Seminar zu Diversity-Kompetenz

"Die Kanzlei der Zukunft muss auf Viel­falt setzen"

Interview mit Dr. Nina Althoff, Aliyeh Yegane AraniLesedauer: 5 Minuten

Diskriminierung erkennen, mit Vielfalt umgehen – Anwälte kommen täglich mit unterschiedlichsten Menschen und Schicksalen in Berührung, werden hierauf in ihrer Ausbildung jedoch kaum vorbereitet. Das Institut für Menschenrechte bietet ein Seminar an, das Abhilfe schaffen soll. Welche Vorteile dies für den einzelnen Anwalt bietet, erklären Nina Althoff und Aliyeh Yegane Arani im Gespräch mit LTO.

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LTO: Diversity ist ein Modewort, in Verbindung mit "Kompetenz" aber eher ungewohnt – was genau verbirgt sich dahinter, Frau Dr. Althoff?

Althoff: Diversity-Kompetenz bedeutet einen professionellen und wertschätzenden Umgang mit Vielfalt und Differenz im Hinblick auf verschiedenste Dimensionen, wie etwa Migrationshintergrund, Religion, Behinderung, Geschlechtsidentitäten, sexuelle Vielfalt, Alter und Lebenskonzepte. Vor dem Hintergrund, dass sich die Bevölkerung in Deutschland verändert und vielfältiger wird, sind Diversity- und interkulturelle Kompetenz heutzutage Schlüsselqualifikationen. Zu einem Diversity-sensiblen Umgang gehört auch ein Bewusstsein für die in der Gesellschaft noch immer präsenten Machtstrukturen und Chancenungleichheiten.

LTO: Nun richten Sie sich gezielt an Anwältinnen und Anwälte (im Folgenden wird das generische Maskulinum verwendet, welches gleichwohl selbstverständlich auch Frauen miterfasst, Anm. d. Red.) und werden dabei nicht nur vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds unterstützt, sondern kooperieren auch mit dem Deutschen Anwaltsinstitut. Was haben gerade Anwälte mit Diversity zu tun?

Althoff: Anwälte haben in der täglichen Praxis mit zahlreichen Mandanten zu tun, die sich etwa hinsichtlich ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, ihres Alters oder Bildungsstandes stark unterscheiden. Dies Vielfaltbringt besondere Herausforderungen für die Kommunikation und Beratung und die daran anschließenden Prozessstrategien mit sich. Um einen wirksamen Rechtszugang aller zu gewährleisten, braucht es eine Öffnung von Justiz und Anwaltschaft für die Vielfalt der Gesellschaft.

"Neue Mandanten zielgruppenorientiert akquirieren"

LTO: Das müssen Sie bitte konkreter erläutern: Was genau soll es einem Anwalt bringen, wenn er sich besser auskennt mit der Unterschiedlichkeit von Menschen? In welchen Situationen kann er davon profitieren?

Althoff: Ein Bewusstsein für Diversity verändert Haltungen, kann stereotype Rollenbilder auflösen und sensibilisiert für unterschiedliche Kommunikationsstile. Ein Diversity-kompetenter Anwalt hat zudem ein Bewusstsein für Ausschließungsmechanismen wie Rassismus und Diskriminierung beim Zugang zum Recht. Wer Diversity-kompetent ist, bietet einen diskriminierungs- und barrierefreien Service, kann die anwaltliche Beratung optimieren und neue Mandanten zielgruppenorientiert akquirieren. Auch der aktuelle Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft zeigt, dass Kommunikationsdefizite auf Seiten der Anwaltschaft eine der Hauptursachen von Konflikten sind, und Streitigkeiten nicht selten auf fehlender Erläuterung der juristischen Materie beruhen.

Arani: Nicht nur die Mandantschaft, sondern auch die Anwaltschaft wird heterogener. Sie wird zunehmend durch weibliche Anwälte geprägt, auch werden Anwälte mit Migrationshintergrund oder Absolventen mit den unterschiedlichsten Abschlüssen auf dem Rechtsberatungsmarkt immer präsenter. Um zukunftsfähig zu bleiben und für eine vielfältige Mandant- und Anwaltschaft weiterhin eine kompetente Dienstleistung oder ein attraktives Arbeitsumfeld bieten zu können, müssen Kanzleien jeder Größe dieser Vielfalt und den sich dadurch verändernden Kommunikationsstilen und Bedürfnissen auch in ihrer Kanzleistruktur und –kultur entsprechen.

LTO: Sprechen Sie mit Ihrem Fortbildungsangebot bestimmte anwaltliche Fachrichtungen an?

Althoff: Wir sprechen mit den Qualifizierungsangeboten zum Diversity-Kompetenzaufbau alle Rechtsanwälte an, egal ob diese selbstständig oder in einer Boutique oder Großkanzlei angestellt sind. Die Mehrheit der Kanzleien in Deutschland hat indessen die Bedeutung von Diversity-Kompetenz und Diversity-Konzepten bisher nicht erkannt. Lediglich große internationale Anwaltssozietäten verfügen vereinzelt über Diversity-Strategien; in dem in Deutschland überwiegenden Segment mittlerer und kleinerer Anwaltskanzleien ist dies nicht der Fall

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2/2: "Kanzleimaßnahmen sollten ein Bekenntnis zu Vielfalt darstellen"

LTO: Das Aufbaumodul zum Thema Diversity-Kompetenz trägt den Untertitel "Kanzleimanagement". Frau Arani, können Sie als die Leiterin des Seminars erläutern, wie sich das Thema Diversity im Kanzleialltag umsetzen lässt – und was das bringt?

