Regierungsentwurf zum anwaltlichen Berufsrecht
Ein wenig streitbelastetes Reförmchen
Zum Jahresende steht eine weitreichende Reform des anwaltlichen Berufsrechts ins Haus. Ein seit August vorliegender Regierungsentwurf wird nicht nur die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen umsetzen, sondern in verschiedenen Einzelfragen des Berufsrechts der rechtsberatenden Berufe Modernisierungen und Anpassungen vornehmen.
Der nun vorliegende Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe übertrifft den an dieser Stelle bereits vorgestellten Referentenentwurf im Umfang noch einmal um knapp 20 Prozent und umfasst in der nun dem Bundestag zugeleiteten Fassung 248 Seiten. Dem Entwurf fehlt das große dominierende Thema, er ist mehr ein Sammelsurium von Einzelfragen. Gleichwohl handelt es sich um ein wichtiges Vorhaben, das einige die Praxis belastende Streitfragen klärt und das Berufsrecht in weiten Teilen nach vorne bringt. Nachfolgend werden insbesondere die Vorschläge vorgestellt, die der Referentenentwurf entweder noch nicht oder in dieser Form enthalten hatte.
Berufsrecht wird Pflichtfach
Ein Teil des Regierungsentwurfs betrifft zunächst neue Fortbildungsregelungen für die Anwaltschaft. Zum einen hat der Rechtsanwalt innerhalb des ersten Jahres nach seiner Zulassung an einer Lehrveranstaltung über das rechtsanwaltliche Berufsrecht teilzunehmen. Die Lehrveranstaltung muss mindestens zehn Zeitstunden dauern und die wesentlichen Bereiche des Berufsrechts umfassen (§ 43e Bundesrechtsanwaltsordnung, BRAO).
Die Pflicht soll allerdings nur für die Anwälte greifen, die nach dem 1. Januar 2018 erstmalig zugelassen werden. Wer nachweist, dass er innerhalb von sieben Jahren vor seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an einer entsprechenden Lehrveranstaltung teilgenommen hat, soll ebenfalls befreit werden. Zu erwarten ist, dass der-artige Kurse künftig von deutlich mehr Universitäten als bislang bereits im Rahmen des Studiums oder von den Ländern im Rahmen des Referendariats angeboten werden.
Anders als noch im Referentenentwurf ist die Pflicht, sich mit der Organisation des Berufs, den Grundpflichten des Rechtsanwalts, den Aufklärungs- und Informationspflichten gegen-über der Mandantschaft, der Berufsaufsicht und berufsrechtlichen Sanktionen und den Grundzügen des anwaltlichen Haftungsrechts zu befassen, nicht einer Zulassungsvoraussetzung angenähert, sondern als Berufspflicht ausgestaltet. Der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wird insoweit die Kompetenz eingeräumt werden, Einzelheiten zu regeln.
40 Stunden Fortbildung?
Zum anderen will der Gesetzgeber der Satzungsversammlung auch die Befugnis einräumen, die allgemeine anwaltliche Fortbildungspflicht zu konkretisieren und Nachweispflichten ein-zuführen. Nach bisherigem Recht sind nur Fachanwälte verpflichtet, der Rechtsanwaltskammer jährlich eine Fortbildung im Umfang von 15 Stunden nachzuweisen. Dem Vernehmen nach will die Satzungsversammlung eine Fortbildungspflicht im Umfang von 40 Stunden pro Jahr festlegen; eine Nachweispflicht soll aber nur für zehn Stunden vorgesehen werden.
Aus Anlass dieser doch umfangreichen Ausdehnung von Nachweispflichten schlägt die Bundesregierung auch eine Änderung des Sanktionssystems vor. Bislang hat der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer nur die Möglichkeit, das Verhalten eines Rechtsanwalts, durch das dieser ihm obliegende Pflichten verletzt hat, zu rügen.
