Schlechte Stationszeugnisse richtig anfechten
Das Referendariat ist für viele Referendar:innen eine spannende Zeit. Raus aus dem Studium, rein in die Praxis – und das idealerweise bei Ausbilder:innen, die einem wohlgesonnen sind und bei der Abschlussbewertung nicht mit Punkten geizen. Dass die Harmonie nicht immer stimmt, hat eindringlich der Fall einer Referendarin gezeigt, der nach zahlreichen Auseinandersetzungen mit ihrem Ausbilder zunächst die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt worden war.
Abgesehen von derartigen Extremfällen dürfte der Aussagewert von Stationszeugnissen mangels vergleichbarer Grundlage regelmäßig bei Null liegen: Während einige Ausbilder:innnen bei der Abschlussnote einen Maßstab wie bei Examensklausuren anlegen, dürfen andere Referendar:innen ihr Zeugnis offenbar selbst verfassen. Die Relevanz des Ganzen ist bekannt: In der mündlichen Prüfung liegen die Stationszeugnisse den Mitgliedern der Prüfungskommission vor – und psychologisch machen durchgängig "gute" Zeugnisse einen besseren Eindruck.
Zudem können sich die Stationszeugnisse sogar formell auf die Gesamtnote des Zweiten Staatsexamens auswirken und mitunter zur Anhebung der Note führen. So heißt es in § 5d Abs. 4 Satz 1 DRiG: "In den staatlichen Prüfungen kann das Prüfungsorgan bei seiner Entscheidung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote abweichen, wenn dies auf Grund des Gesamteindrucks den Leistungsstand des Kandidaten besser kennzeichnet und die Abweichung auf das Bestehen der Prüfung keinen Einfluss hat; hierbei sind bei der zweiten Staatsprüfung auch die Leistungen im Vorbereitungsdienst zu berücksichtigen."
Gute Stationszeugnisse können also den Unterschied zwischen 8,90 und 9,00 Punkten ausmachen – die Bedeutung dieses Unterschieds ist juristischen Leser:innen wohlbekannt. Hinzu kommt, dass die Prüfungskommission einen erheblichen Einschätzungsspielraum hat, ob und wie sie von dieser Möglichkeit einer Notenanhebung Gebrauch macht – feste Regeln hierzu fehlen. Angesichts des Umstandes, dass das Prüfungsrecht von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG beherrscht wird, lassen sich verfassungsrechtliche Zweifel an diesem Zustand schwerlich von der Hand weisen.
Wütende Mail vermeiden, später Eilrechtsschutz
Was also tun, wenn die Bewertung im Stationszeugnis schlecht ausfällt? Zunächst einmal Ruhe bewahren und nicht eine wütende E-Mail schreiben. Die Ausbilder:innen sitzen klar am längeren Hebel, sodass betroffene Referendar:innen auf ihr Wohlwollen angewiesen sind. Eine sachliche E-Mail mit Erläuterung, weshalb die Bewertung nicht gerechtfertigt ist, ist der erste Schritt. Dabei darf man die Ausbilder:innen gern auf die Bedeutung des Stationszeugnisses für die mündliche Prüfung hinweisen. Sind sie dann immer noch nicht bereit, das Zeugnis zu ändern, gibt es als nächste "Instanz" den Personalrat für Referendar:innen, der in aller Regel einige Vermittlungsangebote für solche Fälle parat hat.
Helfen Gespräche oder Vermittlungsversuche nicht weiter, bleibt letztlich nur die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes. Ganz so einfach ist es aber nicht: Abgesehen von der Frage, wie ein Stationszeugnis rechtlich genau einzuordnen ist, wird es regelmäßig dem Rechtsschutzbegehren betroffener Referendar:innen entsprechen, dass das überarbeitete Zeugnis der Prüfungskommission in der mündlichen Prüfung vorliegt – und damit kommt faktisch nur Eilrechtsschutz in Betracht. Denn selbst wenn das Gericht Fehler feststellt, kann es das Zeugnis nicht selbst korrigieren, sondern es muss neu ausgestellt werden – und hierfür sind letztlich die Ausbilder:innen zuständig. Ein jahrelanges Hauptsacheverfahren ist unzumutbar, genauso wie es unzureichend ist, eine persönliche Stellungnahme zum Stationszeugnis zur Akte zu reichen – denn diese ist bei der potenziellen Notenanhebung nicht relevant.
Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang die Rechtsauffassung des VG München (Urt. v. 06.06.2018, Az.: M 5 K 18.250, M 5 K 18.1598), wonach sich das Stationszeugnis "nach Abschluss der Ausbildung nicht noch auf das berufliche Fortkommen eines ehemaligen Rechtsreferendars auswirken“ könne. Selbst bei nicht bestandenem Zweiten Staatsexamen kann es für Bewerber:innen schließlich entscheidend sein, ordentliche Leistungsnachweise für einen Zeitraum von zwei Jahren im Bewerbungsverfahren nachweisen zu können. Und dass – im Falle eines bestandenen Examens – bei Bewerbungen z.B. auf Richterstellen das Stationszeugnis den Bewerbungsunterlagen beizufügen ist, gilt etwa wo? Richtig, in Bayern selbst.
Ausbilder haben einen weiteren Formulierungsspielraum
Wer sich im Gerichtsverfahren gegen ein schlechtes Stationszeugnis zur Wehr setzt, muss konkret darlegen, aus welchen Gründen genau das Stationszeugnis fehlerhaft ist. Zwar müssen sich Referendar:innen nicht jede Kritik gefallen lassen, gleichwohl haben Ausbilder:innen einen weiten Formulierungs- und Bewertungsspielraum. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des VGH Mannheim (Beschl. v. 26.10.2007, Az.: 8 TP 1731/07), bei der ein Referendar gegen die Bewertung im Stationszeugnis durch seinen Arbeitsgemeinschaftsleiter vorging. Hiernach bestehe eine weitgehende Formulierungsfreiheit in Stationszeugnissen. Die von der Arbeitsgerichtsbarkeit entwickelten Grundsätze für Arbeitnehmerzeugnisse seien nicht übertragbar, so der VGH.
Immerhin: Unzulässig seien ehrverletzende Passagen. Zugleich "sollten" die Stationszeugnisse "prinzipiell wohlwollend formuliert werden". Die hierdurch bewirkte Rechtsunsicherheit geht in aller Regel zulasten der Referendar:innen, zumal nicht alle Ausbilder:innen eine "wohlwollende Formulierung" finden werden.
Zudem hielt der VGH fest: "Dies ändert aber nichts an der Pflicht der Arbeitsgemeinschaftsleiter, aufgetretene Leistungsdefizite – wie beim Kläger vor allem im Bereich der mündlichen Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft – deutlich und nachvollziehbar zu benennen und zu bewerten."
Muss die Prüfungskommission das Stationszeugnis in seiner Gesamtheit werten?
Da Stationszeugnisse nicht nur aus Noten, sondern auch aus einer Begründung bestehen, stellt sich die Frage, in welchem inhaltlichen Umfang die Prüfungskommission ein Stationszeugnis ggf. auszuwerten hat. Nach Auffassung des VG Hamburg ist sie nicht einmal verpflichtet, den Inhalt der Zeugnisse auszuwerten: Der Prüfungsausschuss müsse "die Stationszeugnisse nur hinsichtlich der darin ausgewiesenen Noten kennen, um seine Entscheidung ordnungsgemäß treffen zu können" (Urt. v. 23.12.2014, Az.: 2 K 1285/11).
Demgegenüber soll nach Auffassung des OVG Münster die Pflicht für die Prüfer:innen bestehen, "die Einzelzeugnisse nach Aussage, Gewicht und Stellenwert zu würdigen" (Urt. v. 09.01.2008, Az.: 14 A 3658/06). Je nach Stationszeugnis dürften sich Referendar:innen über diese Rechtsauffassungen mehr oder weniger freuen. Jedenfalls wäre eine normative Klarstellung wünschenswert, um einen einheitlichen Maßstab zu etablieren.
Für Referendare eine unbefriedigende Situation
Stationszeugnissen kann bei der Ermittlung der Gesamtpunktzahl im Zweiten Staatsexamen auch heute noch eine entscheidende Bedeutung zukommen. Gleichwohl ist die rechtliche Situation für Referendar:innen äußerst unbefriedigend: Stationszeugnisse sind nicht vergleichbar, die Überprüfungsmöglichkeiten sind eingeschränkt und effektiv dürfte in den meisten Fällen nur ein gerichtliches Eilverfahren sein.
Daher wäre es wünschenswert, wenn der jeweilige Normgeber detailliertere Regelungen für die Erstellung von Stationszeugnissen sowie ihre Berücksichtigung im Zweiten Staatsexamen statuiert.
Der Autor Dr. Jan-Philipp Redder ist Rechtsanwalt bei Brock Müller Ziegenbein in Kiel. Er ist auf das öffentliche Recht, u.a. Hochschulrecht, spezialisiert.
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2022 M04 18
Referendariat
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