BVerwG lehnt Anrechnung für Richtersold ab
Ex-Flugbegleiter ist kein besserer Richter
Fünf Jahre lang zieht sich der Rechtsstreit nun schon hin. Angefangen hat alles mit der Versetzung eines Richters in das Land Berlin. Wie mag er dorthin gekommen sein? Mit dem Zug? Dem eigenen Pkw? Oder gar mit dem Flieger?
Letzteres liegt auf der Hand, der Mann ist vom Fach. Schon in seinem Studium hatte sich der spätere Richter zunächst als Fluggastbegleiter ausbilden lassen und den Job dann einige Jahre in Voll- und Teilzeit ausgeübt. Das finanzierte das Studium, das Studentenleben – kurzum: die Grundsteine für die juristische Karriere, die ihn später nach Berlin führte.
Und dennoch lehnte die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz seinen Antrag, die Zeiten dieser Tätigkeiten als Erfahrungszeiten für den Richterberuf anzuerkennen, ab. Die Erfahrungsstufe des Richters werde nicht gemäß § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Berlin (BBesG Bln) höher angesetzt, weil er am Flughafen gejobbt habe. Ein Hauch von "wo kämen wir denn da hin" durchzog wohl Ausgangs- und Widerspruchsbescheid und weckte schließlich den sportlichen Ehrgeiz nicht nur des klagenden Richters, sondern auch der entscheidenden Kollegen auf der Richterbank erster Instanz.
Durchwinken? Können Stewards wie Richter
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschied nämlich 2013 zu seinen Gunsten. Die Richter gaben sich überzeugt: Der Job als Fluggastbegleiter sei geeignet, sozial kompetenter zu machen.
Wer Koffer hievt und Flugtickets ausdruckt, wer genervte Fragen der Gäste in verschiedenen Sprachen erkennt und beantwortet, wer einen "Last call" ausrufen kann und wer alleinreisenden Kindern ein Schokoherz schenkt, der ist nicht nur ein guter Mensch, sondern auch ein sozialkompetenter Richter.
Klar, manchmal bestehen die Kundenkontakte nur im Einscannen eines Barcodes, im Zunicken oder Durchwinken. Aber mal im Ernst: Ist das nicht vor Gericht genauso? Kennt nicht jeder ein Urteil, bei dem man das Gefühl hat, hier ist eine Sache nur durchgewunken worden? Oder Akten in einem Umfang, dass man Sorge hat, sich einen Bruch zu heben? Genau so muss es auch damals am Flughafen gewesen sein.
2:2 VG Berlin: wenn Elternzeit zählt, dann auch Flughafenzeit
Handwerklich war die Entscheidung auch nicht schlecht gemacht. Das VG Berlin hatte seinerzeit sowohl die Gesetzesmaterialien des Bundes zum Deutschen Richtergesetz (DRiG) als auch die Motive des Abgeordnetenhauses zum Landesbesoldungsgesetz bemüht. Und siehe da: Der Gesetzgeber hatte sich bewusst vom Kriterium juristischer Vorberufe verabschiedet und er hatte sogar Elternzeit und Pflegezeit als anrechenbar für soziale Fähigkeiten positiv erwähnt.
Dann – so die Logik der ersten Verwaltungsgerichtsinstanz – komme es auf eine Minimalförderung von sozialer Kompetenz an. Die habe der ehemalige Bodenstewart allemal erfahren. Viele Kundenkontakte, einfache und schwierige Situationen. Das bereitet vor auf die hohe Kunst des „Abfertigens“ vor Gericht.
Erst das Oberverwaltungsgericht (OVG) gebot dieser Idee Einhalt. Kein Wunder, möchte man raunen, ist das OVG Berlin-Brandenburg doch für seine Flughafenferne bekannt. Es liegt immerhin fast einen Kilometer weiter vom nächsten Flughafen (Berlin-Tegel) entfernt als die erste Instanz.
BVerwG: Vortätigkeit muss Bezug zum Richterberuf haben
Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) folgte mit seinem Urteil vom Donnerstag der Linie des Berufungsgerichts: Die Zeiten als Fluggasthelfer sind für die Richterbesoldung nicht anrechenbar (BVerwG, Urt. v. 22.09.2016, Az. 2 C 29.15). Das mag noch viel weniger verwundern, schließlich liegt Leipzig noch weiter von Hauptstadtflughäfen entfernt, jedenfalls, wenn man nicht gerade ein Postpaket ist.Nun dürfte wohl das letzte Wort gesprochen sein: Der ehemalige Fluggastbegleiter und heutige Richter erhält nicht rückwirkend eine höhere Erfahrungsstufe, ihm entgehen damit rund 4.000 Euro Besoldung im Jahr sowie später entsprechende Versorgungsbezüge.
Anrechenbare Tätigkeiten müssten einen Bezug zum Beruf des Richters aufweisen, so das BVerwG. Nicht jede berufliche Tätigkeit, die zwangsläufig mit einem Kontakt zu anderen Menschen verbunden ist, reicht nach Ansicht der Leipziger Richter als Erfahrungszeit aus. Das gelte vor allem nicht für solche Jobs, bei denen der soziale Umgang andere Menschen nur ausschnittsweise, in einer begrenzten sozialen Funktion und Situation, zum Beispiel als Kunde, betrifft. Ein Flugbegleiter erbringe in erster Linie im Auftrag der Fluggesellschaft Leistungen, um deren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden zu erfüllen, ein Fluggastabfertiger (Bodensteward) habe sogar noch weniger sozialen Kontakt zu den Passagieren.
Und was ist mit Social Media Managern?
Immerhin wird der streitbare Jurist aber an verschiedenen Stellen fortan juristische Kommentierungen zieren: im Besoldungs- und Beamtenrecht, aber auch im Verwaltungsprozessrecht. In seltener Eintracht haben alle Instanzen stets den Weg zur nächsthöheren Gerichtsbarkeit frei gemacht: das VG eröffnete die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, ebenso das OVG Berlin-Brandenburg die Revision, weil die aufgeworfene Frage doch einzigartig und ungeklärt, aber eben klärungsbedürftig sei.
Das Bundesverfassungsgericht bleibt nun vielleicht von dem Verfahren verschont. Allein wird zukünftig zu klären sein, ob etwa Bus- und U-Bahnfahrer wie Fluggastbegleiter im Sinne der Rechtsprechung zu bewerten sind. Oder wie verhält es sich mit Social Media Managern? Letztere tragen die Sozial(e Medien-)Kompetenz immerhin sogar in der Berufsbezeichnung. Wäre das eine Höherstufung wert?
Der Autor Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf. Die Kanzlei ist auf das öffentliche Dienstrecht, insbesondere Beamten- und Disziplinarrecht spezialisiert.
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2016 M09 23
Thema:
Richter
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