Voraussetzung ist nach § 74 BRAO, dass die Schuld des Rechtsanwalts gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint. Bei schwerwiegenderen Pflichtverletzungen ist dagegen durch die zuständige Staatsanwaltschaft ein anwaltsgerichtliches Verfahren mit der Warnung, dem Verweis, einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro, einem Vertretungsverbot für bestimmte Rechtsgebiete und der Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft als möglichen Sanktionen einzuleiten.
2/2: Geldbuße durch die Kammer
Um die zu erwartenden Verfahren bei Verletzung der Fortbildungspflichten effizient ohne Einschaltung von Staatsanwaltschaft und Gerichten bis hinauf zum Bundesgerichtshof (BGH) erledigen zu können, soll der Kammervorstand künftig auch die von ihm auszusprechende Rüge mit einer Geldbuße von bis zu 2.000 Euro verbinden können. Nach Ansicht der Bundesregierung dürfte eine solche Sanktion zumindest im Fall der erstmaligen Pflichtverletzung regelmäßig ausreichend sein.
Anders als noch im Referentenentwurf vorgesehen, sollen die Kammervorstände diese erweiterte Sanktionsmöglichkeit aber nicht nur bei einer Verletzung der Fortbildungspflicht, son-dern bei Pflichtverletzungen jeder Art zurückgreifen können.
Geldbuße auch bei geringer Schuld
Diese beabsichtigte Neuregelung lässt sich allerdings nicht widerspruchsfrei in die bestehende Systematik der BRAO einfügen. Zumindest wirft es Fragen auf, wenn die Kammer auch bei geringer Schuld des Rechtsanwalts künftig Geldbußen verhängen kann, während diese Art der Sanktion im anwaltsgerichtlichen Verfahren mit einem höheren Schuldvorwurf erst auf der dritten Stufe – wenn auch mit einem höheren Bußgeldrahmen – zu finden ist.
Widersprüchlich erscheint es auch, wenn dem betroffenen Rechtsanwalt, der von der Kammer eine mit einer Geldbuße verbundene Rüge erhält, diesem nach § 74a BRAO allein der Weg zum Anwaltsgericht offensteht, während der im anwaltsgerichtlichen Verfahren mit einer Warnung belegte Anwalt möglicherweise bis hinauf zum Anwaltssenat des BGH Rechtsmittel einlegen kann.
Gesetzliche Regelung für das beA
Der Entwurf nimmt sich auch des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) an. Der Regierungsentwurf stellt nun klar, dass die BRAK die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer empfangsbereit einzurichten hat. Zudem wird jeder Anwalt ab dem 1. Januar 2018 berufsrechtlich zur passiven Nutzung seines beA verpflichtet ist (§ 31 BRAO-E).
Damit soll Rechtssicherheit geschaffen werden, nachdem die BRAK in zwei einstweiligen Rechtsschutz-verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof Berlin (Beschl. vom 6.6.2016, Az. II AGH 15/15 und II AGH 16/15) dazu verpflichtet worden war, das beA nicht ohne die explizite Zustimmung der Antragssteller einzurichten. Da das beA so programmiert ist, dass nur eine Gesamtaktivierung erfolgen kann, blockieren die erlassenen einstweiligen Anordnungen die Einrichtung der beA als Ganzes.
3/3: Klärung der Rentenbefreiung für Syndikusanwälte
Ein weiterer – noch nicht im Referentenentwurf enthaltener – Vorschlag wird angehende Syndikusrechtsanwälte erfreuen. Durch eine Änderung des § 46a Abs. 4 BRAO soll erreicht werden, dass ihnen aus einer etwaigen Verzögerung des berufsrechtlichen Zulassungsverfahrens keine Nachteile im Hinblick auf die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht entstehen. Künftig wird ein Syndikusrechtsanwalt mit der Zulassung rückwirkend zu dem Zeit-punkt Mitglied der Rechtsanwaltskammer, zu dem der Antrag auf Zulassung dort eingegangen ist – frühestens aber zum Zeitpunkt der Aufnahme der entsprechenden Tätigkeit.
