Der Hamburger Medienanwalt Jens O. Brelle wollte eigentlich Fotodesign studieren, um Teil der Design-, Medien- und Kunstszene zu werden. Doch dann entschloss er sich zum Umweg über "Los" und tummelt sich heute als Medienanwalt genau dort, wo er ursprünglich hin wollte. Gil Eilin Jung sprach mit dem Art Lawyer über private Galerien, Magazin-Marathons, Erotikrecht und Carsten Maschmeyer.
Jens O. Brelle hat viele Charakteristika eines Hanseaten. Aber nicht im konservativen, sondern im puristischen Sinne. Der Hamburger Anwalt ist zurückhaltend, diskret, fast ein wenig misstrauisch und verzichtet auf jegliche Zurschaustellung von Status. Der 42-Jährige erfreut sich im Internet als "Art Lawyer" und Blogger einer kleinen, aber soliden Fangemeinde. Seine Kanzlei hat er in einem ehemaligen Lagerhaus in der alten Hamburger Speicherstadt - arty, pur und shabby chic. Wenige Möbel und Regale stehen dort mit Retro-Designschätzchen wie alten Telefunkenradios oder Loewe-Fernsehern aus den frühen 80er-Jahren.
Das Treppenhaus ist mit Linoleum ausgelegt, einen Fahrstuhl in den vierten Stock sucht man vergebens. Schwer vorzustellen, dass der indirekt Kunstschaffende im Winter Woche um Woche die Stiegen hoch gehüpft ist - "auf einem Bein", wie Brelle sagt -,weil er vor dem Haus über eine unsachgemäß aufgestellte Bauabsperrung gestürzt war und sich den Fuß gebrochen hatte. Keine vier Wochen später war auch das Schlüsselbein durch, "weil ich beim Hochhüpfen im Treppenhaus ausgerutscht bin".
Die Pechsträhne war damit jedenfalls voll. Aber nun wird Brelle die Stadt verklagen müssen, was ihm unangenehm ist, schließlich versucht er doch was für Hamburg zu tun.
"Bei der Überlegung, wie ich mich für meine Stadt kulturell einbringen konnte, bin ich auf einen verglasten Showroom gestolpert, den ich zwei jungen Magazin-Designern zur Verfügung stelle zum Arbeiten als eine Art 'Koje'". Die Kreativen zahlen Wasser und Strom, den Rest zahlt Brelle. Der einzige Deal: "Einmal pro Monat organisiere ich dort Release-Parties für neue Print-Magazine am Herausgabetag. Dann müssen die Jungs raus – und am nächsten Tag dürfen sie wieder rein."
Eine perfekte, private Galerie. Bestens geeignet für Events wie den "Hamburger Magazin Marathon". Den hat Brelle 2009 zusammen mit Alain Bieber von "rebelart" ins Leben gerufen – für Independent-Zeitschriften mit einer Auflage von unter 10.000 Exemplaren. Dazu gehören Magazine wie "Nicht Jetzt", "Nude Paper", "Missy Magazine" oder "SpaceMag" und teils auch überregionale Indie-Gäste aus Berlin, Köln oder Leipzig. Bei Brelles Galerie geht es um persönliche Kontakte, die im Blog, beim Magazin oder im Internet nicht möglich sind.
Brelles "Art Lawyer Magazine" hat 7.000 Abonnenten
Sein eigenes "Art Lawyer Magazin" (7.000 Abonnenten) nutzt Brelle als Marketing-Instrument. "Man präsentiert sich, sendet etwas aus und die juristischen Anfragen kommen zurück." Er arbeitet mit Fotografen, Designern und Street-Artists zusammen.
Das Feuilleton der FAZ etwa spielt beim kreativen Input keine Rolle. "Ich komme kaum mit den Wochenzeitungen hinterher", sagt Brelle. Die Zeit ist knapp, denn nebenbei hält der Jurist noch Vorlesungen über Urheber- und Medienrecht – ein bis zweimal pro Woche, von 8 bis 10 Uhr, dann geht’s zurück in die Kanzlei. E-Mails abrufen, bloggen, den Tag planen, telefonieren. Ab 18 Uhr kehrt Ruhe ein, um sich mit schwierigen rechtlichen Fällen zu befassen oder dem Interesse zu frönen. Brelle liest Kunst-, Kultur- und Fashion-Blogs. "Wenn ich mal online gehe und bei den Großen wie FAZ oder Süddeutsche reinschnuppere, kenne ich das meiste schon."
