"Es ist zwei vor zwölf"
"Viele Kanzleien im Rhein-Main-Gebiet suchen händeringend Notarfachangestellte. Auf Stellenausschreibungen erhalten wir aber inzwischen nur noch wenige Bewerbungen. Deshalb überlegen wir jetzt sogar, Quereinsteiger einzustellen". Sophie Saraf, Rechtsanwältin und Notarin bei der Kanzlei Klein Sarris Saraf Partnerschaft mbB in Wiesbaden, findet deutliche Worte.
Und nicht nur die Notariate im Rhein-Main-Gebiet schlagen Alarm. Mitarbeitende zu finden, ist im Notariat noch viel schwieriger als im Anwaltsbereich, sagt Marion Proft, Inhaberin von LegalProfession, einer Personalberatung für juristische Berufe, insbesondere für Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte (ReNoFa).
Auch die Ausbildungszahlen bei den ReNoFas sind extrem stark gesunken: Während im Jahr 1998 noch knapp 4.200 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden, waren es im Jahr 2022 nur noch 837 – ein Rückgang um mehr als 80 Prozent. Die Ausbildungszahlen bei den Notarfachangestellten (NoFas) hingegen steigen an: von 246 neuen Ausbildungsverträgen im Jahr 2008 auf 576 im Jahr 2021, so die Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung. Das dürfte – neben der Tatsache, dass mittlerweile mehr Länder NoFas ausbilden – vor allem an der höheren Vergütung liegen. Diese ist nicht einheitlich festgelegt, aber es gibt Vergütungsempfehlungen der einzelnen Notarkammern, die – soweit bekannt – in den Jahren 2020/2021 zwischen 750 und 1.036 Euro brutto betrugen. Bei den ReNoFas lagen die Empfehlungen im Jahr 2021 zwischen 550 und 1.100 Euro, wobei Karlsruhe und Freiburg mit 1.000 bzw. 1.100 Euro deutliche Ausreißer nach oben sind. Dennoch reicht die Anzahl der NoFa-Auszubildenden bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken.
Die Unterscheidung zwischen der ReNoFa- und NoFa-Ausbildung geht darauf zurück, dass es Anwaltsnotar:innen gibt, d.h. solche, die den Notarberuf neben der Anwaltstätigkeit ausüben, und Nur-Notar:innen, also hauptberufliche Notar:innen. Diese Differenzierung hat historische Gründe. Das bedeutet aber nicht, dass man jeweils nur in der einen Gruppe arbeiten kann. Gegebenenfalls ist aber eine ausführliche Einarbeitung erforderlich. Kanzleien und Notariate haben aber massive Probleme, geeignete Mitarbeitende zu finden. Woher kommt dieser Fachkräftemangel?
"Aufgaben mit fachlichem Level von Rechtspflegern vergleichbar"
"Der Beruf des oder der Notarfachangestellten ist bei jungen Menschen wenig bekannt", so Proft. Unter Rechtsanwaltsfachangestellten könne man sich vielleicht noch etwas vorstellen, schließlich gebe es zumindest einige, wenn auch unrealistische Anwaltsserien. Was man aber in einem Notariat macht, wüssten viele nicht. Fachkräfte in den Notariaten übernehmen die Sachbearbeitungen für die Aufträge der Notar:innen etwa im Grundstücksrecht, Gesellschaftsrecht und Familien- und Erbrecht.
"Mit etwas Berufserfahrung können Notarfachangestellte zum Beispiel einen Grundstückskaufvertrag oder die Urkunden für eine GmbH-Gründung selbst entwerfen und dem Notar vorlegen", so Ronja Tietje, Vorstandsmitglied bei der Vereinigung der Rechtsanwalts- und Notarangestellten e.V. (RENO Bundesverband). "Gute Notarfachangestellte sind die rechte Hand des Notars und bereiten Urkunden völlig selbständig vor", bestätigt Saraf." Das spiegelt sich häufig auch im Gehalt wider. Bei der Vergütung gibt es aber starke Unterschiede je nach Region und Qualifikation.
Nach außen werde der Beruf aber häufig wie eine reine Assistenztätigkeit dargestellt, sagt eine Notarfachangestellte, die namentlich nicht genannt werden möchte. "Es ist aber ein inhaltlich anspruchsvoller Job – das sollte man nach außen auch sehen", sagt sie. "Die Aufgaben, die Notarfachangestellte übernehmen, sind teilweise durchaus mit dem fachlichen Level von Rechtspflegern vergleichbar", ergänzt sie. NoFas arbeiten also sehr selbstständig und haben viel Verantwortung – das muss aber nach außen deutlich werden.
