BVerfG kippt Sozietätsverbot

Anwälte dürfen sich mit Ärzten und Apo­the­kern zusammen tun

von Martin W. HuffLesedauer: 5 Minuten
Das Verbot für Rechtsanwälte, sich mit anderen freien Berufen als Patentanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern zusammenzuschließen, ist zumindest für Ärzte und Apotheker verfassungswidrig. Eine erste Bewertung von Martin W. Huff

"Das Sozietätsverbot aus § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO verletzt das Grundrecht der Berufsfreiheit…" So beginnt der Leitsatz einer der wichtigsten berufsrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der vergangenen Jahre (BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016, Az. 1 BvL 6/13). In einer knapp 40-seitigen Senatsentscheidung legen die Karlsruher Richter dar, warum in diesem Punkt das anwaltliche Berufsrecht nicht mehr zeitgemäß ist. Der Erste Senat führt in dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss auch aus, weshalb die immer wieder ins Feld geführten Gegenargumente zumindest für die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern nicht mehr gelten können und auch Gründe des Allgemeinwohls das berufsrechtliche Verbot nichtrechtfertigen. Art. 12 GG gebietet es, Rechtsanwälten in Zukunft zu gestatten, sich mit Ärzten und Apothekern zu einer gemeinsamen Berufsausübung in einer Sozietät zusammenzuschließen. Zwar schreibt das Gericht, dass dies zunächst nur für die beantragte Partnerschaftsgesellschaft gilt. Gründe, warum es  nicht auch für die immer noch weit verbreitete Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder die GmbH gelten soll, ergeben sich aus dem Beschluss aber nicht.

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Der lange Weg zur Anwalts-Ärzte-Apotheker-Sozietät

Die am modernen Verständnis des Anwaltsberufs orientierte Entscheidung beendet eines der spannendsten berufsrechtlichen Verfahren der vergangenen Jahre. Ein Ehepaar, der Münchener Rechtsanwalt Dr. Wieland Horn und seine Frau, die Ärztin und Apothekerin ist, gründeten eine Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG. Sie sollte den Namen tragen: "RA und Ärztin/Apothekerin  – interprofessionelle Partnerschaft für das Recht des Arztes und des Apothekers". Dabei wurde in dem Gesellschaftsvertrag klargestellt, dass die Ärztin keine Heilkunde am Menschen ausüben und keine Apotheke betreiben, sondern nur beratend tätig werden würde. Aus Sicht der Heilberufe ist das notwendige Voraussetzung, um in dieser Form in einer Rechtsberatungsgesellschaft zusammenzuarbeiten. Das Registerrecht beim Amtsgericht (AG) Würzburg wie auch das Oberlandesgerich (OLG) Bamberg lehnten den Eintrag auf Eintragung der Partnerschaftsgesellschaft ab. Wie auch die Rechtsanwaltskammer München begründeten die Instanzgerichte das im Wesentlichen damit, dass § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) es Rechtsanwälten nur erlaube, eine Partnerschaftsgesellschaft zusammen mit anderen Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern auszuüben, nicht aber mit anderen verkammerten Berufen. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestünden nicht. Gründe des Gemeinwohls geböten es, Rechtsanwälten nur die Zusammenarbeit mit bestimmten Berufen zu gestatten. Anders sahen dies sowohl die Ärzte- und die Apothekerkammer als auch der Bundesgerichtshof (BGH). Die Kammern der Heilberufe hatten keine Bedenken gegen den Zusammenschluss und betonten das auch im Verfahren vor dem BVerfG noch einmal betont. Auch der II. Zivilsenat des BGH hielt das Sozietätsverbot für verfassungswidrig und legte daher Mitte 2013 das Verfahren dem BVerfG vor.

"Die Nachfrage nach kombinierten interprofessionellen Dienstleistungen wächst"

Der für das anwaltliche Berufsrecht zuständige Erste Senat schließt sich nun in aller Deutlichkeit den verfassungsrechtlichen Bedenken an. Es ist eine der letzten großen Entscheidungen unter Beteiligung von Berichterstatter Reinhard Gaier, der im April 2016 in den Ruhestand geht. Ohne Wenn und Aber erklären die höchsten deutschen Richter die Vorschrift des § 59a BRAO i n diesem Punkt für verfassungswidrig und daher für  ab sofort und ohne Übergangsfrist nicht mehr anwendbar. Die Entscheidung klärt auch wichtige Grundfragen zur anwaltlichen Berufsausübung. Die Richter stellen  etwa in der Randnummer 68 klar, dass das Sozietätsverbot erheblich in die freie Berufsausübung eingreift. Der Senat sieht nämlich die Notwendigkeit für Rechtsanwälte, mit anderen Berufen auch in einer Sozietät zusammen  arbeiten: "Die begrenzte Überschaubarkeit und zunehmende Komplexität moderner Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse haben zur Folge, dass Rechtsfragen oft nicht ohne professionellen Sachverstand aus anderen Berufen ausreichend beantwortet werden können und die Nachfrage nach kombinierten interprofessionellen Dienstleistungen wächst". Diese Zusammenarbeit müsse nicht nur einzelfallbezogen, sondern auch auf Dauer realisierbar sein, um eine "gemeinsame Außendarstellung und damit auch Vorteile beim Angebot der berufsübergreifenden Leistungen" zu ermöglichen.

