Frauen um Alice Schwarzer verklagten 1978 den Stern wegen sexistischer Titel. Frauen würden durch diese kollektiv beleidigt. Dabei zogen die Klägerinnen einen gewagten Vergleich zur Kollektivbeleidigung von Juden. Was das LG Hamburg dazu sagte:
Die 1970er-Jahren waren ein Jahrzehnt der nackten Haut. Leicht bekleidete bis nackte Frauen warben für Produkte oder "zierten" Zeitschriftencover. Die damit häufig einhergehende Diskriminierung und Abwertung aufgrund des biologischen und kulturellen wurden damals auch erstmalig auf den Begriff gebracht: Sexismus. So lautete 1976 der Titel des Buches von Marielouise Janssen-Jurreit "Sexismus: Über die Abtreibung der Frauenfrage". Auch für das Hamburger Magazin Stern galt damals "sex sells": Eine Radfahrerin mit nacktem Gesäß, ein spärlich sitzender Bikini einer Strandurlauberin oder zwei nackte "Animierdamen" waren Covermotive.
1978 fotografierte Helmut Newton die jamaikanische Sängerin Grace Jones als seitlichen Akt. Das Bild kam auf das Cover der Illustrierten "Stern". Die abgebildete Grace Jones hatte nach erfolgreicher Modelkarriere gerade ihr erstes Album "Portfolio" veröffentlicht. Der Spiegel beschrieb 1981 Jones als einen "androgynen Art-Deco-Roboter mit Brikett-Frisur". Der Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen verglich sie mit Marlene Diedrich.
Diese Darstellung von Jones sowie die weiteren Stern-Cover Ende der 1970er-Jahre wurde u. a. von EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer als sexistisch angesehen und damit als Kollektivbeleidigung aller Frauen mit einer Klage vor dem LG Hamburg angegriffen (Urt. v. 26.7.1978, Az. 74 O 235/78). Das Kollektiv aller Frauen in der Bundesrepublik Deutschland umfasste Ende der 1970er-Jahre 32 Millionen Personen.
Die Rechtsanwältin Gisela Wild reichte am LG Hamburg eine „Anti-Sexismus-Klage“ ein. Klägerinnen waren neben Schwarzer die Schauspielerinnen Inge Meysel und Erika Pluhar sowie Margarethe von Trotta. Das Titelbild Newtons aus dem April 1978, das Grace Jones abbildete, beschrieb Alice Schwarzer in EMMA 7/1978, wie folgt: "[E]ine Schwarze, nackt, in der Hand ein phallisches Mikrofon und um die Fesseln - schwere Ketten". Der Entschluss zur Klage sei am 14. Juni 1978 in der Küche der EMMA-Redaktion gefasst worden. Neben Gisela Wild wurde die Klageschrift auch von Lore Peschl-Gutzeit verfasst.
"[E]ine Schwarze, nackt, in der Hand ein phallisches Mikrofon und um die Fesseln - schwere Ketten"
In der Klagebegründung hieß es, die Zeitschrift Stern sei mit über anderthalb Millionen Exemplaren die größte deutschsprachige Illustrierte. Der Stern gebe vor, die verfassungsrechtlich garantierten Menschenrechte zu erhalten oder notfalls zu erkämpfen. Herausgeber Henri Nannen und die Redaktion betonten immer wieder mit Nachdruck die Bedeutung der Zeitschrift für die Sicherung der Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Die Titelbilder des Stern verletzten diese Rechte.
Eine von § 185 StGB erfasste Kollektivbeleidigung könne auch in der Form begangen werden, dass der Täter die beleidigte Personengemeinschaft nicht im Ganzen anspreche, so die Klägerinnen. Vielmehr reiche es aus, wenn der Täter eine ehrverletzende Äußerung nur auf eine einzige Person beziehe, die er jedoch ausschließlich durch Mitteilung der Zugehörigkeit zu der in Betracht kommenden Personengruppe, also Frauen, kennzeichne.
