"Nichts über uns ohne uns"
LTO: Herr Nikolic, Sie sind bereits in Serbien Volljurist und haben einen LLM. in Europäischem Recht und Wirtschaftsrecht in Saarbrücken absolviert. Nun arbeiten Sie seit Oktober 2023 an der LMU an Ihrer Dissertation. Wie haben Sie das alles geschafft?
Nikola Nikolic: Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, dass ich eine gute Kombination aus harter Arbeit, Entschlossenheit und Leidenschaft mitbringe. Aber als ich 2013 in Serbien mein Studium begonnen habe, hätte ich nie gedacht, dass ich mal meine Karriere in Deutschland weiterführen werde. Mein bisheriger Weg zeigt mir, dass eine Behinderung keine tatsächliche Barriere sein muss, um eine erfolgreiche Karriere aufzubauen. Allerdings haben mich meine bisherigen Vorgesetzten, viele Kollegen und vor allem meine jetzigen Chefs auch sehr unterstützt.
Wie kann man sich Studium und Arbeitsalltag von blinden Menschen vorstellen?
Mein Arbeitsalltag unterscheidet sich vom "üblichen" Arbeitsalltag meiner Kollegen. Statt selbst zu lesen, nutze ich zum Beispiel einen ScreenReader – das ist ein Leseprogramm, das Texte auf dem Bildschirm für mich vorliest. Dafür brauche ich allerdings das richtige Dokumentenformat, denn der ScreenReader kommt nur mit Word- oder PDF-Dokumenten zurecht. Bei größeren Tabellen bekomme ich die nötige Unterstützung von meinem Team.
"Eigentlich wollte ich Geschichte studieren"
Wie verfassen Sie Schriftsätze oder Klausuren?
Auf meinem Computer. Ich habe auch eine Braille-Zeile, also ein kleines Gerät, das sich mit dem Computer verbinden lässt, und Wörter aus dem Dokument in Brailleschrift zeigt. Die Braille-Zeile ist ca. so groß wie eine Tafel Schokolade. Es gibt verschiedene Größen, unter anderem eine Version mit 40 Feldern, die ich persönlich nutze. Auf diesen Feldern werden dann die Zeichen in Braille gezeigt. So kann ich dann lesen, was ich geschrieben habe. Ich präferiere allerdings den ScreenReader.
Welchen Herausforderungen sind Sie im Studium in Serbien begegnet?
Für blinde Studenten in Serbien war es immer problematisch, die nötige Literatur im passenden Format zu erhalten. An der juristischen Fakultät der Universität Belgrad gab es allerdings auch im Jahr 2013 schon alle Bücher und Lehrmaterialien im PDF-Format. Das war für mich tatsächlich auch einer der entscheidenden Gründe, Jura zu studieren. Eigentlich wollte ich Geschichte studieren, doch ein Freund von mir hat das gemacht und brauchte enorm viel Unterstützung. Die bekam er dann auch von seiner Familie. Meine hatte mich bereits in meiner Schulzeit enorm unterstützt. Doch für mein Studium hatte ich andere Vorstellungen. Ich wollte unabhängiger werden und mein eigenes Leben meistern. Damit stand die Entscheidung fest.
"Als Student mit Behinderung kann man eine Studienassistenz bekommen"
Wie sieht es in Deutschland aus?
Während meines Masterstudiums in Saarbrücken war die ganze Literatur auf Englisch im digitalen Format verfügbar. Für die Doktorarbeit benötige ich aber natürlich viele verschiedene Quellen. Als Student mit Behinderung hat man in Deutschland aber die Möglichkeit, eine Studienassistenz zu bekommen. Dies hilft mir enorm während meiner Promotion. Aktuell habe ich eine Assistentin, die an der LMU Jura studiert. Sie hilft mir dabei, die relevante Literatur ins passende Format zu bringen, damit ich es dann mit dem ScreenReader lesen kann.
Was hat Sie denn eigentlich dazu bewegt, eine neue Sprache zu lernen und Ihre Karriere in Deutschland fortzuführen?
Während meines Masters in Serbien habe ich die Gelegenheit bekommen, über ein ErasmusPlus Programm ein Auslandssemester zu machen. Ich habe mich für Deutschland entschieden, da ich als Kind viel Zeit in Bayern verbracht und mich dort immer wie zu Hause gefühlt habe. Auch für das Auslandssemester wollte ich eigentlich nach Bayern, bin dann aber in Saarbrücken gelandet. Da hat es mir aber auch gefallen. Die Vorlesungen waren alle auf Englisch, Deutsch habe ich deshalb später gelernt. Ich habe in verschiedenen Kanzleien in Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet, auch dort bin ich mit Englisch gut zurechtgekommen. Mein ehemaliger Arbeitgeber hatte mir geraten, Deutsch zu lernen, um noch mehr Fälle bearbeiten zu können. Dem Rat bin ich gefolgt und so habe ich Deutsch am Abend nach der Arbeit gelernt.
"Ich bekomme mit, was durch die Blume gesagt wird"
Mittlerweile arbeiten Sie als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Seven Summits Arbitration in München. Wie begegnen Ihnen Kollegen, aber auch Gegner am Verhandlungstisch?
Unser Team ist klein, aber wir verstehen einander sehr gut, was uns mit unserem gemeinsamen Ziel hilft – nämlich im Verfahren zu gewinnen. Meine Kollegen können gut mit meiner Behinderung umgehen und haben keine Scheu. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich zurzeit noch wenig direkten Mandantenkontakt, aber bei telefonischen Gesprächen und Videokonferenzen nehme ich oft teil. Dort habe ich bisher keine Probleme gehabt. Obwohl meine tägliche Arbeit weit vom Verhandlungstisch erfolgt, so gibt es auch einige Probleme.
