Vorher Einzelhandel, jetzt Großkanzlei

"Super Schu­lung im Umgang mit ver­schie­denen Men­schen"

Interview von Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Fabian Kraupe war jahrelang im Einzelhandel tätig, jetzt ist er Großkanzleianwalt. Im Interview erzählt er, wieso er noch Jura studiert hat und wie ihm seine Erfahrungen mit schwierigen Kunden bei der Mandatsarbeit helfen.

LTO: Herr Kraupe, Sie haben nach der Schule eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel gemacht. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?

Fabian Kraupe: Früher war ich – nett ausgedrückt – kein großer Lernfreund und habe mich mehr für meinen Sport interessiert. Zunächst bin ich also auf die Realschule gegangen und habe nach meinem Abschluss eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel bei einem Sporteinzelhändler abgeschlossen. So konnte ich Hobby und Beruf verbinden.

Nach der Ausbildung haben Sie dann auch einige Jahre im Einzelhandel gearbeitet, zuletzt als Filialleiter. Wieso haben Sie danach noch Jura studiert?

Ich versuche immer, aus allem das Bestmögliche rauszuholen. Nach der Ausbildung habe ich also noch ein duales Studium zum Handelsfachwirt an der Akademie Handel abgeschlossen, wodurch ich die allgemeine Hochschulreife erlangt habe. Das war mir vorher gar nicht bewusst, aber damit hatte ich plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Während des dualen Studiums hatte ich schon erste Berührungspunkte mit Jura, unter anderem hatten wir Kurse im Kaufrecht, Arbeitsrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht. Das fand ich sehr spannend. Ich habe dann auch bei meinem damaligen Arbeitgeber kleinere "Rechtsschulungen" halten dürfen, also meinen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel erklärt, wie das mit der Herstellergarantie, Gewährleistung und Kulanz ist, wenn ein Kunde mit Umtauschwünschen in den Laden kommt.

Mit der allgemeinen Hochschulreife hätte ich zwar auch vieles andere studieren können, aber mit meinem betriebswirtschaftlichen Hintergrund und auch meinem Interesse war es schon naheliegend, in Richtung Jura zu gehen.

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"Musste mich erst daran gewöhnen, mich über die Bücher zu setzen"

Wie haben Freunde, Familie und Kollegen auf Ihre Entscheidung reagiert?

Die meisten haben meinen Mut bewundert und mich unterstützt. Mein Vater ist Arzt und kommt aus einer Generation, in der entweder gearbeitet oder studiert wurde – duale Bildungswege gab es zu dieser Zeit noch nicht. Als ich meinen Eltern erzählt habe, dass ich nach Regensburg gehen werde, um dort Jura zu studieren, konnten sie das zuerst kaum glauben, aber waren natürlich begeistert und haben mich immer unterstützt. Manche wollten mir meine Idee auch ausreden, weil das Studium lange dauert und ich mich in der Zeit im Einzelhandel schon hätte weiter nach oben arbeiten können. Aber ich wollte es unbedingt versuchen – und habe es nicht bereut.

Wie war das Jurastudium für Sie, gerade im Vergleich zur Berufsausbildung?

In meinem ehemaligen Berufsalltag war ich den ganzen Tag im Verkauf, habe viel mit Menschen gearbeitet und war unter anderem verantwortlich für die Einhaltung verschiedener Kennzahlen und die Organisation der Mitarbeiter. Deshalb musste ich mich im Anschluss erst daran gewöhnen, mich in einer Bibliothek für mehrere Stunden über die Bücher zu setzen und zu lernen. Ich fand es aber auch faszinierend erste eigene wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben. Als ich im April 2014 angefangen habe Jura zu studieren war ich 24 – es gab natürlich auch wesentlich jüngere Kommilitoninnen und Kommilitonen, die frisch aus der Schule kamen. Deshalb habe ich das Studium recht schnell durchgezogen. Ich wollte so viel wie möglich mitnehmen, aber auch nicht ewig studieren.

"Ich habe bei Weil als Student in der Bibliothek angefangen"

Wieso sind Sie Anwalt geworden?