Für Schwarzer und Co waren Frauen nicht wegen ihres biologischen Geschlechts eine umgrenzte Gruppe, sondern wegen des ihnen von einer patriarchalischen Gesellschaft auferlegten Schicksals der Unterdrückung. Durch diese Repression seien sie zu einer Einheit verbunden, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lasse.
Durch die wiederholte Darstellung der Frau als bloßes Sexualobjekt hätten die Beklagten die Frauen als Kollektiv und damit die Klägerinnen als Mitglieder dieses Kollektivs in ihrer Ehre und ihrer Persönlichkeit gekränkt. Die Darstellung der Frau sei auf diesen Bildern völlig entpersönlicht und reduziert auf geschlechtliche Benutzbarkeit. Zugleich werde damit weibliche Unterlegenheit und männliche Dominanz ausgedrückt. Durch eine derartige Darstellung von Frauen auf einem Titelbild sahen sich die Klägerinnen auch persönlich beleidigt, so die Klageschrift.
"Juden" und "Frauen" – Zwei Kollektive: Vergleichbar durch das jeweilige Verfolgungsschicksal?
Aufhorchen lässt in der Klagebegründung folgender zunächst gewagt erscheinender Vergleich: Der Bundesgerichtshof habe in einer Entscheidung bestätigt, dass die als Juden vom Nationalsozialismus verfolgten Menschen, die jetzt in Deutschland leben, eine beleidigungsfähige Personenmehrheit seien. Und weiter heißt es: "Für die Frauen in Deutschland gilt daher, dass sie vergleichbar mit den im Nationalsozialismus verfolgten Juden, die jetzt in Deutschland leben, durch ein gemeinsames Schicksal der Diskriminierung zu einer Einheit verbunden sind. Dabei ist es im Rahmen dieses Verfahrens von Bedeutung, dass gerade die Einstellung der männlich geprägten Gesellschaft zur Sexualität ein die Frauen belastendes, aber zugleich sie verbindendes Element darstellt."
Rudolf Augstein ächzte die "zehn Klageweiber" hätten "die Stirn und den seltenen Geschmack", sich mit den Juden zu vergleichen, die den Holocaust überlebt hatten: "Realitätsverlust hoch drei." Jedoch muss den Klägerinnen zugestanden werden, dass die Rechtsprechung wenige diskriminierte "Kollektive" kennt, die beleidigt werden könnten, aber viele Gruppen in ihrer kollektiven "Ehre" schützt, die eher dem staatlichen Machtbereich oder den Eliten zuzuordnen sind. Blickt man auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, finden sich folgende geschützte Gruppen: Der "Preußische Richterstand", die "deutschen Offiziere", "alle christlichen Geistlichen" und die "deutschen Ärzte" (nach Kindhäuser u. a. StGB, Vor § 185-200, Rn. 63). Die Rechtsprechung erkannte erst 2020 die Möglichkeit an, Frauen volksverhetzend zu verunglimpfen. 2021 wurde der Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 192a) in Strafgesetzbuch aufgenommen, der in Bezug auf die Kategorie "Geschlecht" aber nicht einschlägig sein dürfte.
Bei der Entscheidung des BGH, die 1978 von den Klägerinnen angeführt wurde, handelt es sich um das sog. "Hedler-Urteil" vom 8.5.1952 (Az. 5 StR 182/52). Wolfgang Hedler war Bundestagsabgeordneter der Deutschen Partei. In einer Rede 1949 hatte Hedler seine Eindrücke über die Eröffnung der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages geschildert. Dabei hatte er sich antisemitisch geäußert, die Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus als "Vaterlandsverräter" geschmäht und die deutsche Kriegsschuld bestritten. Er wurde in erster Instanz freigesprochen. Im Berufungsverfahren wurde er verurteilt. Diese Entscheidung hielt in der Revision.