"Junge Menschen empfinden Kanzleien und Notariate nicht als eigene Wirtschaftsbranche"
Auch Tietje führt den Fachkräftemangel u.a. auf die mangelnde Bekanntheit des Berufszweiges zurück – und das liege auch an der unzureichenden Werbung. "Bundesnotarkammer und Arbeitgeber haben lange die Frage unterschätzt, wann man sich für einen Beruf entscheidet und wann sie anfangen müssen, den Beruf bekannt zu machen, nämlich in der Schule", sagt Tietje. Für ein Praktikum beim Notar entschieden sich deshalb nur wenige – und Praktika seien zudem seitens der Kanzleien und Notariate häufig nicht gut vorbereitet.
Deutlich wird auch Proft: "Junge Menschen empfinden Kanzleien und Notariate nicht als eigene Wirtschaftsbranche. Der Rechtsdienstleistungsmarkt ist sehr vielschichtig. Als Jugendlicher kennt man eventuell den Notar, der Testamente und Eheverträge ausstellt und den Hauskauf der Eltern besiegelt, aber dass Notare auch in Wirtschaftskanzleien arbeiten und für die Beurkundung von Transaktionen und Immobilienprojekten verantwortlich sind, ist nicht transparent".
Man müsse den Beruf deshalb mehr – und vor allem realitätsnäher – bewerben, so Proft und Tietje.
Neuer "Talent Manager" der Bundesnotarkammer
Die BNotK hat dafür einen sogenannten "Talent Manager" eingestellt. "Der Talent Manager soll, in Zusammenarbeit mit den regionalen Notarkammern, den Beruf des/der Notarfachangestellten professionell vermarkten", erklärt Dr. Milan Bayram, Pressesprecher der BNotK. Ziel sei es vor allem die Sichtbarkeit und Attraktivität des Berufsfeldes in Werbekampagnen, auf Karriere-Messen sowie Informationsveranstaltungen, Schulen und Universitäten zu erhöhen, sagt er.
Eine ähnliche Stelle besetzt die Hamburgische Notarkammer bereits seit dem Jahr 2015. Damals wurde eine Mitarbeiterin u.a. für den Bereich "Auszubildendenrecruiting" eingestellt, erklärt Geschäftsführer Georg Guntrum. Sie habe unter anderem Schulen und Messen besucht, gezielte Werbemittel und Online-Kampagnen eingesetzt und sich mit anderen Kammern und Berufsschulen abgestimmt. Danach hätten sich die Ausbildungszahlen merklich erhöht: von 18 neuen Ausbildungsverhältnissen im Jahr 2014 auf 35 im Jahr 2015, im Jahr 2021 waren es 39. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss der Recruiter auf Bundesebene haben wird.
Bewerber wollen bundeseinheitliche Fortbildung
Neben einem guten Gehalt erwarten Bewerber:innen heutzutage flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit, teilweise aus dem Homeoffice zu arbeiten – und das ist in der doch noch relativ konservativen Branche noch nicht überall der Fall.
Wesentlich sind außerdem fachliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Je nach Notarkammer kann man ein- oder zweistufige Weiterbildungen etwa zu Notarfachwirt:innen, Notarassistent:innen sowie Notarfachreferent:innen machen. So kann man sich fachlich weiter spezialisieren – und auf der letzten Stufe alle im Notariat anfallenden Tätigkeiten selbstständig vorbereiten und abwickeln.
Eine Fortbildung mit einem bundesweit anerkannten Abschluss, ähnlich wie z.B. der "geprüfte Rechtsfachwirt", gibt es derzeit nicht. Genau danach werde aber auf Ausbildungsmessen gefragt, so Tietje. Bei der Konzipierung neuer Fortbildungen werde es wichtig sein, die neuen Fortbildungsbezeichnungen des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), nämlich "geprüfter Berufsspezialist", "Bachelor Professional" und "Master Professional", zu berücksichtigen. Bei der Weiterbildung zu Berufsspezialisten geht es vor allem um eine fachliche Vertiefung, bei Bachelor und Master um zusätzliche Qualifikationen wie etwa Führungsverantwortung.