Zunächst haben mich wohl die Dozenten in den Rechtsfächern an der Akademie Handel inspiriert, die selbst Rechtsanwälte waren. Während des Jurastudiums, nach meinem Wechsel von Regensburg nach München zum Sommersemester 2016, wollte ich nebenher in einer Kanzlei arbeiten. Die Kanzlei Weil, Gotshal & Manges LLP, in der ich auch jetzt noch als Anwalt tätig bin, hat damals jemanden für die Bibliothek gesucht, sodass ich dort eingestiegen bin. Irgendwann hat mich das Litigation-Team "abgeworben". Ich hatte dort eine Stelle als studentische Hilfskraft, habe dort meine Pflichtpraktika absolviert und war begleitend zum Studium immer als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Auch die Anwalts- und Wahlstation habe ich dort abgeschlossen. Im Dezember 2021 bin ich schließlich als Associate eingestiegen. Ich denke ich bin einfach ein großer Fan des klassischen Anwaltsdaseins und der Schriftsatzarbeit. Ich mag es, für Mandanten Partei zu ergreifen und mit gegnerischen Anwälten und Gerichten zu kommunizieren.

Auf welche Bereiche haben Sie sich als Anwalt spezialisiert?

Ich bin immer noch im Litigation-Team bei Weil und berate daneben auch zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Restrukturierungen und Unternehmenstransaktionen, da wir im Kern eine Transaktionskanzlei sind. Ein Highlight war zum Beispiel, dass ich zuletzt bei der Beratung des milliardenschweren Aareon-Deals mitwirken konnte.

"Im Endeffekt wollen Mandanten und Kunden im Einzelhandel dasselbe"

Inwiefern helfen Ihnen Ihre Berufserfahrungen im Einzelhandel und ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse jetzt im Anwaltsberuf?

Mir fällt das gar nicht so auf, aber mir wurde von verschiedenen Stellen schon gesagt, ich hätte einen "umfassenderen Blick" auf die Dinge und könne neben den rechtlichen Belangen eben auch wirtschaftliche Aspekte besser berücksichtigen. Im Jurastudium lernt man das nicht. Mittlerweile gibt es auch Seminare wie "Bilanzieren für Juristen" oder "BWL für Juristen", die ich mir sparen kann. Und vieles kann ich persönlich gut nachempfinden, zum Beispiel was in den betroffenen Mitarbeitern vor sich geht, wenn der Unternehmensträger verkauft wird und es um das Schicksal der Belegschaft geht.

Kunden im Einzelhandel können ja durchaus mal anstrengend sein. Inwiefern helfen Ihnen Ihre früheren Erfahrungen beim Umgang mit Mandanten?

Im Einzelhandel hat man mit ganz unterschiedlichen Charakteren zu tun. Da ist die Omi, die für ihren Enkel eine Hose kaufen will, aber auch der Choleriker, der wenig Zeit und schlechte Laune hat und sein benutztes Snowboard umtauschen will. Ich hatte daneben auch Personalverantwortung und musste mich um die Einsatzpläne kümmern – und alle Mitarbeiter reagieren anders auf Überstunden wegen einer Inventur oder die Samstagsarbeit. Deshalb ist die Arbeit im Einzelhandel eine super Schulung im Umgang mit Menschen. Man lernt auch mit anspruchsvollen Menschen umzugehen und in Stresssituationen immer Ruhe zu bewahren. Das kann ein Jurastudium nicht leisten. Auch auf Mandantenebene kann einem das alles begegnen. Im Endeffekt wollen Mandanten und Kunden dasselbe – nämlich das für sie persönlich und wirtschaftlich beste Ergebnis, sei es bei einem Milliardendeal oder beim Umtausch kaputter Schuhe.

"Arbeitszeiten im Einzelhandel fast schlimmer"

Was könnte ein Einzelhandelskaufmann von einem Anwalt lernen – und umgekehrt?