Der BGH führte aus, gerade die verbrecherische nationalsozialistische Verfolgung der Juden habe dazu beigetragen, dass sie nunmehr eine deutlich umrissene Gruppe bildeten. Wenn jemand abfällig über "die Juden" spreche, dann sei anzunehmen, dass er eben diesen Personenkreis meinte, gegen den sich die nationalsozialistische Judenverfolgung gerichtet haben. Die Äußerungen Hedlers seien auch ehrenkränkend und der Versuch einer Beschönigung der nationalsozialistischen Untaten gegen die Juden. "Darin aber liegt eine Verächtlichmachung der Juden." Die Vorinstanz habe in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die Zahl der überlebenden jüdischen Menschen in Deutschland sich auf nur noch etwa 30.000 belaufe. Damit sei der Kreis der beleidigten Personen hinreichend abgegrenzt, so der BGH.
Landgericht sieht in Sachen Kollektiv keine Vergleichbarkeit zwischen "Frauen" und "Juden"
Das LG Hamburg kam den Klägerinnen insoweit entgegen, als es ein "berechtigtes Anliegen" feststellte, "auf einer der wahren Stellung der Frau in der Gesellschaft angemessene Darstellung des Bildes der Frau in der Öffentlichkeit und insbesondere der Medien hinzuwirken". Der Stern und andere Medien würden diesen Anforderungen nicht gerecht.
Allerdings sei eine "Popularklage" im "angeblichen gemeinsamen Interesse aller in Deutschland lebenden Frauen" unzulässig. Sowie die Klägerinnen vorbrächten, selbst Verletzte einer Beleidigung gemäß § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 185 StGB zu sein, sei die Klage unbegründet: Ein direkter Angriff auf die Klägerinnen liege nicht vor.
Sie könnten sich auch nicht darauf berufen, als Teil des Kollektivs der Frauen herabgewürdigt zu werden, denn die große Gruppe der Frauen sei mit der kleinen Gruppe überlebender verfolgt gewesener Juden nicht vergleichbar. Der BGH habe die "Juden" nicht als kollektiv beleidigungsfähig erachtet, weil sie "ein schweres Schicksal" erlitten hätten, also in gewisser Weise als "Kompensation". Sondern die Gemeinschaft der "verfolgt gewesenen Juden" sei durch ein "Gemeinschaftserlebnis" geprägt, das so grauenhaft gewesen sei, dass es im Bewusstsein jedes einzelnen tiefe lebensbestimmende Spuren hinterlassen habe.
Zudem handele es sich "bei dem gemeinschaftsbestimmenden Schicksal um einen historisch abgeschlossenen Vorgang, dessen Bewertung als jedem Menschenrecht hohnsprechend in der gesamten zivilisierten Welt nicht in Zweifel gezogen" werde. Die Gruppe der "Frauen" sei dagegen keine homogene Gruppe, die sich durch ein durch "negative kollektive Erfahrungen geprägtes Schicksal" verbunden fühle.
In Sachen Schwarzer gegen Newton gab es noch ein Nachspiel. In den 1990er-Jahren ging es vor Gericht noch einmal um Newtons Kunst. Alice Schwarzer nannte die Kunst von Helmut Newton, der 1938 Nazi-Deutschland verlassen musste, später "faschistisch". Der "Jude" Newton sei zwar nach Australien geflüchtet, "doch das Herrenmenschentum nahm er mit, in ihm lebt es weiter". Diesen Beweis wollte Schwarzer mit 19 Fotos in EMMAführen. Newtons Verlag wehrte sich gegen die extensive Fotonutzung. Nach Auffassung der Richter des Landgerichts München (LG München I, Urt. v. 27.07.1994 - 21 O 22343/93) hielt sich die Wiedergabe der Fotos nicht im Rahmen des Zitatrechts aus § 51 UrhG. Das kostete Alice Schwarzer 20.000 DM.
Dr. Sebastian Felz ist Vorstandsmitglied des "Forum Justizgeschichte".
Sexismusklage vor dem LG Hamburg im Jahre 1978: . In: Legal Tribune Online, 01.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54227 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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