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2/2: Verschwiegenheit und Aussageverweigerung: auch die Ärzte dürfen das

Eingriffe in die freie Berufsausübung, die auch das Recht umfasse, sich zur Zusammenarbeit zusammenzuschließen, könnten nur erlaubt seien, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wären, so der Senat. Das sei aber bei dem Sozietätsverbot nicht der Fall. Der Schutz des nur seinem Mandanten verpflichteten Rechtsanwalts sei ein wichtiges Rechtsgut, für dessen Umsetzung die Verschwiegenheitsverpflichtung, die Aussageverweigerungsrechte und die Beschlagnahmeverbote ausschlaggebend seien. Daher dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich die Zusammenarbeit der Anwälte auf solche Berufe beschränken, die diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllten. Gerade bei Ärzten und Apothekern sei aber ebendies der Fall. Sie unterlägen denselben Pflichten wie ein Anwalt. Ein Blick in § 203 Strafgesetzbuch, die Zeugnisverweigerungsrechte der Prozessordnungen und der Beschlagnahmeverbote in der Strafprozessordnung (StPO) und der Abgabenordnung (AO) belegten dies. Auch auf den besonderen Schutz der Anwälte gem. § 160a Abs. 1 StPO könne sich ein Sozietätsverbot nicht stützen.  Die Steuerberater, mit denen ein Anwalt sich zusammenschließen darf, unterliegen nicht dem gleichen Schutz für zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgeheimnisträger wie ein Anwalt. Der Umgang mit Interessenkollisionen sei für die Heilberufe – zumal sie dort kaum vorkämen - auch nicht schwieriger als für Anwälte, so das BVerfG. Zudem gäbe es andere, die Berufsfreiheit weniger einschränkende Regeln, wenn der Gesetzgeber solche für erforderlich halten sollte. Interessant ist auch der Hinweis der Karlsruher Richter, dass auch die Tätigkeit eines Arztes oder Apothekers als Gutachter eine berufsspezifische Tätigkeit darstelle, die unter den Schutz etwa der Verschwiegenheitspflicht falle.

Und was ist mit Ingenieuren und Architekten?

Über die geplante Anwälte-Ärzte-Apotheker-Sozietät in München muss jetzt der II. Zivilsenat des BGH entscheiden. Eigentlich kann er die von den Eheleuten beantragte Eintragung der Partnerschaftsgesellschaft nicht mehr ablehnen, sondern diese muss jetzt eingetragen werden. Damit darf die AÄA- Sozietät ihre Tätigkeit aufnehmen. "Wir sind sehr glücklich, dass die Verfassungsrichter unserer Argumentation so weitgehend gefolgt sind und gesehen haben, dass es heute einem Bedürfnis entspricht, eine gemeinsame Dienstleistung als Rechtsberatungsgesellschaft anzubieten", kommentierte Kläger Horn die Entscheidung gegenüber LTO. Etwas überraschender ist die Reaktion der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Die  begrüßte wenige Stunden nach Bekanntwerden das Votum aus Karlsruhe. "Die Entscheidung betont erneut die überragende Bedeutung der anwaltlichen Verschwiegenheit für das Berufsbild des Rechtsanwalts. Gleichzeitig eröffnet der Beschluss der Anwaltschaft zusätzliche Möglichkeiten interprofessioneller Zusammenarbeit", kommentierte Ekkehart Schäfer, ehemaliger Vize und seit September Präsident der BRAK. Im Laufe des Verfassungsbeschwerdeverfahrens hatte der Verfassungsrechtsausschuss der Dachorganisation die Vorlage noch als unzulässig, auf jeden Fall aber als unbegründet angesehen und das Sozietätsverbot halten wollen. Noch weiter geht der Deutsche Anwaltverein in seiner Stellungnahme. Er überlegt sogar, so DAV-Präsident Ulrich Schellenberg, ob nicht noch weitere Berufe wie Architekten und Ingenieure sich mit Anwälten zusammenschließen dürfen. Doch dafür müssten wohl, so ist das BVerfG zu verstehen, deren Berufsrechte geändert und etwa mit einer eigenen Verschwiegenheitspflicht etc. versehen werden. Ob dies in den nächsten Jahren geschehen wird, ist aber eher fraglich. Dass im Medizin- oder Arzneimittelrecht tätige Kanzleien von den Möglichkeiten Gebrauch machen werden, die Karlsruhe ihnen eröffnet hat, dürfte dagegen sicher sein.

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