Anwalt der Bösen?
Wenn beschuldigte Personen die Hilfe eines Strafverteidigers benötigen, ist die Situation oft prekär. Der Verdacht einer Straftat steht im Raum, häufig stehen Existenzen auf dem Spiel. Strafverteidiger haben in solchen Fällen die Aufgabe, dem Tatverdächtigen rechtlich beratend und unterstützend beizustehen. Oft werden sie bereits während der polizeilichen Ermittlungsarbeit, manchmal aber auch erst nach Anklageerhebung in der Gerichtsverhandlung zugezogen. In manchen Fällen können sich Anwalt und Mandant in der Kanzlei des Strafverteidigers zusammensetzen und das weitere Vorgehen besprechen. Es kommt jedoch auch vor, dass der Beschuldigte schon in einer Justizvollzugsanstalt einsitzt und dort auf den Beistand seines Anwalts wartet.
Die Rechtsberatung kann aber auch ganz unerwartet notwendig werden. In diesen Situationen ist dann häufig schnelles Handeln gefragt, wie Marc Donay, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, beschreibt: "Immer kann etwas Unvorhergesehenes passieren. Ich richte mich auf einen reinen Bürotag ein, dann wird jemand festgenommen und soll dem Haftrichter vorgeführt werden, oder es wird irgendwo durchsucht. Dann fahre ich, wenn nötig und gewünscht, zu jeder Tageszeit direkt zum Ort des Geschehens."
Eine Vielzahl der Strafverteidiger ist selbstständig, was Freiheiten bei der Gestaltung des Arbeitsalltags eröffnet. Trotz unvorhersehbarer Notfälle sei der Beruf daher familienverträglich, meint Rechtsanwalt Claus Erhard, Fachanwalt für IT- und Strafrecht. So hat man als Strafverteidiger viele Möglichkeiten zeitlicher Flexibilität, etwa bei der Vereinbarung von Hauptverhandlungsterminen. Das bedeutet aber auch, dass man als Strafverteidiger ein Organisationstalent sein muss, wie Erhard beschreibt: "Ein kurzes Telefonat, um das Nötigste zu regeln oder einen Kollegen zu organisieren ist zum Beispiel auch am Wochenende immer drin."
"Es geht auch um viel Psychologie"
Um die Interessen eines Beschuldigten im Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren als Strafverteidiger angemessen vertreten zu können, muss man nicht nur Volljurist sein, sondern auch ein gesteigertes Interesse für die strafrechtliche Materie in all ihren Facetten haben. "Ich bin überzeugt, dass man Strafverteidiger werden wollen muss, aus eigenem Antrieb. Nirgendwo ist das Kollegenfeld so bunt wie im Strafrecht, aber alle, das unterstelle ich, wollen nichts anderes sein als Strafverteidiger. Der Kontakt zum Mandanten ist so eng und – das behaupte ich – der Beistand so wichtig wie in keinem anderen Rechtsgebiet", so Rechtsanwalt Donay. Die Vorliebe für das Strafrecht habe sich für ihn schon früh gezeigt: "Ein befreundeter Staatsanwalt erinnert mich noch heute gern daran, dass ich als Referendar Zivilrecht und Öffentliches Recht als 'Nebenrecht' bezeichnete."
Neben den zwei bestandenen Staatsexamina und der Begeisterung für das Strafrecht, spielen allerdings auch "außer-juristische Faktoren und Fähigkeiten eine extrem große Rolle. Es geht auch viel um Psychologie. Einmal die Psychologie der Tat beziehungsweise des Täters. Und dann ist man auch als Verteidiger die Person, die dem Täter und der Familie ein offenes Ohr gewährt", erklärt Rechtsanwalt Erhard. Das ist es, wie auch Rechtsanwalt Donay findet, was das Strafrecht besonders interessant macht, "dass es das Leben in seiner ganzen Vielfalt ungefiltert und häufig hart abbildet, dass es Bürger und Staat einander konfrontativ gegenüberstellt – mit einem offensichtlichen Ungleichgewicht an Macht(mitteln), Ressourcen, Fallhöhe –, dass Sanktionen schnell drastisch bis existenziell sein können, dass man dem Mandanten in einer echten Notlage Hilfe leistet – und dass es sehr unterhaltsam sein kann."
Wie ist das mit dem Gewissen?
