Referendariat, neu gedacht

Sieben Ideen für eine bes­sere Juris­ten­aus­bil­dung

von Marcel SchneiderLesedauer: 6 Minuten
Die meisten Volljuristen werden Anwalt, Ziel der Ausbildung ist aber immer noch die Befähigung zum Richteramt. Experten und Betroffene würden noch viel mehr als nur das ändern. Ein Querschnitt aus der Branche. 

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"Recht des Anwalts definieren, Recht des Anwalts prüfen"

Fast 60 Prozent aller 7.462 Assessoren beantragten 2015 die Zulassung als Rechtsanwalt. Dieser Entwicklung ist das Leitbild der Ausbildung anzupassen. Das wird seit 2003 mit der "anwaltsorientierten Juristenausbildung" auch versucht. Die §§ 5b und 5d DRiG sehen dazu eine verlängerte Anwaltsstation im Vorbereitungsdienst und die Berücksichtigung der rechtsberatenden Praxis in der Prüfung vor. Einige Bundesländer beteiligen die Anwaltschaft vermehrt am Unterricht der Referendare. Das damit angestrebte Ziel ist damit jedoch bisher nicht erreicht worden: Der Lehrbetrieb und die Prüfungen orientieren sich unverändert am Amt des Richters. Entscheidender Grund hierfür ist, dass die Neuerung nicht in entsprechende Examensaufgaben umgesetzt wird. Das Recht des Anwalts muss auch regelmäßig geprüft werden, damit Kandidaten nicht "auf Lücke" lernen. Auch die in den letzten Jahren vermehrt gestellten Anwaltsklausuren sind im Kern weitgehend nur die gewohnten dogmatischen Aufgaben mit anderer Rahmenhandlung. Es braucht als erstes eine klare Definition des anwaltsspezifischen Stoffs. Der muss dann gelehrt und auch tatsächlich im Examen abgefragt werden. RA Gustav Duden, Vorsitzender des Ausschusses Juristenausbildung der BRAK

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2/7: "Referendare müssen reden lernen"

Im Referendariat zählt nur das Staatsexamen, alles andere ist primär – würde Hans Krankl sagen, die österreichische Fußball-Legende. Und so inhalieren die Referendare für dieses Examen Vorschriften, dass der Gesetzgeber kaum nachkommt. Selbst Wasserrecht beherrschen sie, zumindest in Bayern. Im positiven Recht sind werdende Anwälte und Richter bestens ausgebildet. Gute Jura-Kenner sind aber nicht automatisch gute Juristen, ich plädiere deshalb für einen breiteren Ansatz der Ausbildung im Vorbereitungsdienst. Denn Juristen reden und verhandeln ständig, entsprechend brauchen Referendare vertiefte Kenntnisse in Rhetorik, Argumentationslehre und strategischer Verhandlungsführung. Als Richter sind sie der Staat, als Anwälte tragen sie die Gesellschaft. Aber nur, wenn sie die Philosophie und Geschichte des Rechts kennen. Im Assessorexamen darf gern ein Rechtsgebiet weniger abgefragt werden, wenn dafür die wesentlichen Grundlagen Teil der Prüfung sind. Die entsprechenden Kurse könnten wie die Arbeitsgemeinschaften im Vorfeld oder parallel zu den Stationen abgehalten werden. Dr. Lorenz Leitmeier, Ausbilder und Richter am Amtsgericht München

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3/7: "Ein Examen wäre genug"

Mindestens die letzten drei Monate der eigentlich neun-monatigen Anwaltsstation nutzen viele Referendare, um aufs zweite Staatsexamen zu lernen. Zwar beklagt die Anwaltschaft dieses "Tauchen" regelmäßig, zu verdenken ist es den Referendaren jedoch nicht. Denn das zweite Staatsexamen ist im Grunde nichts anderes als eine Kopie des staatlichen Teils der ersten Juristischen Prüfung - allerdings mit zusätzlichem Stoff, angereichert um ein paar Zunftbräuche und mit deutlich schlechteren Vorbereitungsmöglichkeiten. Jede Ausbildungsreform muss deshalb beim zweiten Staatsexamen und dem Referendariat ansetzen: Erstens darf der dogmatische Prüfungsstoff im Assessorexamen nicht erweitert werden. Zweitens muss der Fokus dort auf der Praxis liegen. Und drittens: Warum denkt man nicht erneut über die einstufige Juristenausbildung nach? Das Gros der Studenten und Lehrenden, die an der einphasigen Ausbildung mitwirkten, sind von dem Modell nach wie vor überzeugt. Gescheitert ist es Anfang der achtziger Jahre vor allem aus Kostengründen. Ein erster Schritt könnte sein, aus der Note der ersten Juristischen Prüfung und dem zweiten Staatsexamen im Verhältnis 60 zu 40 eine einheitliche, für die Einstellung maßgebliche Examensnote zu bilden. Prof. Dr. Christian Wolf, Initiator des Soldan Moot Courts

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4/7: "Keine Juristenausbildung ohne Legal Tech"

