Zukunftsstudie des Deutschen Anwaltvereins
Wer weit in die Zukunft schauen will, der muss zunächst die Gegenwart im Blick haben. So beginnt die Studie des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit einer umfassenden Bestandsaufnahme über den Status Quo des deutschen Rechtsdienstleistungsmarktes. In dieser Begriffswahl liegt bereits die erste Weichenstellung verborgen, denn wo früher womöglich noch vom Anwalts- oder Rechtsberatungsmarkt die Rede gewesen wäre, wird nun ein sprachliches Zugeständnis aus zweierlei Anlass nötig: Nicht alles, was der Anwalt von heute anbietet, ist Rechtsberatung, und nicht jeder, der Rechtsrat erteilt, ist Anwalt. Allerdings: Gut 160.000 Volljuristen sind es – mehr als zwölfmal so viele wie zu Anfang der 50er Jahre. Auch die Anzahl der Kanzleien ist mit über 54.000 auf einem Allzeithoch angekommen; vor allem in den Ballungsgebieten herrscht oftmals ein Überangebot an Advokaten, die seit der Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes im außergerichtlichen Bereich zudem Konkurrenz von Autohändlern, Werkstattbetreibern, Sachverständigen, Banken und sonstigen wirtschaftlichen Akteuren erfahren.
Teils prekäre Arbeitsbedingungen in der deutschen Anwaltschaft
Doch damit nicht genug. Unter dem Stichwort des "Legal Outsourcing" werden so manche Arbeiten, die vormals aus einer Hand erfolgten, an externe Dienstleister vergeben. "Sie können sich das wie den Bau eines Pkw vorstellen. Einige Teile stellt das Unternehmen selbst her, andere kauft es extern ein, und am Ende fertigt es ein komplettes Produkt daraus", erläutert Rechtsanwalt Markus Hartung, Gründungsdirektor des Bucerius Center on the Legal Profession. "Eine M&A Transaktion, zum Beispiel, besteht aus vielen einzelnen Arbeitsschritten. Manches davon ist hartes, juristisches Handwerk. Anderes hingegen, wie die Durchsicht von abertausenden von Unterlagen, muss nicht unbedingt vom teuren, kanzleieigenen Associate bearbeitet werden. Solche Aufgaben werden schon heute, auch im Premium-Bereich, teilweise extern erledigt. Dieser Trend wird noch zunehmen." Diese Rahmenbedingungen gehen an Deutschlands Anwälten nicht spurlos vorbei. Ein Drittel aller Kanzleiinhaber gibt an, starken Wettbewerbsdruck zu spüren, ganze 40 Prozent sind mit dem Verhältnis von investierter Arbeit zu erwirtschaftetem Einkommen unzufrieden. Dabei zeigt sich deutlich: Je größer die Kanzlei und je internationaler und gewerblich geprägter die Mandantschaft, desto positiver fällt die wirtschaftliche Bilanz aus. Während beinahe jeder vierte Einzelanwalt ohne Personal seine Ertragslage als mangelhaft einstuft, zieht unter Kanzleiinhabern mit drei bis fünf Anwälten nur noch gut jeder 20. ein solch negatives Fazit. "Ich finde es alarmierend, dass gerade unter Anwälten mit vornehmlich privater Mandantschaft die Lage so schlecht ist“, kommentiert Martin Huff, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln, "schließlich sind diese elementar für einen funktionierenden Rechtsstaat. Man muss sich aber schon fragen, wer heute noch so eine Sozietät eröffnen will, wenn er sieht, dass über 40 Prozent seiner Kollegen ihre wirtschaftliche Ausbeute mangelhaft oder ausreichend, und ein weiteres Drittel sie lediglich befriedigend finden."2/2: Wie im Tierreich: Die Großen fressen die Kleinen, Spezialisten finden ihre Nische
Die häufigste Strategie, um sich in der aktuellen Situation zu behaupten, liegt in der rechtlichen Spezialisierung, die oftmals mit dem Erwerb eines Fachanwaltstitels verknüpft wird – gute 50 Prozent der befragten Kanzleiinhaber geben an, sich einen Schwerpunkt zu suchen. Eine Zahl, die man hoch finden kann, oder auch niedrig, bedeutet sie doch im Umkehrschluss, dass noch fast jede zweite Kanzlei aus Generalisten besteht. Hartung jedenfalls prophezeit dem klassischen Feld-, Wald- und Wiesenanwalt ein zeitiges Ende: "Die Kanzlei an der Ecke, bei der Sie dem Anwalt Ihre Lebensgeschichte erzählen, die er nicht versteht, um dann rechtliche Ausführungen zu