Junge Juristen hinter Gittern
Wenn sich der lange Schlüssel metallisch klingend dreht, schließt sich eine von vielen massiven Türen. Ein Schritt mehr, weg von der Welt da draußen. Eingesperrt, am eigenen Arbeitsplatz. Für Referendare im Strafvollzug, die in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) auf Zeit arbeiten, ist das Neuland. Außer vielleicht für diejenigen, die bereits während ihres Studiums an einem Schnuppertag oder einer Exkursion in eine JVA teilgenommen haben. Dabei steht die viel zitierte Praxiserfahrung doch so hoch im Kurs. Auch angehende Juristen sollen frühzeitig reale Welten erleben und sehen, sie sollen die Arbeitswelt fühlen. Es geht darum, zu erkennen, was juristische Entscheidungen bewirken: zum Beispiel, dass ein Mensch zum Inhaftierten wird. Dies war vielleicht eines der Motive für die verschiedenen Gruppen an deutschen Hochschulen, die schon früh den engen und intensiven Kontakt zu JVAs und ihren Häftlingen gesucht haben. Der Gesetzgeber unterstützt das ehrenamtliche, freiwillige Engagement, ermöglicht auch durch den so genannten Gegensteuerungsgrundsatz: Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken – zum Beispiel durch nicht uniformierte, nicht inhaftierte Menschen, die von draußen in die Haftanstalt kommen. Sie wirken als Bindeglied zwischen der Welt draußen und drinnen.
Beide Seiten profitieren: Kenntnisse vom Strafvollzug und soziales Training
Nicht erst Referendare, auch schon Studierende machen mit, häufig Juristen. Ein Beispiel ist die Haftgruppe des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. "Krümmede" nennen die Menschen in der Region die dortige JVA. Regelmäßig besuchen rund zehn Studenten zehn Insassen für je zwei Stunden. Und das einmal die Woche. Referate aus dem Recht im Alltag sind fester Bestandteil der Treffen. Dann folgen Diskussionen. Die Studierenden sollen durch den Kontakt mit Strafgefangenen und den Aufenthalt in einem Gefängnis die Praxis des Strafrechts und Strafvollzugs kennen lernen und damit ihre theoretische Ausbildung ergänzen. Die andere Seite, die Gefangenen, sie üben angemessenes Diskussionsverhalten in der Gruppe. Das Bochumer Projekt versteht sich auch als sozialer Trainingskurs, heißt es von Seiten der Hochschule. Seit 2004 gibt es die Initiative, der nicht nur Studierende der Rechtswissenschaften willkommen sind."Wir reden auf Augenhöhe miteinander, duzen uns"
Einen ähnlichen Weg geht die "Knastgruppe" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Professor Alexander Böhm gründete die Vereinigung für Studenten und Referendare schon 1985. Heute fahren ihre Mitglieder wöchentlich für je eineinhalb Stunden in die JVA Rohrbach. Sie treffen dort Untersuchungsgefangene. Die Leiterin der angehenden Juristen, Saskia Kerksieck, hat die Vermutung, dass die JVA die Gruppe gerne bei den Untersuchungshäftlingen hat, "weil diese schlicht unter einem zeitlichen Loch leiden. Immerhin müssen sie teils bis zu 20 Stunden auf ihrer Zelle sitzen, weil sie nicht in Behandlungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Arbeit, eingebunden sind", erklärt Kerksieck das Zuviel an Zeit der Untersuchungsgefangenen. Schließlich greift der Gedanke der Resozialisierung bei U-Häftlingen noch nicht. Erst wenn sie rechtskräftig verurteilt sind, können derlei Maßnahmen beginnen. Wichtig ist den Mainzern, auch den Gefangenen gleich klar zu machen, dass eine individuelle Rechtsberatung tabu ist. Die Treffen mit den Gefangenen beschreibt die Mitarbeiterin am Lehrstuhl Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug und Strafrecht an der Uni Mainz als so etwas wie einen regelmäßigen Stammtisch. "Wir reden auf Augenhöhe miteinander, duzen uns, sitzen alle in einem Boot." Zum Beispiel durch gemeinsame Spiele wie activity oder Uno. Es herrsche Gleichheit, sagt Kersieck,."so würde ich die Atmosphäre beschreiben."2/2: Nicht nur spektakuläre Geschichten aus dem Knast