Die Digitale Transformation verändert die Welt. Das gilt auch für den Rechtsmarkt und damit für die juristische Ausbildung. Im digitalen Holozän nur das Recht zu kennen, reicht nicht mehr aus. Trotzdem werden Juristen immer noch ausgebildet, um mit ihren erlernten handwerklichen Fähigkeiten jedes Mal das Rad neu zu erfinden. Dabei tritt auch die Rechtsbranche durch den technologischen Fortschritt in das Zeitalter der individualisierten Massenfertigung ein. So wird die Schaffung  eines einfachen, transparenten und kostengünstigen Zugangs zum Recht zunehmend als technisches Problem gesehen und in immer mehr Bereichen innovativ auch als solches gelöst. Wenn Juristen ihre Dienstleistungen mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts erbringen und die enormen Chancen der Digitalisierung verwirklichen sollen, dann müssen sie auch entsprechend ausgebildet werden.  Dazu gehört neben der Vermittlung von technologischen Grundkenntnissen vor allem eine an den digitalen Möglichkeiten orientierte und damit zukunftstaugliche Denkweise. Nico Kuhlmann, Doktorand, Wiss. Mit. und Blogger zum Thema Legal Tech

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5/7: "Law Clinics und Moot Courts verpflichtend ins Referendariat"

Es ist gut, das Recht von allen Seiten kennenzulernen. Auch wenn vergleichsweise wenig Volljuristen Richter werden, ist es sinnvoll, dass sich die juristische Ausbildung am Leitbild des Richteramts orientiert und den Einheitsjuristen als Ziel formuliert. Doch schon im Studium während des ersten Kanzlei-Praktikums merkt man, dass zum Berufsleben weit mehr gehört, als Vorlesungen vermitteln könnten. Referendaren geht es erst recht so. Ein Vorbereitungsdienst zur anwaltsorientierten Ausbildung muss deshalb sinnvoll an den universitären Ausbildungsabschnitt anknüpfen. Warum nicht zum Beispiel Angebote wie Law Clinics oder Moot Courts als Pflichtmodul in das Referendariat integrieren? Natürlich kann es nicht alleiniges Ziel des Vorbereitungsdiensts sein, fertige Anwälte zu produzieren. Es wäre aber fahrlässig, die Absolventen nach dem zweiten Staatsexamen weiterhin so völlig unvorbereitet ins Berufsleben zu entlassen, zumal die Tendenz immer weiter hin zum Anwaltsberuf ausschlägt. Hannah Klumpp, Vorsitzende des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften

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6/7: "Das Referendariat in eine Richter- und eine Anwaltslaufbahn aufteilen"

Nicht nur, dass viele Kandidaten den Beruf des Anwalts von vornherein dem des Richter vorziehen. Auch angesichts der ohnehin begrenzten Stellen in der Justiz erscheint es widersprüchlich, dass das Referendariat hauptsächlich auf den Richterberuf ausgerichtet ist. Wichtige Bereiche der Rechtsanwaltspraxis, darunter etwa das Kostenrecht oder auch wirtschaftliche Grundlagen, kommen im Referendariat deshalb zu kurz. Stattdessen muss auch, wer Anwalt werden will, in erster Linie Urteile schreiben können Angehende Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen haben dasselbe "Problem". Warum also Referendaren nicht die Möglichkeit geben, Schwerpunkte entsprechend ihren Berufsvorstellungen zu setzen und sich somit individueller vorzubereiten? Dazu könnte man alternativ zur bisherigen "Richterlaufbahn" eine "Anwaltslaufbahn" anbieten. Das hätte zwar die Aufteilung des Referendariats zur Folge, brächte aber auch qualifiziertere Berufseinsteiger hervor. Ulf Nadarzinski, unmittelbar nach dem zweiten Examen in einer Kölner Anwaltskanzlei für u.a. Arbeits- und Versicherungsrecht tätig geworden

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7/7: "Referendare müssen sich schon selbst kümmern"

Das Referendariat bereite nicht ausreichend auf den Anwaltsberuf vor, heißt es häufig. Gründe dafür gibt es viele. Sie liegen aber nicht in den Voraussetzungen, die der Vorbereitungsdienst schafft. Quantitativ mehr Anwaltsausbildungsbildung im Referendariat? Das ginge, wäre aber zu viel. In den meisten Bundesländern können interessierte Referendare mit der neunmonatigen Anwaltsstation eine dreimonatige Wahlstation kombinieren. Wer will, verbringt so die Hälfte des Referendariats beim Rechtsanwalt (wenn er nicht "taucht"). Eine qualitativ bessere Anwaltsausbildung? Denkbar. Aber kein Referendar ist gezwungen, zur Maximierung des Zuverdiensts eine Stage zu wählen, die hochspezialisierte Sachbearbeitertätigkeiten über das Interesse an einer fachlich belastbaren Ausbildung setzt. Zumal angesichts der Breite anwaltlicher Arbeitsfelder nicht klar ist, welches Wissen und welche Kompetenzen in einer guten Vorbereitung auf die Anwaltspraxis unentbehrlich sind. Letztendlich hat es der Referendar immer selbst in der Hand, sich zu ihm passende Ausbildungsstationen zu suchen. Vorausgesetzt, er kann sein eigenes Ausbildungsinteresse formulieren und nach außen vertreten. Das darf man von einem erwachsenen Menschen erwarten, der Anwalt werden will - oder vielleicht auch muss. Prof. Dr. Roland Schimmel, Examensprüfer und Ausbilder zahlreicher Referendare in seiner Zeit als Anwalt

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