hören, die Sie nicht verstehen, und eine Rechnung zu kriegen, die Sie nicht bezahlen können, ist im Grunde schon tot – sie weiß es nur noch nicht." Der Trend scheint ihm Recht zu geben: Von den knappen 50 Prozent, die sich derzeit noch nicht auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert haben, gibt mehr als jeder fünfte an, dies in Zukunft tun zu wollen. Ganz so einfach will Huff sich von der Idee des Universaljuristen indes nicht verabschieden: "Ich denke, Anwälte dürfen ihre breite fachliche Bildung nicht zu leichtfertig abschreiben. Wenn es nur noch Fachanwälte und Experten gibt, die irgendwelche winzigen Nischen bedienen, dann kann der Laie im Zweifelsfall doch gar nicht einschätzen, welchen von denen er aufsuchen soll. Wenn Sie krank sind, gehen Sie schließlich auch erstmal zum Hausarzt, das wird 2030 nicht anders sein als heute."Technischer Fortschritt wichtigster Treiber der Veränderung
Dennoch – dies räumt auch Huff freigiebig ein – wird der Spezialist bis 2030 zu den Profiteuren des Anwaltsmarktes zählen. Doch nicht er allein, sondern auch sein Artverwandter, der Technologe. Dieser hat nach dem Befund der Studie eine Menge bislang ungenutzter Potentiale auszuschöpfen. So besitzt derzeit noch mehr als jede vierte Kanzlei keine eigene Homepage; ein kanzleieigenes Netzwerk kommt nur bei 30 Prozent zum Einsatz. Auch die elektronische Mandatsakte verwenden lediglich ein Drittel aller Kanzleien, wobei weitere 13 Prozent in diesem Punkt nachrüsten wollen. Die Studie geht davon aus, dass die Behörden des Justizwesens ihre eigene Infrastruktur auf das Vorhandensein digitaler Akten ausrichten werden, und die E-Akte bis 2030 den Standard in allen Kanzleien bilden wird. Ein Bereich, in dem der technische Fortschritt sich nur eingeschränkt bemerkbar machen wird, ist hingegen der Aufbau eines starken Netzwerks. Da die Entscheidung für einen bestimmten Anwalt stets auch eine Frage des Vertrauens und des persönlichen Eindrucks ist, wird Mund-zu-Mund Propaganda weiter über Erfolg oder Misserfolg bei der Mandatsakquise entscheiden. Klassische Instrumente, wie etwa der Besuch von Kongressen oder das Veranstalten von Vorträgen, können jedoch durch öffentlich zugängliche Publikationen im Internet ergänzt werden, um sich einen soliden Kundenstamm zu erschließen. Eine einheitliche Präsentation der eigenen Kanzlei nach Außen ("Corporate Design") trägt ebenfalls zur Markenbildung und letztlich zum wirtschaftlichen Erfolg bei.Eine rosige Zukunft – aber für wen?
Schließlich könnte keine Studie zur Zukunft der deutschen Anwaltschaft komplett sein, ohne sich den persönlichen Bedürfnissen jener zu widmen, die diese Anwaltschaft in zehn bis 20 Jahren stellen werden: der sogenannten Generation Y nämlich, die mit ihrem Wunsch nach weniger Arbeit und mehr Freizeit aktuell in aller Munde ist. Bereits heute bietet über die Hälfte aller Kanzleien die Möglichkeit von Arbeit in Teilzeit an; flexible Modelle wie Home Office oder Gleitzeit sind immerhin bei jeder vierten Kanzlei im Einsatz. Beides soll sich bis 2030 noch deutlich steigern, wobei fraglich bleibt, wie viele Juristen im Lichte des ebenfalls steigenden Konkurrenzdrucks und der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt im Stande sein werden, ihre Wunschvorstellungen in diesem Punkt tatsächlich durchzusetzen. "Solche Angebote sind gut und wichtig", meint Huff, "aber sie leben von denen, die von ihnen leben können." Trotz der nicht unerheblichen Herausforderungen, die die kommenden Jahre mit sich bringen, gelangt die Studie zu einem überwiegend positiven Fazit. Die Anwaltschaft befinde sich derzeit in einer Position der Stärke, und damit in der idealen Ausgangslage, um die nötigen Weichenstellungen vorzunehmen. Damit solle sie sich jedoch nicht zu viel Zeit lassen, denn: "mit jedem Jahr nehmen der Handlungsspielraum ab und der Handlungsdruck zu".Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2013 M06 7
Anwaltsberuf
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