"Liebe Philosophie, kannst Du mir helfen?" hieß eines der Erfolgssachbücher des vergangenen Jahres. Und tatsächlich: Immer mehr Menschen finden in den Gedankengängen von Sokrates und Co praktischen Rat für ihre alltägliche Lebensgestaltung. Sinn- und Orientierungskrisen lassen sich vielleicht im Dialog mit einem philosophischen Berater lösen.
Galt die Philosophie bis vor Kurzem als elitär und realitätsfern, haben uns zahlreiche Publikationen wie "Die Sinn-Diät" von Rebekka Reinhard, "Liebe Philosophie, kannst Du mir helfen?" von Alexandre Jollien und "Was können wir wissen, was sollen wir tun" von Herbert Schnädelbach die praktische Anwendbarkeit philosophischer Theorien wieder näher gebracht. Denn trotz unseres enormen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sind zentrale Fragen wie die nach dem Sinn des Lebens nach wie vor ungeklärt.
Im Gegenteil: "Das Leben der Menschen wird immer vielschichtiger. Ihre Lebenswelt vergrößert sich ständig", erläutert Prof. Dr. Rainer A. Blast, Leiter der Philosophischen Praxis Düsseldorf, das wachsende Interesse an philosophischen Weisheiten als Lebenshilfe. Dem Einzelnen entstünden immer neue Möglichkeiten. "Die Erwartungen, Wünsche und Verführungen wachsen."
"Damit entstehen aber auch Gefahren, Probleme, Hindernisse, Verwicklungen - in Beruf und Freizeit, in Bekanntschaften, im Freundeskreis und der Partnerschaft, im sozialen, ökonomischen und persönlichen Umfeld", sagt Blast, der weiß: "Die eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten bleiben nicht selten hinter den Erwartungen und Wünschen zurück."
Dialog statt Diagnose
Derartige Sinn- und Orientierungskrisen versucht die praktische Philosophie mit dem didaktisch-beratenden Dialog zwischen Philosoph und Klient zu lösen. Der Philosoph steuert im Gespräch zwar seine Fachkenntnisse bei, die Lösung wird jedoch gemeinsam erarbeitet. Das Ziel ist der Abbau eines emotionalen Leidensdrucks mithilfe der auf selbstkritischer Vernunft und Reflexion basierenden inhaltlichen Klärung einer individuellen Problemstellung.
Insbesondere die Frage nach dem ganz persönlich als erfüllt erlebten Leben steht hier im Vordergrund. "Die philosophisch-dialogische Klärung kann gerade bei Sinn- und Orientierungsfragen eine hilfreiche Ergänzung zu einer psychotherapeutischen Betreuung sein, will und darf im Krankheitsfall jedoch kein Ersatz für eine fachärztliche Konsultation sein", betont daher der philosophische Berater Dr. Michael Gutmann.
Ein Leidensdruck lasse sich ohne die Klärung der auslösenden Ursachen häufig nicht abbauen. "Ein Vergessen oder Verdrängen ist nur begrenzt möglich. Rückgriffe auf frühere Erfahrungen können daher sehr hilfreich sein", so Gutmann weiter.
Philosophische Beratung vs. Coaching
Ebenso wie beim Coaching setzt die philosophische Beratung also die geistige Gesundheit bzw. eine begleitende Psychotherapie des Klienten voraus. Während Coaching jedoch in erster Linie berufliche Problemstellungen klären will, dürfen in der philosophischen Beratung laut der Webseite www.philos.de "alle Fragen des Guten, Wahren und Schönen - und auch andere Fragen der Weltsicht behandelt werden" – von privaten bis hin zu gesellschaftlichen Problemstellungen, von partnerschaftlichen bis zu ethisch-moralischen Fragen.
Denn sowohl die moderne als auch die klassische Philosophie liefert äußerst interessante Standpunkte zu aktuellen Themen. Allerdings sind diese häufig zu komplex, um auch von Laien verstanden zu werden. Der philosophische Berater dient daher oftmals als eine Art Praxis-Übersetzer, die philosophische Beratung als eine konkrete Anleitung zum intellektuellen (Selbst-)Disput. Frei nach Sokrates' Motto: "Zur Unterscheidung zwischen Gutem und Schlechtem bedarf der Verständige keines anderen Menschen."
Auf Sokrates' Spuren: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/381 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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