Einige Delikte, wie das Sexualstrafrecht oder auch Tötungsdelikte, sind besonders sensibel. Gewissenskonflikte sollten bei einem guten Strafverteidiger jedoch nicht eintreten, wie Rechtsanwalt Erhard findet, andernfalls sei eine angemessene Verteidigung des Beschuldigten nicht gewährleistet. "Der Verteidiger ist dafür da, dass die Beschuldigtenrechte nicht unrechtmäßig eingeschränkt werden." Wenn man Gewissensprobleme hat, solle man das Mandat besser niederlegen.
Das bestätigt auch Rechtsanwalt Donay, der es persönlich schwierig findet, die Verteidigung einzelner Deliktsbereiche pauschal abzulehnen: "Ich verteidige nicht aus Sympathie, weder für den Mandanten noch für die Straftat, die ihm vorgeworfen wird, sondern aus Überzeugung, die Rechte jedes Beschuldigten zu schützen. Aber das ist natürlich eine Einstellungssache. Ich spreche kein Urteil und bilde mir auch keins – außer vielleicht über die Arbeit der Ermittlungsbehörden –, und damit komme ich sehr gut klar."
So ist das auch in der Strafprozessordnung vorgesehen: Jeder Beschuldigte hat einen Anspruch auf rechtlichen Beistand. "Unverteidigten" Beschuldigten können deshalb seitens des Staates Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wenn ein Fall der sogenannten notwendigen Verteidigung vorliegt, § 140 StPO. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird.* In diesen Fällen rechnet der Pflichtverteidiger dann gegenüber der Staatskasse ab. Das dient der Sicherung der Rechte des Beschuldigten. Nicht nur deshalb, sondern auch weil der Pflichtverteidiger durchaus auch Wahlverteidiger in anderen Verfahren sein kann, ist der beigeordnete Pflichtverteidiger keinesfalls als Strafverteidiger zweiter Klasse zu sehen.
Von Strategiegesprächen und Besuchen in der JVA
In einem Ermittlungs- und Strafverfahren steht der Strafverteidiger vielen komplexen verfahrensrechtlichen Besonderheiten gegenüber. So kann es sinnvoll sein, dass der Beschuldigte von seinem Recht zu Schweigen nach § 136 StPO Gebrauch macht, wie Rechtsanwalt Donay ausführt: "Es kommt auf viele Faktoren an, die insbesondere vom Stadium des Verfahrens abhängig sind. Jedenfalls wird sich mein Mandant nicht äußern, bis ich die Akte eingesehen und mit ihm besprochen habe." Dass die Frage nach der richtigen Strategie häufig ein Schwerpunkt ist, bestätigt Rechtsanwalt Erhard: "In einer Vielzahl der Fälle geht es beispielsweise darum, ein gutes Geständnis zu planen und damit ein gutes Ergebnis zu verhandeln."
Der Beruf des Strafverteidigers ist dabei kein reiner Einzelkampf. Bei komplexeren Verfahren arbeiten Strafverteidiger auch oft zusammen. Insbesondere in Betäubungsmittelverfahren sind häufig mehrere Personen angeklagt. "Solche Fälle bearbeitet man im Team oder man spricht sich mit den Verteidigern von Mitbeschuldigten ab. Der Austausch unter Kollegen macht durchaus einen großen Anteil im Alltag aus und macht viel Freude.", berichtet Rechtsanwalt Erhard.
Unter anderem wegen dieser vielen (verfahrens-)rechtlichen Besonderheiten rät Rechtsanwalt Donay darauf zu achten, dass der Strafverteidiger einen Fachanwaltstitel für Strafrecht trägt: "Auf diese Weise wird ein Mindeststandard an Qualität der Verteidigung gesichert. Der Fachanwaltstitel dient dem Nachweis intensiver Beschäftigung mit und vertieften Kenntnissen im Strafrecht."
Der berufliche Alltag eines Strafverteidigers ist außerdem durch Besuche der inhaftierten Beschuldigten geprägt. Rechtsanwalt Erhard erinnert sich noch gut an seinen ersten Besuch in der Justizvollzugsanstalt: "Was mich besonders beeindruckt hat, war das Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten und Anwalt. Auch ein mutmaßlicher Schwerverbrecher ist nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein Mensch, den man begrüßt und mit dem man ein Gespräch auf Augenhöhe führt."
Lena Forberger ist Referendarin am Landgericht Köln und daneben wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer internationalen Großkanzlei. Ihr Erstes Staatsexamen hat sie im November 2022 in Köln absolviert.
*Geändert am 24.04.2024, 15:30 (Red.).
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2024 M04 24
Strafverteidiger
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