Deutschland ist zwar tatsächlich ein sehr inklusives Land. Doch es gibt noch Verbesserungsbedarf. Die Jobsuche beim Staat ist nie problematisch, aber im privaten Sektor sieht es anders aus. Viele Firmen stehen oft vor einem Dilemma. Zum einen möchten Sie inklusiv sein und uns Menschen mit Beeinträchtigungen eine Chance geben, andererseits haben sie oft Sorge, dass die Performance leidet. Insbesondere dann, wenn Mandanten besorgt sind, dass die Einbeziehung einer Person mit Beeinträchtigung einen Nachteil haben könnte.
Als sehende Person nimmt man in Gesprächen auch die Gesten oder die Körpersprache seines Gegenübers wahr, welche uns unterbewusst beeinflussen kann. Wie ist es bei Ihnen?
Gesten und Körpersprache verraten oft die Gedanken einer Person, bevor sie ausgesprochen werden. Da ich sie wegen meiner Behinderung nicht wahrnehmen kann, ist das tatsächlich Gesagte das Einzige, was für mich relevant ist. Andererseits merken Menschen auch im Gespräch häufig gar nicht, dass sie dabei unterbewusst Kleinigkeiten verraten. So bekomme ich mit, was durch die Blume gesagt wird.
"Kein Handicap, sondern eine Superpower"
Justitia hat verbundene Augen, ein Zeichen ihrer Unvoreingenommenheit. Meinen Sie, Sie sind aufgrund Ihrer Blindheit unvoreingenommener als sehende Juristen?
Tatsächlich meinen einige Kollegen sogar, dass wir kein Handicap haben, sondern eine Superpower. Sehende Menschen werden oft von visuellen Aspekten abgelenkt, und sind damit nicht nur auf das Gesprochene fokussiert. Sie nehmen auch noch Einiges wahr, war sie unterbewusst beeinflussen kann. Beispielsweise war ich im März Schiedsrichter bei einem PreMoot, also einer Probeverhandlung vor dem Vis Moot, in München. Vis Moots sind simulierte Schiedsgerichtsverfahren mit Fällen aus dem Handelsrecht. Mir wurde danach erzählt, dass eine Studentin bei ihrem Vortrag zittrig und nervös gewirkt hat. Das Einzige, was ich in ihrer Stimme gehört habe war ein bisschen Nervosität. Ihre Argumentation war aber perfekt und das war für mich das Entscheidende. Ob das wirklich unvoreingenommener ist, überlasse ich dem Leser.
Haben Sie auch schon Diskriminierungen aufgrund Ihrer Behinderung erfahren?
Direkte Diskriminierungen gibt es eher selten, häufiger sind es die indirekten. Beispielsweise durfte ich während meines Studiums nicht am Vis Moot teilnehmen, da ich angeblich nicht in der Lage wäre, allein zu reisen und mich für den Wettbewerb vorzubereiten. Diese und andere ähnlich demotivierende Erfahrungen haben mich aber nicht davon abgehalten, meine Ziele zu erreichen.
Als deutscher Delegierter waren Sie Mitglied der ICC Disability Task Force, die den ICC-Leitfaden für Menschen mit Behinderungen ausgearbeitet hat. Was ist der Zweck dieses Leitfadens und glauben Sie, dass er den Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit für Anwälte mit Behinderungen im Allgemeinen inklusiver machen wird?
Dieser ICC-Leitfaden soll die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und alternativen Streitbeilegung fördern. Diese ICC Initiative hat schon zu vielen Diskussionen über die Inklusion von Menschen mit Behinderungen im Bereich der internationalen Schiedsgerichtbarkeit geführt. Meine große Hoffnung ist es, dass diese Diskussionen zu Resultaten in Form von echter Diversität in diesem Bereich führen.
"Am wichtigsten ist die Kommunikation"
Und was können Universitäten, Kanzleien und Gerichte unternehmen, um für mehr Inklusion zu sorgen?
Problematisch ist es, dass andere oft meinen, sie wüssten, was Menschen mit Behinderungen brauchen, ohne mit ihnen zu sprechen. Beispielsweise haben blinde Menschen zwei Möglichkeiten, um einen Text zu lesen: mit dem ScreenReader oder durch Brailleschrift. Welche Möglichkeit die blinde Person bevorzugt, ist ganz persönlich – man muss also danach fragen. Allerdings sind Dokumente in manchen Institutionen oft nicht im Word oder PDF Format verfügbar, was für blinde Menschen eine große Barriere darstellt.
Maßnahmen zur Barrierefreiheit kosten oft wenig, sind jedoch sehr hilfreich. In Bibliotheken, Unigebäuden oder Büros könnte man beispielsweise direkt am Eingang einige Plätze für blinde Menschen reservieren, denn die Gebäude können sich manchmal wie Labyrinthe anfühlen, besonders dann, wenn man keine Begleitperson hat. Diese Schwierigkeit habe ich oft in großen, unbekannten Hörsälen und Bibliotheken.
Am wichtigsten ist aber die Kommunikation, bevor irgendwelche Entscheidungen für und über uns getroffen werden. Mein Motto ist "nothing about us without us", also "nichts über uns ohne uns".
Gibt es etwas, das Sie den Leser:innen mitgeben möchten?
Wichtig ist es, uns Menschen mit Behinderung mehr Zugang zu verschaffen, sowohl in der Arbeitswelt als auch im Studium. Ich bin jemand, der nie aufgibt, das liegt einfach nicht in meiner Art. Leider habe ich von vielen gehört, die aufgegeben haben. Wichtig ist es, immer ein Ziel vor Augen zu haben und durchzuziehen, auch wenn es schwierig ist.
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