Nicht jeder Syndikusanwalt darf raus
Bisher dümpelte der Streit um die Befreiung von Syndikusanwälten von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht vor den Sozialgerichten erster Instanz. Nun hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg als erste Berufungsinstanz einen solchen Fall entschieden. Zwar wies es die Klage eines jungen Rechtsanwalts ab; es ließ aber die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu. Enden wird der Streit also erst vor dem Bundessozialgericht in Kassel. Über 100 weitere Verfahren sind derzeit in zweiter Instanz anhängig. Im Ergebnis wiesen die Stuttgarter Richter die Klage eines jungen Rechtsanwalts ab, der direkt nach dem 2. Staatsexamen in ein Unternehmen in der Abteilung "Konzeption und Koordination betrieblicher Sozialleistungen" anfing zu arbeiten. Er war der Auffassung, dass er dort anwaltlich tätig sei. Das Gericht sah dies nicht so, sondern meinte, dass der Anwalt zu wenig in eigener Verantwortung und insbesondere nicht rechtsentscheidend und -gestaltend tätig sei (Urt. v. 23.01.2013, Az. L 2 R 2671/12).
Befreiung ist grundsätzlich möglich
Im Kern geht es um die Frage, ob zugelassene Rechtsanwälte auch bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltlich tätig sein können. Denn nur dann können sie nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI von der Versicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung (DRV) befreit werden und ihre Beiträge in das Versorgungswerk der Rechtsanwälte abführen. Ein Merkblatt der DRV aus dem Jahr 2005, das im Mai 2011 noch einmal überarbeitet wurde, verlangt, dass dafür vier Merkmale erfüllt sind: Der Anwalt muss in dem Unternehmen rechtsberatend, -gestaltend, -entscheidend und -vermittelnd tätig sein. In den Verfahren vor den Sozialgerichten hatte die DRV mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) und die dort vertretene heftig umstrittene Zwei-Berufe-Theorie zunehmend bestritten, dass Syndikusanwälte überhaupt anwaltlich tätig sind. Die ersten Instanzen waren dem teilweise gefolgt. Anders nun das LSG Baden-Württemberg: "Teilweise wird die in der Rechtsprechung des BGH vertretene Zwei-Berufe-Theorie, wonach der Syndikusanwalt außerhalb seines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses einer anwaltlichen Tätigkeit nachgehe, innerhalb desselben jedoch nicht […] auf das Sozialversicherungsrecht übertragen. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen." Weiter heißt es: "Ein solches Absehen von den Inhalten und Rahmenbedingungen der Tätigkeit im Einzelfall entspricht nicht der in § 6 SGB VI getroffenen Regelung, die gerade auf eine konkrete Beschäftigung und Tätigkeit der zu befreienden Person abstellt." Damit schließt sich das LSG der Auffassung der meisten Sozialgerichte an, die grundsätzlich die Möglichkeit einer Befreiung bejahen.LSG stellt hohe Anforderung an die Erfüllung der vier Merkmale
Dem Argument der DRV und mancher Sozialgerichte, dass eine Befreiung nicht möglich sei, weil der nichtanwaltliche Arbeitgeber nicht dem Berufsrecht unterliege, erteilten die Stuttgarter Richter eine klare Absage: "Auch erschließt sich nicht, weshalb das mit einer abhängigen Beschäftigung notwendige verbundene Subordinationsverhältnis bei einem standesrechtlich nicht gebundenen Arbeitgeber einer anwaltlichen Tätigkeit immer entgegenstehen soll, bei einem Arbeitgeber, der selbst Rechtsanwalt ist, im übrigen jedoch dieselben Weisungsrechte genießt, jedoch nie. Vielmehr kann auch die Tätigkeit eines Syndikusanwalts bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber nach den allgemeinen Grundsätzen als berufsspezifisch einzuordnen sein." Damit schließt sich das LSG in Stuttgart der Rechtsprechung des LSG Hessen aus dem Jahr 2009 an, das ähnlich – allerdings vor Beginn der Diskussionen mit der DRV – argumentiert hatte. Die Sozialrichter prüften, ob der Kläger die genannten vier Merkmale erfüllte, zogen aber auch die Stellenausschreibung und den Arbeitsvertrag heran, nicht so sehr dagegen die konkrete Tätigkeitsbeschreibung. An dieser Stelle ist das Urteil nicht immer nachvollziehbar, da sich zwischen der Stellenausschreibung und der Tätigkeit des dann eingestellten Anwalts oft erhebliche Veränderungen ergeben. Hier war nur ein "Jurist" nicht aber ein Anwalt gesucht worden, weshalb das Gericht schon Zweifel an der anwaltlichen Tätigkeit hegte. Ob allein die Tatsache, dass der Kläger seinen Job Anfang März 2010 begann, aber erst Anfang Juli 2010 als Anwalt zugelassen wurde, wirklich gegen eine anwaltliche Tätigkeit spricht, ist sehr fraglich. Denn das Zulassungsverfahren kann dauern; erforderlich ist außerdem eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers, deren Ausstellung oft erst nach Tätigkeitsbeginn erfolgt.Vergleichsmaßstab ist der angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei
In der weiteren Begründung bejaht das Gericht zwar, dass der Kläger, der heute Richter ist, in dem Unternehmen rechtsberatend und -vermittelnd tätig war. Da er aber nicht ausreichend eigene Entscheidungsbefugnisse gehabt habe, hätte er weder rechtsentscheidend noch -gestaltend gearbeitet. Zwar sei der Kläger vor den Arbeits- und Sozialgerichten für sein Unternehmen aufgetreten, da § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung aber verbietet, dass man den eigenen Arbeitgeber vor Gericht als Anwalt vertritt, könnte darin keine rechtsentscheidende Tätigkeit liegen. Der Senat übersieht dabei, dass eine Vertretung als entscheidungsbefugter Mitarbeiter möglich ist – und damit sehr wohl das Merkmal der Rechtsentscheidung erfüllt sein kann. Die Entscheidung des LSG wird sicherlich für weitere Diskussionen sorgen. Zuzustimmen ist dem Gericht darin, dass eine Befreiung grundsätzlich möglich ist und die Rechtsprechung des BGH nicht anwendbar ist. Ob allerdings bei der Erfüllung der vier Merkmale so hohe Anforderungen gestellt werden dürfen, wie sie die Stuttgarter Richter formulieren, ist fraglich. Denn der Vergleichsmaßstab ist immer der angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Gerade als Berufsanfänger wird dieser auch nicht immer alle vier Kriterien erfüllen. Mit zwei Maßstäben zu messen, ist aber rechtlich sehr bedenklich. In den nächsten Monaten werden wohl die Landessozialgerichte in Bayern und Nordrhein-Westfalen ihre ersten Entscheidungen fällen. Dabei ist es für alle Beteiligten misslich, dass diese Verfahren zum Teil schon mehrere Jahre in der Berufungsinstanz liegen. Daher ist es gut, dass das LSG in Stuttgart relativ rasch entschieden hat Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist Sprecher des Ausschusses Syndikusanwälte im Kölner Anwaltverein und vertritt zahlreiche Unternehmensanwälte anwaltlich in Verfahren zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der Deutschen Rentenversicherung.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2013 M02 18
Anwaltsberuf
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