedeutete er für Garzón den Durchbruch auf der internationalen Bühne, denn mit der Anwendung des Weltrechtsprinzips, nach dem das nationale Strafrecht eines Landes für besonders schwerwiegende Taten auch ohne Inlandsbezug Geltung beanspruchen kann, war ein bedeutsames völkerrechtliches Präjudiz geschaffen. "Er ist eine Mischung aus Mut, Ehrgeiz und Eitelkeit", urteilte damals ein Parteimann der Vereinten Linken über Garzón und fasste damit die drei Eigenschaften, welche dem Sohn andalusischer Bauern zu weltweiter Bekanntheit verholfen hatten, treffend zusammen.
Gerechtigkeit global – Weltrecht gegen Kriegsverbrecher
Mit der Festnahme Pinochets hatte Garzón Blut geleckt und engagierte sich in den nächsten Jahren vornehmlich in völkerrechtlichen Verfahren. 2005 wurde auf sein Betreiben der argentinische Marinekapitän Adolfo Scilingo zu 640 Jahren Haft verurteilt, das Strafmaß später sogar auf 1.084 Jahre erhöht. 2003 leitete Garzón Prozesse gegen Bin Laden sowie 34 weitere potentielle Al-Quaida-Mitglieder ein, von denen später 18 für schuldig befunden wurden.
Auch in diesem Fall beließ Garzón es nicht bei einem einseitigen Vorgehen: 2009 klagte er sechs hochrangige Mitglieder der US-Regierung unter George W. Bush wegen Ermöglichung der Folter im Gefangenenlager Guantanamo Bay an – freilich ohne großen Erfolg. Wie im Zuge der WikiLeaks-Affäre nachträglich offenbar wurde, waren für das zähe Vorankommen nationale Gegner Garzóns mitverantwortlich. So etwa der spanische Oberstaatsanwalt Javier Zaragoza, der den US-Diplomaten in ihrem Bestreben, einen Prozess zu verhindern, nur allzu willfährig zuarbeitete.
Doch Garzón kann es nicht lassen. Trotz einer wachsenden Zahl von einflussreichen Feinden lehnte er sich 2008 erneut weit aus dem Fenster, indem er post mortem ein Verfahren gegen General Francisco Franco und zahlreiche Mitglieder seines Regimes einleitete. Im Zuge dessen beabsichtigte er, 19 Massengräber in verschiedenen spanischen Provinzen öffnen zu lassen, um Genaueres über die Todesursachen der dort Begrabenen zu erfahren. Diese Entscheidung war ein krasser Bruch mit der Konvention eines Landes, das bis dahin entschlossen schien, die Vergangenheit zu bewältigen, indem es sie totschwieg. Es war auch die Entscheidung, die Garzón seinen Job kosten sollte.
Wer zu tief in der Vergangenheit wühlt, schaufelt sein eigenes Grab
Mehrere rechtsextreme Organisationen erhoben eine Klage gegen den spanischen Richter, welche – entgegen der Empfehlung der Staatsanwaltschaft – vom Obersten spanischen Gerichtshof zugelassen wurde. Der Vorwurf: Garzón habe Rechtsbeugung begangen, indem er sich bewusst über das Amnestiegesetz von 1977 hinweggesetzt hätte. Die Verteidigung: Ein Gesetz, das die Verfolgung von über 150.000 Morden unter einem Diktator verbiete, sei unwirksam. Der Ausgang: ungewiss.
Fest steht hingegen, dass Garzón im Mai 2010 vorläufig vom Richterdienst suspendiert wurde. Bis zum Ende des Verfahrens wird er keinesfalls zurückkehren können, und die Mühlen der Justiz mahlen langsam – auch in Spanien. Doch damit nicht genug: Parallel zu dem erwähnten laufen noch zwei weitere Verfahren gegen Garzón.
Im einen wird ihm – mit eher wenig Aussicht auf Erfolg – vorgeworfen, bei seiner Einstellung des Unterschlagungsverfahrens gegen die Bank Santander befangen gewesen zu sein, da das Finanzinstitut zuvor einen Aufenthalt Garzóns in New York gesponsert habe. Im zweiten, welches am Dienstag seinen Anfang nimmt, geht es um die Abhörung von Gesprächen zwischen Gefängnisinsassen und deren Anwälten im Rahmen der Affäre "Gürtel", bei der zahlreiche politische Würdenträger der konservativen Volkspartei Partido Popular der Korruption überführt wurden.
Garzón gibt den Lauschangriff unumwunden zu, bezeichnet ihn jedoch als Notwendigkeit, da die Inhaftierten andernfalls ihre Geschäfte aus der Zelle heraus weiter fortgesetzt hätten. Vielleicht offenbart sich an diesem lakonischen Zugeständnis am besten die wahre Seele des Baltasar Garzón. Er ist einer, dem es mehr um Gerechtigkeit als um Recht geht. Er ist kein Krimineller, aber auch kein Heiliger wie sein biblischer Namensvetter. In einer Welt, die sich verschworen zu haben scheint, ihn zur Strecke zu bringen, ist er bereit, die Grenzen des formaljuristisch Richtigen ein wenig zu strapazieren, wenn es nötig ist. Und: Er ist ein Überzeugungstäter. Einer, der tut, was er für richtig hält, auch wenn es ihn in Schwierigkeiten bringt – und selbst dann nicht aufhört.
Nach seinem Rauswurf in Spanien ist er übrigens als Berater des argentinischen Chefanklägers an den Internationalen Strafgerichtshof gewechselt – dort passt er sowieso viel besser hin.
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Constantin Baron van Lijnden, Baltasar Garzón: . In: Legal Tribune Online, 17.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5321 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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