Verwaltungsstation in Brüssel

"Hallo, hier spricht die Euro­päi­sche Kom­mis­sion!"

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Roman Seifert macht derzeit Station bei der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission. Wie man dort hinkommt und wie es sich anfühlt, im Namen der Europäischen Union Fusionen und Unternehmenskäufe zu prüfen, verriet er im Gespräch.

Referendarstation bei der Europäischen Kommission – das geht? Aber ja doch. Es wissen nur die wenigsten. Auch Roman Seifert ist bei seiner Suche nach einer Stage für die Verwaltungsstation eher zufällig darauf gestoßen: "Auf Kanzlei-Websites schreiben Anwälte das ausdrücklich in ihren Lebenslauf, ab und an habe ich auch im Gespräch mit anderen Referendaren davon gehört." Wie man jedoch an einen solchen Posten herankommt und diesen am besten ins Referendariat integriert, dazu findet er im Internet wenig bis gar keine Informationen. "Selbst auf der Website der EU ist es schwierig an Informationen zu kommen. Geholfen hat mir letztlich meine Nebentätigkeit im Bundeskartellamt. Dort kannte jemand jemanden, der in Brüssel tätig ist", sagt Seifert. Der Kontakt konnte Licht ins Dunkel bringen: So gibt es zunächst das offizielle Blue-Book-Programm der EU, eine Art bezahltes, organisiertes Praktikum. Das sei aber keine Option gewesen, weil es länger als die für die Verwaltungsstation vorgesehenen drei Monate dauert, erklärt der Kölner Referendar. Für deutsche Rechtsreferendare eigne sich vielmehr die Arbeit als Stagiaire Atypique. Dieser Posten ist nicht bezahlt und wird auch nicht gesondert beworben. Wer sich dafür interessiert, muss selbst die Initiative ergreifen: "Theoretisch kann man in jeder EU Generaldirektion Station machen. Deshalb ist es wichtig, genau zu wissen, wo man hin möchte." Der 27-Jährige mit Schwerpunkt im Kartell- und Fusionskontrollrecht hatte seine Wunschabteilung mit der Generaldirektion Wettbewerb sofort gefunden.

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Bewerbung der etwas anderen Art

Die Kontaktdaten der Abteilung gab es auf der Internetseite der EU. Nach kurzem Schriftverkehr war dann auch geklärt, wo und wie Seifert sich bewerben musste. "Zu den nötigen Unterlagen gehören ein Anschreiben und der Lebenslauf. Voraussetzung sind außerdem sehr gute Englischkenntnisse", sagt er. Da es für die Stage Atypique keine gesonderte Personalabteilung gibt, werden die Bewerbungsdokumente direkt von der jeweiligen Abteilung gesichtet. Hält man den Bewerber für geeignet und sind auch noch Kapazitäten für den gewünschten Zeitraum frei, folgt ein Telefon-Interview – "mit das außergewöhnlichste Bewerbungsgespräch, das ich je geführt habe", wie Seifert erzählt. Nicht nur, dass gleich drei Gesprächspartner abwechselnd mit verschiedenen Akzenten etwas wissen wollten. Zusätzlich waren viele Fragen seinem Eindruck nach darauf ausgelegt, den Bewerber zu verunsichern und zu testen, ob und was er unter Stress zu sagen hatte und wie sicher er im Englischen war. Obwohl er sich bei den fachlichen Fragen nicht schlecht geschlagen hatte, rechnete sich Seifert nach dem Telefonat keine großen Chancen aus. Einige Zeit später erhielt er dennoch die Zusage und auch sein Dienstherr spielte mit, indem er die Station im Ausland vollständig anerkannte, was nicht immer der Fall ist. Zusätzlich zur Unterhaltsbeihilfe wurde ihm ein Kaufkraftausgleich von knapp 60 Euro pro Monat bewilligt; für ein kleines Zimmer in einer recht zentral gelegenen Sechser-WG in Brüssel sollten 460 Euro pro Monat fällig werden.

