Marina Arntzen zur Family-Work-Balance in der Kanzlei

"Es gibt zu wenig Vor­bilder – vor allem für Männer"

Interview von Linda PflegerLesedauer: 7 Minuten

Sie hat ein Buch zur Family-Work-Balance geschrieben, in dem sie Anwält:innen Mut machen möchte. Im Interview spricht Marina Arntzen über fehlende Vorbilder, Selbstfürsorge, Veränderungen in Kanzleien und ihren persönlichen Alltag. 

LTO: Frau Arntzen, Sie haben drei Kinder, arbeiten als Rechtsanwältin in einer internationalen Wirtschaftskanzlei, engagieren sich ehrenamtlich und haben ein Buch mit dem Titel "Family-Work-Balance für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte" geschrieben. Wie sieht denn Ihre Family-Work-Balance aus?
Marina Arntzen (lacht): Das ist eine gute Frage. Manchmal gelingt das Jonglieren der einzelnen Bereiche sehr gut, manchmal natürlich auch nicht so. Ich glaube, das Wichtigste für mich ist, dass ich große Freude an dem habe, was ich mache und ich mich bewusst für diesen Weg entschieden habe. Das hilft mir insbesondere in arbeitsintensiven Phasen, in denen die private und berufliche Balance nicht so ausgewogen ist. Steht zum Beispiel eine Transaktion kurz vor dem Abschluss, ist häufig viel zu tun, gelegentlich wird auch bis nachts verhandelt. Oder aber ich bin auf Geschäftsreise und kann deshalb nicht zu Hause sein. Im Anschluss an eine solche Phase versuche ich, wieder mehr die Balance zu finden. Das bedeutet auch, dass ich für mich die Balance nicht punktuell betrachte, sondern über mehrere Tage hinweg. 

Das klingt, als würden Sie oft eher wenig schlafen? 
Der Schlaf kommt tatsächlich oft zu kurz momentan. Das liegt aber auch einfach an meiner aktuellen Lebensphase, in der die Kinder noch klein sind. Ich stehe früh auf, um mit ihnen Zeit zu verbringen und gehe häufig spät ins Bett, um abends noch Dinge zu erledigen. Dann habe ich auch noch Hobbies und möchte Zeit mit meinem Mann und Freunden verbringen. Ich habe aber das große Glück, sehr gut ein- und weiterschlafen und generell abschalten zu können. Dadurch habe ich viel Energie für den Tag. 

Sie schreiben in Ihrem Buch auch über die Wichtigkeit von Selbstfürsorge, kommt das dann doch oft zu kurz? Wie kann das gelingen? 
Ich bin mir sehr bewusst darüber, wie wichtig Resilienz ist. Selbstfürsorge ist die Basis von Leistung. Ich versuche daher auch in herausfordernden Zeiten auf mich zu achten und mir kleine Erholungsinseln im Alltag zu schaffen, z.B. den Weg zur Arbeit auf dem Fahrrad. Im Rahmen meines Buches habe ich ein Interview mit einer Anwältin geführt, die sich beispielsweise ganz feste Zeiten für ihr Sporttraining im Kalender einträgt. Auch ich gehe als Ausgleich u.a. regelmäßig Joggen und mache Yoga. Für mich ist es aber auch schon ein Ausgleich, wenn ich nach der Arbeit etwas mit den Kindern unternehme. Ein wichtiger Aspekt für Selbstfürsorge ist auch, nicht alles alleine schultern zu müssen, sondern Unterstützung annehmen zu können und sich dadurch Freiräume zu schaffen. 

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"Es ist wichtig, mit welcher Message die Schwangerschaft mitgeteilt wird"

Warum beziehen Sie sich anstatt des gängigen Begriffes der "Work-Life-Balance" so spezifisch nur auf die "Family", was ist mit "Life"?
Gerade für Kanzleien ist es eine große Herausforderung, Rechtsanwältinnen, aber auch Rechtsanwälte, auf Senior-Ebenen zu halten. Schaut man sich Studien an, gibt es viele weibliche Associates. Sie verlassen jedoch häufig die Kanzlei zu dem Zeitpunkt, an dem sie Kinder bekommen, sodass sich der weibliche Anteil in den oberen Ebenen ausdünnt. Daher habe ich das Thema eingegrenzt, aber auch um die Pflege Angehöriger ergänzt, die sich für manche nahtlos an die Kindererziehung anschließt.

Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Initiative "breaking through" erhalte ich auch immer wieder Anfragen jungen Anwältinnen zu genau diesem Thema. Viele haben den Eindruck, sich zwischen Karriere und Kindern entscheiden zu müssen. Das finde ich schade. Wichtig war es mir aber auch, die männliche Perspektive einzubeziehen. Grundsätzlich gibt es noch zu wenig Vorbilder für eine Family-Work-Balance in Kanzleien, für Männer noch weniger als für Frauen. Männer stehen da oft vor anderen Herausforderungen. 

Wie sehen die Herausforderungen für Männer im Gegensatz zu denen der Frauen aus? 
Das Thema muss erst einmal überhaupt für Männer adressiert werden. Ich kenne viele Männer mit Kindern, von denen das Arbeitsumfeld noch nicht einmal weiß, wie viele Kinder sie genau haben. Bei Frauen sind die Elternschaft und die Anzahl der Kinder dagegen schon allein aufgrund der Sichtbarkeit der Schwangerschaft meist allen bekannt. Männer werden auch nicht ungefragt "belehrt", wie viele Kinder mit dem Anwaltsberuf vereinbar wären, was bei Frauen durchaus vorkommt. Zudem ist es für Frauen auch strategisch sehr wichtig, sich zu überlegen, wie, wem und mit welcher Message die Schwangerschaft im beruflichen Kontext mitgeteilt wird. Einige Tipps dazu finden sich in meinem Buch, u.a. von der Rhetorikexpertin Constanze Eich.

Bei Frauen ist es gesellschaftlich anerkannt und selbstverständlich, Elternzeit zu nehmen oder der Familie wegen weniger zu arbeiten. Wenn sich ein Mann für diese Möglichkeiten entscheidet, sorgt das dagegen oft noch für Überraschung und Staunen. Das muss sich ändern. Eine Voraussetzung für Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile ist die Einbeziehung der Männer in einen Kulturwandel, hin zu einem modernen gleichberechtigten Familienbild. 

"Nicht nur an klassische Teilzeit denken, es gibt auch andere Wege"

Das erste Kapitel Ihres Buches heißt: "Der Weg zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Kanzleien". Wie sieht der aus?
Aus meiner Sicht sind drei Perspektiven für den Weg zu einer besseren Vereinbarkeit wichtig: die gesellschaftlich-politische Ebene für strukturelle Rahmenbedingungen; die Ebene der Kanzleien mit einer zeitgemäßen Arbeitskultur, Flexibilität und der Möglichkeit unterschiedlicher Arbeitsmodelle; und die individuelle Ebene der persönlichen Entscheidungen – der eigenen und der gemeinsamen in der Partnerschaft. Wenn auf diesen drei Ebenen jeweils die Voraussetzungen und Maßnahmen stimmen, kann die Family-Work-Balance gelingen und man kann das individuell passende Modell finden. 

Die eher traditionelle Kanzleiwelt hat sich gerade in der letzten Zeit sehr verändert. Kanzleien muss ebenfalls ein Balanceakt gelingen: Sie sind Wirtschaftsunternehmen, die profitabel agieren müssen, wozu sie die besten Köpfe brauchen. Studien zeigen, dass Bewerberinnen und Bewerbern nicht mehr das Einstiegsgehalt, sondern das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Vereinbarkeit mit privaten Hobbys, ein sympathisches und funktionierendes Team und ein guter Zusammenhalt am wichtigsten sind. Dafür sollten Kanzleien die Voraussetzungen schaffen.