Die Kanzlei, das Magazin und die Magazin-Galerie als Raum für Printkultur sind Brelles "Säulen" wie er sagt. Rechtlich geht es vor allem um Markenrecht, Geschmacksmuster, Design, Vertragsberatung, Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, vorwiegend im Internet. Brelles Mandanten sind Designer, Fotografen, Texter und Journalisten. Oder die "Akademie Mode und Design" in Hamburg, Studiengang Raumgestaltung, die "Internationale Design-Agentur" und die "Heliumcowboy Artspace GmbH". "Bildende Künstler sind es eher weniger", stellt er fest. "Entweder haben die keine Probleme oder sie können sich den Anwalt nicht leisten."
"Wenn die Kanzlei nicht funktioniert, kann ich alles andere einstellen"
Kreative vertragliche Gestaltungen nehmen den meisten Platz ein. Anwalt zu sein sei sein Hauptjob: "Da gebe ich richtig Gas und will Umsätze machen. Wenn die Kanzlei nicht funktioniert, kann ich alles andere einstellen!" Für den gebürtigen Lübecker war Jura "ein Kompromissstudium", das ihm sehr viel Spaß gemacht hat. Durch die Spezialisierung auf Medien, Design und Kultur sei er zu dem zurück gekommen, was er eigentlichen machen wollte. "Ich habe mit den gleichen Leuten zu tun, arbeite in den gleichen Branchen – nur aus einer anderen Perspektive."
Studiert hat Brelle in Passau, wollte zunächst Strafverteidiger werden mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht. Aber das war nicht seine Welt. "Strafrecht ist für mich so, als sei man immer nur auf der Notfallstation." Brelle ging nach Berlin, wurde Assistent der Geschäftsführung in der "Kulturbrauerei". Unmittelbare Nach-Wende-Zeit. Die Stadt brodelte und kochte. Brelles Welt, wie er sagt. Komplett. 2001 ging er zurück nach Hamburg. "Medial ein guter Standort. Ich fand Hamburg lebenswerter, grüner, mit mehr Wasser."
Brelles Kanzlei, die er mit einem Partneranwalt für Wirtschaftsrecht und drei Mitarbeitern betreibt, liegt keine fünf Minuten von Hamburgs berühmtem Rotlicht-Milieu entfernt. Dass er auch auf "Erotikrecht" spezialisiert ist, bedeutet aber keinesfalls, dass er die leichten Mädels oder schweren Jungs bei der Ausübung ihrer Arbeit unterstützt. "Das trifft weder meinen Mandantenkern noch meinen Rechtsbereich", sagt Brelle. Vielmehr gehe es um die Stärkung des Persönlichkeitsrechts wie bei der Mandantin, die in Jugendjahren freizügige Fotos machen ließ, die dann als Erotik-Booklet bei eBay auftauchten und sich "relativ unaufwendig" herausnehmen ließen.
"Ich grenze mich bewusst vom Mainstream ab"
Von großen, namhaften Glam-Klienten wie sie Brelles Hamburger Kollege Mathias Prinz oder der Berliner Christian Schertz haben, ist er noch weit entfernt. Aber nicht uninteressiert. Dennoch sagt er, er habe sich "bewusst vom Mainstream abgegrenzt" und sehe sich eher als modernen Performer denn als klassischen Traditionalisten. "Ich stehe für Offenheit und Experimentierfreudigkeit mit einem gewissen Anspruch, was die Kommunikation nach außen betrifft."
Brelle sieht sich als "Anwalt der Opfer von Berichterstattung". Ein Grund, warum ihn – rein hypothetisch – eine Vertretung des Hannoveraner AWD-Chefs Carsten Maschmeyer nicht reizen würde. Dessen Agieren gegen die Ausstrahlung eines NDR-TV-Beitrages betrachtet Brelle als vermeidbares Eigentor. "Oft ist es so, dass die Verteidigung der eigenen Rechte gerade erst für die Aufmerksamkeit sorgt, die eigentlich vermieden werden sollte. Hätte Maschmeyer nicht so massiv auf seine Rechte bestanden, wäre die Berichterstattung über ihn vermutlich zum Rohrkrepierer geworden."
Ein Fall hingegen wie der der türkischen Schauspielerin Sibel Kekilli hätte Brelle gereizt. Die Porno-Vergangenheit der inzwischen renommierten und mit diversen Preisen dekorierten Kekilli ("Gegen die Wand") ist vor wenigen Jahren von der Boulevard-Presse breit ausgetreten worden. "Da sind Persönlichkeitsrechte massiv verletzt worden", sagt Brelle, "das kam fast einem Vernichtungsfeldzug gleich". Manchmal sei es klüger, seine Füße still zu halten und keinen Staub aufzuwirbeln, findet der Anwalt, "aber manchmal muss auch gekämpft werden".
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Gil Eilin Jung, "Art Lawyer" Jens O. Brelle: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2692 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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