Keine Angst vor Verböserung
"Gerade für Juristen spielt die Gesamtnote beider Staatsexamina eine essenzielle Rolle, da von ihr der weitere berufliche Werdegang entscheidend abhängt. Aber auch die Abschlussnoten anderer staatlicher Examina sind nicht unbedeutend für die berufliche Entwicklung der Examenskandidaten. Von daher vermehren sich die Anfragen, die eine reine Notenverbesserung betreffen", berichtet Rechtsanwalt Christian Reckling von der Kanzlei Schlömer & Sperl Rechtsanwälte aus Hamburg. Die Prüfungsrealität kennt er aus seiner Tätigkeit als Dozent ein juristisches Repetitorium. Auf dem kanzleieigenen Internet-Portal stellen seine Kollegen und er Urteile zum Thema Prüfungsrecht vor. Recklings Beschäftigung mit dem Prüfungsrecht begann früh und in eigener Sache. Schon im ersten Staatsexamen ging er - leider erfolglos - gegen das Ergebnis seiner eigenen Examenshausarbeit vor. Mit der Erfahrung und dem Wissen von heute wäre das Ergebnis "sicherlich besser ausgefallen", gesteht er. Deshalb sei es auch für Juristen sinnvoll, sich bei der Prüfungsanfechtung von einem spezialisierten Anwalt helfen zu lassen, obwohl dies weder für das Widerspruchsverfahren noch für das Klageverfahren in erster Instanz notwendig ist: "Die Prüflinge sind oftmals durch die Prüfungsentscheidung emotional befangen und enttäuscht." Eine substantiierte und vor allem objektive Begründung des Widerspruchs falle in dieser Situation den meisten schwer, obwohl gerade dann viel Fingerspitzengefühl und vor allem die richtige Wortwahl gefragt seien.
Nur begrenzte Überprüfbarkeit durch die Verwaltungsgerichte
Grundsätzlich unterscheidet das Prüfungsrecht zwischen Bewertungsfehlern und Verfahrensfehlern. Nach Recklings Erfahrung liegen bei nichtjuristischen Prüfungen die Fehler häufig im Verfahren, insbesondere bei den mündlichen Prüfungen: "In den von uns erstrittenen Fällen mangelte es oftmals an der Einhaltung der Protokollierungs- oder Begründungspflicht." Bewertungsfehler können fachwissenschaftlicher oder prüfungsspezifischer Natur sein: "Fachwissenschaftliche Fragen unterliegen einer vollständigen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Denn die Frage nach ihrer Vertretbarkeit lässt sich grundsätzlich mit "Ja" oder "Nein" beantworten und ist insofern unabhängig von der Person des Prüfers. Dies gilt fächerübergreifend und nicht nur für den juristischen Bereich." Prüfungsspezifische Aspekte liegen im Beurteilungsspielraum des Prüfers und können deshalb gerichtlich auch nur in eingeschränktem Maß angegriffen werden. Dazu zählen die Auswahl der Prüfungsaufgabe, die Gewichtung des Schwierigkeitsgrades einzelner Prüfungsaufgabe und die Bestimmung der Stärken und Schwächen einer Bearbeitung: "Am häufigsten lassen sich unzureichende Begründungen oder sachfremde Erwägungen anfechten", weiß Reckling.Rechtsschutzversicherung hilft nur selten
Soll Christian Reckling die Erfolgsaussichten eines Widerspruchsverfahrens prüfen, ist individuelle Detailarbeit von ihm gefordert: "Nach Analyse des Sachverhalts und der Voten begutachte ich die schriftliche Leistung des Mandanten unter Zuhilfenahme einschlägiger Fachliteratur und Rechtsprechung. Nach Abschluss dieser Vorarbeit kläre ich den Mandanten über die Erfolgsaussichten des Widerspruchsverfahrens auf. Es bleibt dann ihm überlassen, ob er den Widerspruch durch mich begründen möchte." Dabei beträgt die Widerspruchsfrist wie auch