Wann kommt der Bachelor?
Die BNotK setzt sich derzeit für eine Fortbildungsordnung mit den Fortbildungsstufen "geprüfter Berufsspezialist" und "Bachelor Professional" ein. Auch ein berufsbegleitendes Studium für Mitarbeitende im Notariat soll eingeführt werden. "Derzeit befassen sich die Arbeitsgruppen der BNotK intensiv mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Studiengangs und den Anforderungen an ein entsprechendes Curriculum. Ergebnisse erwarten wir dieses Jahr", so Bayram.
Wichtig sei es, nicht mehr viel Zeit zu verlieren, so Tietje und Proft. "Es ist zwei vor zwölf", sagt Proft. Wenn sie einen Kandidaten habe, könne sie diesen überall vorstellen, denn alle suchen bundesweit nach Fachkräften.
Zudem werde oft nicht gut ausgebildet, sagt Dagmar Hartog, Notarfachwirtin in der Kanzlei "Kleinjohann" in der Nähe von Göttingen. "Ich würde mir mehr Fortbildungen für die Mitarbeiter wünschen, die ausbilden", schlägt sie vor. Die Jurist:innen bei Kleinjohann unterrichten die Auszubildenden für eine Stunde pro Woche – das sei aber nicht überall so, sagt sie. Viele müssten sich mit dem Unterricht in der Berufsschule begnügen.
"Notare haben zu wenig Zeit für ihr Team"
Allerdings geht es nicht nur darum, neue Fachkräfte auszubilden und einzustellen, vielmehr müssen sich Arbeitgeber auch bemühen, erfahrene Mitarbeitende zu halten. "Mitarbeitende verlassen selten die Stelle, sie verlassen die Führungskraft und das Team – jedenfalls dann, wenn die Beziehung nicht stimmt", so Dörthe Dehe. Sie war früher als Rechtspflegerin tätig, hat dann aber Psychologie studiert und berät und schult Notar:innen im Bereich der Mitarbeiterführung. "Notar:innen haben zu wenig Zeit für ihr Team", sagt sie.
Das sieht auch Tietje so: "Notare sind von 8-17 Uhr Notare. Daneben haben sie aber noch einen zweiten Beruf: Unternehmer. Wenn man aber schon den ersten Beruf bis 20 Uhr ausdehnt, wann ist man dann Unternehmer?"
Notar:innen müssten deshalb versuchen, ihren Beruf so einzuteilen, dass für Gespräche mit dem Team ausreichend Zeit bleibt, sagt Dehe. "Und zwar auch dann, wenn es gerade nichts zu klären gibt", ergänzt sie. Führungskräfte müssten ihre Mitarbeitenden emotional an den Job binden. Oft seien das langfristige Maßnahmen. Notar:innen wünschten sich zwar wegen der hohen Arbeitsbelastung oft schnelle Lösungen. "Diese können aber eine gute, tragfähige Führungsbeziehung und ein angenehmes Teamklima nicht ersetzen", so Dehe.
Das unterstreicht auch Hartog. "Chefs sollten sich Zeit nehmen und mit ihren Mitarbeitern reden, damit diese sich gehört fühlen", sagt sie.
Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung stünden die Mitarbeitenden unter permanentem Stress, berichtet auch die Notarfachangestellte. Das schlage sich oft auf die Stimmung im Team nieder.
Nicht nur für die eigene Kanzlei ausbilden
Es gibt aber auch Lösungsansätze. Die große Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) im Jahr 2022 hat die interprofessionelle Zusammenarbeit in Anwaltsgesellschaften liberalisiert. Demnach darf sich eine Anwaltskanzlei mit allen Vertretern der freien Berufe zusammenschließen, die in § 1 Abs. 2 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes genannt sind.
Solche Kooperationen sollten auch in der Berufsausbildung umgesetzt werden, findet Proft. Nach § 10 Abs. 5 BBiG besteht die Möglichkeit einer sogenannten Verbundausbildung. Kanzleien und Notariate könnten sich daher zusammentun und Auszubildende gemeinsam – unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Spezialisierung – ausbilden. "Voraussetzung hierfür wäre aber die Einsicht, dass man nicht (nur) für die eigene Kanzlei ausbildet, sondern für die Sicherung des Berufes der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten", sagt Proft.
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2023 M03 14
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