Die Generaldirektion Wettbewerb ist in mehrere Sektoren gegliedert, Seiferts Platz ist in Abteilung E.4 - Basic Industries, Manufacturing and Agriculture, im Bereich Mergers. Aufgabe der Abteilung: Fusions- und Zusammenschlussvorhaben prüfen. Alle Unternehmen, deren welt- und europaweiter Umsatz einen bestimmten Schwellenwert übersteigt und die sich mit anderen Unternehmen beispielsweise im Rahmen eines Unternehmenskaufs zusammenschließen wollen, müssen zunächst die Zustimmung der Europäischen Kommission als zuständige Wettbewerbsbehörde einholen. Die einzelnen "Cases"  werden in Teams zu je einem Verantwortlichen, dem Case Manager, und einer je nach Fall variierenden Anzahl weiterer Teammitglieder bearbeitet, den Case Handlern. Die Teams sind wie die Kommission auch international besetzt. Ist ein Fall wettbewerblich unproblematisch oder können Bedenken von Seiten der Parteien durch Zugeständnisse ausgeräumt werden, wird er in der maximal 25-tägigen beziehungsweise bei Verhandlungen über Zugeständnisse maximal 35 tägigen Phase I erledigt. Sind weitere Ermittlungen notwendig, eröffnet die Kommission Phase II, sodass die Bearbeitung insgesamt bis zu 140 Tage dauern darf. Seifert war beeindruckt von den enorm hohen Volumina der Transaktionen, die nicht selten mehrere Milliarden Euro umfassten. "Da ist abzusehen, dass auch 140 Tage Maximalfrist sportlich werden können." Entsprechend schätzt er, "dass das Arbeitspensum je nach Abteilung deutlich über das einer üblichen Verwaltungsstation hinausgeht." Der Referendar unterstützt das Case-Team und übernimmt dabei unterschiedliche Aufgaben. Als Organ der Europäischen Kommission hat die Generaldirektion weitreichende Befugnisse, die er nutzen kann. So darf die Wettbewerbsbehörde im Rahmen sogenannter Requests for information beispielsweise Geschäftsunterlagen oder den E-Mail-Verkehr der beteiligten Unternehmen anfordern. Im Prinzip darf und muss die Europäische Kommission alles tun, um sich vom jeweiligen Markt ein Bild zu machen und die Auswirkungen des geschäftlichen Vorhabens auf den jeweils relevanten Markt beurteilen zu können. Am Ende der Bearbeitung wird dann entschieden, ob der Zusammenschluss ohne Weiteres, unter Auflagen oder überhaupt nicht genehmigt werden kann. Der Referendar ist dabei über den gesamten Prozess eingebunden und erlangt so tiefe Einblicke in die Arbeit der Wettbewerbsaufsicht.

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"Guten Tag, Europäische Kommission am Apparat. Erzählen Sie doch mal…"

In einem seiner Cases ging es um den Kauf der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) durch die französische SEB-Gruppe. Seifert war als einziger Deutscher im Case-Team auch bei Telefonkonferenzen mit Kunden und Wettbewerbern dabei. "Das ist natürlich schon komisch, wenn ein lokaler deutscher Einzelhändler zunächst etwas ungläubig darauf reagiert, dass da jemand von der Europäischen Kommission anruft, der gern Genaueres über seine Erfahrungen auf dem Markt für Töpfe und Pfannen wissen will", erinnert sich Seifert. Auch an den Gesprächen mit Verantwortlichen vor Ort nimmt er teil: "Wann darf man schon Parteivertreter und führende Anwälte im Bereich der Fusionskontrolle live erleben und sich Argumentations- und Verhandlungstricks abgucken? Das ist Praxis, die im Studium und auch in manchen Referendarstationen viel zu kurz kommt." Seifert könnte sich einen Job als Jurist in Brüssel nach dem Zweiten Staatsexamen vorstellen. Seine Arbeit für die EU kann er aber bereits jetzt weiterempfehlen: "Neben fachlich-professionellen Einblicken bietet Brüssel die Gelegenheit, die europäische Idee hautnah zu erleben."

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