bei sonstigen Verwaltungsakten einen Monat. Weil Prüfungsanfechtungen mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden sind, wird zumeist eine Honorarvereinbarung geschlossen. Grundsätzlich greifen Rechtsschutzversicherungen leider nur selten: "Ob eine Rechtsschutzversicherung die Kosten der Prüfungsanfechtung übernimmt, hängt von den jeweiligen Bedingungen des Vertrags ab. Verwaltungsrechtliche Streitigkeiten, so auch das Prüfungsrecht, sind üblicherweise nicht mitversichert. Dabei ist noch zu beachten, dass die Kosten eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens grundsätzlich nicht übernommen werden. Dieses Risiko ist erst bei neueren Verträgen mit abgedeckt." Wer mit seiner Anfechtung scheitert, bleibt auf seinen Kosten sitzen. Diese können je nach Gebührensatz des Rechtsanwalts und Arbeitsumfang für Prüfung und Begründung erheblich schwanken. Mit 500 bis 1000 Euro inklusive Verfahrenskosten sollten Anfechtungswillige aber rechnen.Remonstration: Ton gegenüber dem Prof wahren
Ist die Anfechtung erfolgreich, muss der Prüfling unter Umständen nochmal antreten. "Greift der Prüfungskandidat eine mündliche Prüfung an und sind seine vorgebrachten Gründe für die Fehlerhaftigkeit der mündlichen Prüfung zutreffend, so hat er grundsätzlich einen Anspruch auf Wiederholung der mündlichen Prüfung. Eine Notenverbesserung kommt bei mündlichen Prüfungen grundsätzlich nicht in Frage. Das liegt daran, dass fiktive Leistungen, die der Prüfling bei ordnungsgemäßen Ablauf der mündlichen Prüfung erbracht hätte, nicht ersatzweise der Prüfungsentscheidung zugrunde zu legen sind". Bei schriftlichen Prüfungsarbeiten sind Bewertungsfehler dagegen "grundsätzlich durch eine fehlerfreie Neuwertung zu beheben", ohne dass die Prüfung wiederholt werden muss. Möchte ein Student gegen eine Klausurnote auf universitärer Ebene selbst remonstrieren, rät der Experte vor allem zur Besonnenheit: "Die Begründung sollte nachvollziehbar und immer konkret auf das Votum bezogen sein. Daneben sollte zudem immer der Ton gewahrt werden. Nichts ist schlimmer, als den Professor oder seine wissenschaftlichen Mitarbeiter nachhaltig zu verärgern".Geringe Erfolgsquote – Verböserung aber noch unwahrscheinlicher
Zwar habe die höchstrichterliche Rechtsprechung noch keine abschließende Entscheidung getroffen. Trotzdem erteilt Reckling der weitverbreiteten Angst vor einer Verböserung im Falle einer Prüfungsanfechtung eine klare Abfuhr: "Aus meiner bisherigen Berufspraxis sowie dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen ist mir bislang kein Fall einer Verböserung bekannt. Die Neubewertung der Prüfungsleistung darf nicht zu einer Herabsetzung der erzielten Note führen. Daher birgt die Prüfungsanfechtung keine Risiken, sondern eher Chancen". Doch die sind relativ gering. In Baden-Württemberg zum Beispiel führte die Prüfungsanfechtung im Jahr 2010 nur in 3 von 80 Fällen zu einer Anhebung der Note, was einer Erfolgsquote von 3,75 Prozent entspricht. Ein ähnliches Bild bietet sich in Bayern: Hier lag die Quote 2010 bei 3,58 Prozent, 2009 bei 4,83 Prozent. Mehr auf LTO.de: Juristenausbildung: Vier gewinnt nicht Juristenausbildung: Jeder Fünfte macht in NRW ein Prädikatsexamen Juristenausbildung: Jeder Vierte macht in Berlin ein PrädikatsexamenAuf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2011 M07 19
Jurastudium
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