Trotzdem, was vielleicht nach Jux und Dollerei klingt, kann so manchen an seine Grenzen bringen – und der Gruppe gar schaden. Denn auch eine U-Haft ist kein Streichelzoo. Harte Kerle, mutmaßliche Straftäter, Menschen mit tragischen Familiengeschichten oder ein Migrationshintergrund sind Lebensrealität. Darauf muss man sich erst einstellen, auf Situationen und Menschen einlassen. Vor allem geht es um Kommunikation, um ein Miteinander. An diesen Anforderungen können auch Interessenten der Mainzer "Knastgruppe" scheitern. "Wenn mir jemand gegenüber sitzt und schon Schwierigkeiten hat, mit mir ins Gespräch zu kommen, dann ist klar, dass das im Knast nochmal schwieriger wird", sagt Saskia Kerksieck. Eigentlich sei dann schon klar, dass das nicht passt. Und wen als Teilnehmer nur spektakuläre Geschichten aus dem Knast interessieren, ist ebenso fehl am Platz. Für Antje Gasser, heute Staatsanwältin in Leipzig, galt das keinesfalls. Sie war von 2006 bis 2009 Teilnehmerin der Mainzer "Knastgruppe". Die Treffen fanden noch in der JVA Wiesbaden statt. "Warum ich mitgemacht habe? Ich wollte damals über das Strafvollzugsrecht wie ich es aus der Vorlesung kannte hinaus erfahren, was Strafvollzug in der Praxis bedeutet", sagt die Juristin. Beruflich gesehen sei ihr durch die damaligen vielen JVA-Besuche heute viel bewusster, was es bedeutet, wenn sie als Vertreterin der Staatsanwaltschaft zum Beispiel einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls stellt.Nach Schließung der JVA Oldenburg: "Jurastudium hinter Gittern"
60 junge Menschen werden vom 17. bis 20. April in der JVA Oldenburg sogar "einsitzen". Nicht als Gefangene im Rechtssinne, sondern als freiwillig inhaftierte Jura-Studenten mit Schwerpunkt Strafrecht/Kriminologie im Hauptstudium. "Jurastudium hinter Gittern" heißt das Seminar, eine Kooperationsveranstaltung der Universitäten Hamburg, Greifswald, Münster und Göttingen sowie der JVA Oldenburg. Der Besondere Ansatz: Wie Gefangene unter realitätsnahen Bedingungen sollen die Studierenden den Knastalltag erleben. Zellentüren werden sich nachts schließen, Schlösser einrasten. Wer möchte, muss das nicht über sich ergehen lassen. Wer zum Beispiel eine Panikattacke befürchtet, verzichtet aufs Verriegeln. Und raus kann jeder zu jeder Zeit. Andere, echte Strafgefangene werden dann nicht mehr dort sein. Die alte JVA Oldenburg wird dauerhaft geschlossen. Deshalb ist solch ein Seminar möglich. Das Land Niedersachsen hat die Räume und Fachpersonal für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt. Die Studenten sollen bei dem Projekt erleben, was Strafe eigentlich bedeutet, ganz subjektiv. Wie ist Vollzug von innen? Diese Frage sollen sie anschließend beantworten können. Angemeldet hatten sich weit mehr als die 60 Studierenden, die nun am Projekt teilnehmen. Projekte, Gruppen, Spiele und Reality-Seminare begleiten junge Juristen in die Arbeitswelt. Schon länger etabliert sind die so genannten Moot Courts. Bei diesen Gerichtsspielwettbewerben schließen sich Studierende zumeist als Teams zusammen und spielen Anwälte in einem simulierten Gerichtsverfahren. "Die Teams üben erstmals die anwaltliche und parteiische Bearbeitung von Sachverhalten – eine Schlüsselqualifikation, die die meisten Juristen erst im Referendariat erwerben", heißt es von Seiten der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Wenn die Studierenden und Referendare dann auch tatsächlich reale Welten abseits der Theorie erleben, sehen und fühlen können – umso besser. So wie Staatsanwältin Antje Gasser. "Die Situation der U-Häftlinge wurde mir immer dann besonders bewusst, wenn wir als Gruppe die JVA verlassen haben und wir beispielsweise noch einen schönen Frühlingstag in der Eisdiele genießen konnten, während die Gefangenen wieder auf ihre Hafträume gebracht wurden", sagt die Juristin. * Anm. d. Red: Im Teaser stand zunächst, an dem Projekt in der JVA Oldeburg könnten Studenten und Referendare teilnehmen. Das ist nicht zutreffend, es handelt sich um eine Veranstaltung ausschließlich für Studenten. Die Änderung wurde vorgenommen am 05.04.2013, 11:00 Uhr.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2013 M04 4
Jurastudium
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