Arani: Ein Diversity-orientiertes Kanzleimanagement dient der Entwicklung einer strukturierten und professionellen Öffnung der Kanzleien für neue Anwaltskollegen sowie Mandantengruppen. Ergebnisse eines Diversity-Prozesses können vielfältig sein: So kann zum Beispiel eine Verbesserung der Work-Life-Balance und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorgenommen werden, um hochqualifizierte Frauen oder Junganwälte besser gewinnen zu können. Für die Rekrutierung von schwulen oder lesbischen Anwälten oder von Anwälten mit Migrationshintergrund sind proaktive Maßnahmen wichtig, die ein klares Bekenntnis zu Vielfalt darstellen, wie etwa die Einrichtung eines LSBTI (Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, und Intersexuelle, Anm. d. Red.) Netzwerkes oder die Präsentation auf zielgruppenspezifischen Veranstaltungen wie Sticks and Stones, der Karrieremesse für Schwule, Lesben und Heteros.

Aber auch in der professionellen Mandantenakquise und beim Mandantenmanagement, einem von Kanzleien vielfach vernachlässigten Bereich, wird die Einbeziehung von Diversityfaktoren in Anbetracht des demographischen Wandels und der sich verändernden Bevölkerungsstruktur unerlässlich sein. Um das Vertrauen der Mandantschaft von morgen gewinnen zu können, sind interkulturell sensible Ansprachen zum Beispiel im Kanzleiauftritt oder eine barrierefreie, mehrsprachige, auch in einfacher Sprache verfügbare, Webseite wichtige Instrumente. Studien belegen den unternehmerischen Nutzen von Diversitymanagement und zeigen, dass sich zum Beispiel personelle Vielfalt – etwa in Bezug auf Altersstruktur und Migrationshintergrund – positiv auf die unternehmerische Stärke auswirkt und die Innovationsfähigkeit und Flexibilität erhöht.

"Diversity ist entscheidend beim Wettbewerb um qualifiziertes Personal"

LTO: Gibt es belastbares Zahlenmaterial darüber, ob und inwieweit sich solche Maßnahmen, wenn man sie in der Kanzlei umsetzt, auf Mandatierungen, Umsätze oder Gewinne auswirken?

Althoff: Im zunehmenden Wettbewerb um hoch qualifiziertes Personal verschaffen sich Kanzleien mit Diversity Management Vorteile gegenüber Mitbewerbern. So hat die Zukunftsstudie des DAV gezeigt, dass junge Anwältinnen im Schnitt besser qualifiziert sind als ihre Kollegen. Kanzleien tun also gut daran, attraktive Arbeitsbedingungen für Frauen zu schaffen. Es hat sich auch gezeigt, dass monokulturelle Kanzleien weniger flexibel auf Veränderungen auf dem Rechtsberatungsmarkt reagieren können. Diversity Management verhindert Diskriminierungen, verbessert die Chancengleichheit und macht die Vielfalt der Beschäftigten für den Unternehmenserfolg nutzbar. Nicht zuletzt achten die internationale Mandantschaft und auch die öffentliche Hand bei der Kanzleiauswahl zunehmend auf Diversity.

LTO: Mit Ihrem Institut kämpfen Sie nicht nur für Diversity, sondern setzen sich allgemein dafür ein, dass Anwälte die Verletzung von Menschenrechten stärker fokussieren und in ihre tägliche Arbeit aufnehmen. Was genau steht auf Ihrer Agenda?

Althoff: Der Zugang zum Recht ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Menschenrechte und daher ein Schwerpunkt der Arbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege spielt beim Zugang zum Recht eine Schlüsselrolle – auch die Vereinten Nationen haben das anerkannt und wiederholt die Bedeutung der Anwaltschaft betont. Im Januar 2012 haben wir das Projekt "Anwaltschaft für Menschenrechte und Vielfalt" gestartet, das Informations- und Fortbildungsmodule für Rechtsanwälte entwickelt und anbietet. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Menschenrechten.

Wir möchten die Anwaltschaft darin qualifizieren, die europäischen und internationalen Menschenrechtsabkommen für Gerichts- und Beschwerdeverfahren zu nutzen – sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Der zweite Schwerpunkt sind Fortbildungen zu Diversity- und interkultureller Kompetenz. Langfristig sollen die Fortbildungen in die Curricula der juristischen Bildungsträger aufgenommen werden, dafür arbeiten wir mit verschiedenen Kooperationspartnern zusammen, etwa dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltsinstitut.

LTO: Frau Dr. Althoff, Frau Arani, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dr. Nina Althoff ist Leiterin des Projekts "Anwaltschaft für Menschenrechte und Vielfalt" des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Aliyeh Yegane Arani ist dort für Menschenrechtsbildung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

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