Was sind derzeit die größten Hindernisse für eine gute Family-Work-Balance?
Das kann man wieder ganz gut aus den drei bereits genannten Perspektiven betrachten: Auf der gesellschaftlich-politischen Ebene ist beispielsweise die Kinderbetreuung oft nicht ausreichend. Außerdem ist ein Selbstverständnis für ein gleichberechtigtes Familienbild und damit einhergehend die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern wichtig.

Die Kanzleiwelt braucht mehr Verständnis für die einzelnen Bedürfnisse. In meinem Buch stelle ich beispielsweise dar, dass es neben der "klassischen" Teilzeit noch viele andere Arbeitsmodelle gibt, über alternative Karrierewege bis hin zu projektbezogener Arbeit. 
Auf individueller Ebene besteht schließlich das Hindernis, dass vielen Menschen zunächst nicht klar ist, welche Ziele sie haben – privat und beruflich – und wie sie das gestalten und kommunizieren können. Man sollte seine Vorstellungen auch in der Partnerschaft besprechen, bevor die Familienplanung losgeht. Dann kommt die Überraschung nicht erst, wenn man mittendrin steckt und einem womöglich alles über den Kopf wächst. 

"Ich möchte Mut machen, aber weiß auch, dass man einen langen Atem braucht"

Auch an vielen Stellen im Buch schreiben Sie, dass man sich gut in der Partnerschaft abstimmen und zusammenarbeiten muss. Ist es dagegen für Alleinerziehende überhaupt möglich, eine ausgewogene Family-Work-Balance zu halten? 
Aus eigener Erfahrung kann ich dazu nichts sagen, weil ich nicht alleinerziehend bin. Aber ich denke, dass Family-Work-Balance auch Alleinerziehenden mit viel Unterstützung gelingen kann. Statt mit dem anderen Elternteil stimmt man sich dann möglicherweise mit helfenden Eltern, Babysittern oder Freunden ab. Mir ist aber auch bewusst, dass Unterstützung häufig Geld kostet. Wichtig ist es daher, einen finanziellen Überblick zu haben und so mögliche Arbeitsmodelle berechnen zu können, was ich in meinem Buch genauer aufzeige. 

Wie sehen die Planung und Unterstützung bei Ihnen persönlich aus?
Mein Mann und ich sind ständig im Dialog und organisieren uns so gut es geht. Dazu haben wir einen gemeinsamen digitalen Kalender, in den wir alle unsere Termine eintragen. Wir besprechen sonntags einmal komplett die anstehende Woche und stimmen uns zusätzlich jeden Tag neu ab. Feste Termine, wie z.B. Kindersport, sind vorgeplant und bereits organisiert. Wir haben Unterstützung durch ein Au-pair, ab und an Eltern und Nachbarn und haben Fahrgemeinschaften organisiert, sodass immer eine Person einspringen kann. Dafür springen wir ebenfalls für andere ein.

Wann wird eine Family-Work-Balance in deutschen Kanzleien selbstverständlich sein?
Da bin ich gespannt und optimistisch. Ich denke, dass das Thema jetzt tatsächlich Fahrt aufnimmt, dies zeichnet sich schon seit einiger Zeit ab. An den Reaktionen auf mein Buch merke ich, dass es die Menschen beschäftigt und sich das Bewusstsein weiter schärft. Das möchte ich vorantreiben und einfach Mut machen. Aber mir ist auch bewusst, dass wir hier noch einen langen Atem brauchen. 

Einige Bewerberinnen und Bewerber schaffen allerdings schon jetzt einen neuen Wind, indem sie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder/und Familie als selbstverständlich ansehen und auch voraussetzen. Dadurch hoffe ich, dass der Weg zu einer besseren Vereinbarkeit für alle nicht mehr ganz so lange dauert.

Marina Arntzen, LL.M. ist Rechtsanwältin in einer internationalen Wirtschaftskanzlei, spezialisiert auf den Fachbereich Corporate/M&A, und Leiterin der Ratvermittlung und Redakteurin bei der Initiative "breaking.through".
 

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