Damit soll zugleich sichergestellt werden, dass entgegen der bisherigen Praxis der Deutsche Rentenversicherung Bund auch die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht rückwirkend erfolgt und der Antragsteller nicht für einen Übergangszeitraum rentenversicherungspflichtig bleibt. Mithilfe einer Übergangsregelung soll zudem sichergestellt werden, dass auch alle bereits zugelassenen Syndikusrechtsanwälte von dieser Rückwirkung profitieren.
Regelung bringt Systematik der BRAO durcheinander
Wenngleich das von der Bundesregierung verfolgte Anliegen berechtigt ist, muss doch bedacht werden, dass sich auch dieser Vorschlag einer rückwirkenden Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer nur systemwidrig in die BRAO einfügen lässt. Die BRAK hat daher zu Recht die Frage aufgeworfen, welche Folgen diese Rückwirkung für die Rechte und Pflichten des Kammermitglieds wie Kammerbeiträge oder Wahlrechte usw. für den Zeitraum zwischen Antrag und Zulassung hat. Möglicherweise wäre es besser, für diesen Übergangszeitraum die Lösung im Sozialversicherungsrecht und nicht im Berufsrecht zu suchen.
Der Gesetzentwurf, der viele weitere Einzelfragen regelt, gilt als besonders eilbedürftig, weil die Umsetzungsfrist der Richtlinie 2013/55/EU, der ein Teil der geplanten Neuregelungen zugrunde liegt, bereits am 18. Januar 2016 abgelaufen ist. Geplant ist daher eine Verabschiedung des Gesetzes noch in diesem Kalenderjahr, wobei ein Inkrafttreten nicht vor dem 1. Januar 2017 zu erwarten ist.
Gemeinschaftliche Berufsausübung noch nicht geregelt
Trotz seines Umfangs markiert er nicht das vorläufige Ende von Reformen im anwaltlichen Berufsrecht, da er das anwaltliche Gesellschaftsrecht – um das jetziges Gesetzesvorhaben nicht zu sehr zu belasten – bewusst ausklammert. Hier besteht allerdings dringender Handlungsbedarf, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in zwei Entscheidungen die Reichweite der §§ 59a ff. BRAO zurechtgestutzt hat.
Zum einen haben die Karlsruher Richter es mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) für unvereinbar gehalten, wenn Rechtsanwälten in § 59a Abs. 1 BRAO eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärzten oder Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft untersagt wird (Beschl. v. 12.1.2016, Az. 1 BvL 6/13).
Zum anderen sind Mehrheitserfordernisse bei einer zum Zweck der gemeinsamen Berufsausübung von Rechts- und Patentanwälten gegründeten GmbH zugunsten einer der beteiligten Berufsgruppen verfassungsrechtlich nicht haltbar. Entgegen §§ 59e, 59f BRAO und §§ 52e, 52f f PatAnwO steht einer Zulassung als Rechtsanwalts- oder Patentanwaltsgesellschaft damit nicht entgegen, wenn Anwälte oder Patentanwälte nicht die Anteils- und Stimmrechtsmehrheit, die Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit innehaben (Beschluss vom 14.1.2014, Az. 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12).
Es ist daher zu erwarten, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bald mit den Arbeiten an der nächsten BRAO-Novelle beginnen wird. Ziel der Überlegungen des BMJV wird die vollständige Neuordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts sein, die in ihrer Reichweite deutlich über die beiden Einzelfallentscheidungen hinausgehen dürfte. Mit einem konkreten Gesetzesentwurf dürfte aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu rechnen sein.
Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der freien Berufe und hier vor allem das anwaltliche Berufsrecht.
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2016 M09 13
Thema:
Anwaltsberuf
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