Auf jeden Fall, dass man sich nicht alles von den Kunden gefallen lassen muss. Es war schon erstaunlich, was wir hingenommen habe, was rechtlich zwar nicht erforderlich, aber eben angeblich "kulant" ist. Deshalb könnte ein Einzelhandelskaufmann vom Anwalt lernen, dass es manchmal Sinn ergibt, Abstand zu nehmen und einen analytischen Blick auf die Dinge zu werfen und nicht, frei nach dem Motto "der Kunde ist König", immer schlicht alles hinzunehmen, was der Kunde möchte.

Anwälte könnten vor allem weitere Soft Skills, die sich Kaufleute schon durch den direkten Umgang mit verschiedenen Menschen aneignen, lernen. Vielfach wird sich in der Branche zudem über die Arbeitszeiten beschwert und dass man nicht zu vertretbaren Zeiten aus der Kanzlei kommt. Im Einzelhandel finde ich persönlich es fast schlimmer, auch wenn die Arbeitszeiten geregelter sind. Samstag ist ein normaler Arbeitstag, täglich nach Ladenschluss um 20 Uhr kommt noch der Kassenabschluss und der Laden muss für den nächsten Tag wieder in Schuss gebracht werden. Ich hatte also regelmäßig für einen nicht mal ansatzweise vergleichbaren Lohn erst weit nach 21 Uhr Feierabend. Man sollte also etwas offener und wacher sein, was zum Teil in vermeintlich einfachen Jobs dann doch geleistet wird.

Gehalt ist ein gutes Stichwort. Wie war das denn für Sie, als Sie Ihr erstes Gehalt in Ihrem Job als Anwalt bekommen haben?

Das war schon besonders. Das war für mich wie eine Belohnung für den langen Weg. Aber mir ging es auch nicht primär ums Gehalt und ich hatte nicht unbedingt von Anfang an das Ziel, in eine Großkanzlei zu gehen. Das hat sich damals durch die erste Stelle in der Bibliothek bei Weil entwickelt.

"Würde meine Karriere rückblickend wohl genauso machen"

Berufsausbildung, Handelsfachwirt, Jurastudium, Referendariat, LL.M., Anstellung in der Großkanzlei – ein langer Weg. Was möchten Sie in Ihrer Karriere noch erreichen?

Ich möchte gerne mit Weil meinen Weg weitergehen, bin also offen für mögliche nächste Schritte. Parallel möchte ich auch meine akademische Arbeit weiter ausbauen, weiter publizieren und mein Dissertationsvorhaben abschließen. Durch den parallelen Master im europäischen und internationalen Wirtschaftsrecht habe ich einige zusätzliche Aspekte für die Arbeit am Mandat kennengelernt und überlege noch einen weiteren Master anzuschließen.

Während des Referendariats habe ich ein knappes Jahr lang an der Akademie Handel die Vorlesungen gehalten, die mich damals selbst zum Jurastudium motiviert haben. Seit Februar dieses Jahres unterrichte ich Blockkurse im allgemeinen Zivilrecht am Campus München der Fernuniversität Hagen. Den Anschluss an die Lehre möchte ich beibehalten und weiter festigen.

Würden Sie rückblickend in Ihrer Karriere etwas anders machen?

Wahrscheinlich nicht. Natürlich wäre ich wohl schneller gewesen, wenn ich direkt aufs Gymnasium gewechselt wäre, um mein Abitur zu machen und dann Jura zu studieren. Das wollte ich aber damals eben nicht und meine Eltern haben mir auch immer die Freiheit gelassen, das zu machen, was mir Spaß macht, wofür ich dankbar bin.

Und aus der Zeit im Einzelhandel habe ich viel Positives mitgenommen. Ich habe viele Eindrücke gesammelt, meine sozialen Kompetenzen ausgebaut und meine Persönlichkeit entwickelt. Als Jurastudent kann man sich zu Hause im Arbeitszimmer einsperren, anschießend das Examen schreiben und wird dann auf Mandanten losgelassen. Man muss dabei nicht zwingend viel Kontakt mit anderen Menschen haben. Deshalb schätze ich meinen ungewöhnlichen Weg sehr. Und beim Berufseinstieg bei Weil war ich 30, das bewegt sich ja noch im Rahmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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