Kein Hauen und Stechen
"Nein, es gibt in unserem Bundesland kein förmliches Assessmentcenter (AC) für die Einstellung in den Richterdienst, und es ist auch nicht beabsichtigt, solche einzuführen." Fragt man bei den Landesjustizministerien nach, ist das eine sehr häufige Antwort. Was die Wirtschaft seit Jahrzehnten praktiziert, findet seinen Weg in die Justiz nur langsam. Erst recht, wenn es um das Thema "Richter werden" geht. "Richter ist eine Zielgruppe, bei der traditionell ACs wenig eingesetzt werden", sagt auch Dirk Seiferth, Director und Partner des Beratungsunternehmens Kienbaum Management Consultants. Erstaunlich, kommt Richtern doch eine verantwortungsvolle Rolle zu. Und das lässt sich zumindest ansatzweise im Vorfeld simulieren. "AC für den Richterdienst müssen weniger Fachliches abklopfen, sondern vielmehr kommunikative Fähigkeiten der künftigen Richter, ihren Außenauftritt. Wie gehen sie mit Medien um, wie belastbar sind sie? Denn Richter werden zunehmend zu Medienmanagern. Sie brauchen Medienkompetenz", fordert Seiferth. Einen Case, einen Fall, eine Situation müssten sie durchspielen und das realitätsnah. Das wirke sich letztlich auch auf die Qualität der Justiz aus.
Gute Note reicht nicht aus
Natürlich weisen junge Richter ihre fachliche Qualifikation durch die Note ihres Staatsexamens nach. "Dies reicht aber nicht aus, um ein guter Richter zu werden", sagt Jens Gnisa, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. Schließlich gehe es im Berufsalltag darum, Streitigkeiten ausgleichen und verständlich auf die Bürger zugehen zu können. "Die dafür notwendigen Qualifikationen müssen nun über ACs nachgewiesen werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Richter über derartige kommunikative Fähigkeiten verfügen", so Gnisa. Nordrhein-Westfalen ist so etwas wie der Vorreiter in Sachen Richterdienst-AC. Dort gibt es drei Oberlandesgerichte (OLG), die jeweils selbstständig über die Einstellung von Richtern auf Probe entscheiden: Köln, Düsseldorf und Hamm, wobei letztgenanntes das größte OLG in ganz Deutschland ist. ACs finden bei allen drei OLGs statt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat geregelt, dass für den richterlichen Probedienst neben Juristen mit einem Prädikatsexamen im Zweiten Examen auch solche Bewerber zu einem Auswahlgespräch eingeladen werden, die weniger als 9 Punkte aber mindestens 7,76 Punkte erreicht haben und sich durch besondere persönliche Eigenschaften auszeichnen. Das können Leistungen im Abitur, im Studium im Ersten Examen sein oder besondere Leistungen im Referendariat sein.Kleine Situationen aus dem Berufsalltag
Beim OLG Hamm sind nach Auskunft des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren in der Regel nur Bewerber mit einer Note von deutlich über 7,75 Punkten im Zweiten Examen zu den AC-Verfahren eingeladen worden. Bei dem Vorstellungstermin werden grundsätzlich vier Bewerber eingeladen, die sich einer Auswahlkommission vorstellen. Zunächst müssen sie nacheinander eine Präsentation halten, die nicht länger als zehn Minuten dauern soll und für die sie eine Vorbereitungszeit von 15 Minuten haben. Die Vorträge können einen Fall aus dem richterlichen Berufsalltag oder ein justiz- oder rechtspolitisches Thema zum Gegenstand haben. Im Anschluss daran folgen Einzelinterviews mit jedem Bewerber, die bis zu einer Stunde dauern können. Im Laufe des Tages haben die Kandidaten eine praktische Arbeitsprobe mit 15 Akten aus einem amtsgerichtlichen Dezernat zu bearbeiten. 45 Minuten darf das dauern. Fälle, mit denen Bewerber im AC rechnen müssen, drehen sich um kleine Situationen aus dem richterlichen Berufsalltag. Aus einem anderen Bundesland ist dieses Beispiel für ein Rollenspiel bekannt: Jemand kommt mit einem Anliegen zu Gericht und wünscht eine bevorzugte Behandlung. Aber bei Gericht gibt es einen Geschäftsverteilungsplan.Auswahlkommission will authentischen Eindruck gewinnen
Nach den Interviews mit allen Bewerbern sowie nach der Auswertung der praktischen Arbeitsprobe berät am OLG Hamm die Kommission darüber, ob sie Einstellungszusagen macht oder nicht. Noch am gleichen Nachmittag erhalten die Kandidaten dazu eine Rückmeldung. Am OLG Köln werden pro Termin im Regelfall sieben Bewerber eingeladen. Die Auswahlkommission besteht üblicherweise aus dem Präsidenten des OLG, einem Landgerichtspräsidenten oder dem Präsidenten des Amtsgerichts Köln, der Gleichstellungsbeauftragten sowie dem Personaldezernenten. Auch in Köln gliedert sich das Verfahren in die Abschnitte Gruppendiskussion über ein juristisches oder justizpolitisches Thema, praktische Arbeitsprobe und Einzelinterview. Für Düsseldorf gilt Ähnliches. Allerdings werden pro Termin fünf Bewerber eingeladen. Die Kommissionen möchten aus den Kandidaten herauskitzeln, wie es um ihre Motivation für die Berufswahl bestellt ist, sie konfrontieren die Bewerber mit konkreten Situationen aus dem Berufsalltag im Richterdienst. Es geht weniger um Fachwissen als darum, einen authentischen Eindruck von den Eingeladenen zu gewinnen. Bremen winkt nicht gleich ab, wenn man nach einem AC in der Justiz fragt. Voraussetzung für die Einstellung in den dortigen Justizdienst sind mindestens ein Prädikatsexamen mit vollbefriedigend in einem der beiden Staatsexamina und ein Abschluss mit befriedigend in der jeweils anderen Staatsprüfung. Persönliche Eigenschaften, Kenntnisse, Berufserfahrung müssen dann jedoch hinzukommen. Das Einstellungsverfahren besteht aus Bremen in einem Gespräch zwischen Bewerber und Kommission. Dauer: 75 bis 90 Minuten. Situationen aus der Arbeitswelt stehen im Vordergrund. Auch Rollenspiele können auf die Kandidaten zukommen. Sachsen-Anhalt hat zwar kein förmliches AC für die Einstellung in den Richterdienst vorgeschaltet, Konflikt- und Stresssituationen sowie Bewältigungsstrategien sind jedoch auch dort ein Thema in den Vorstellungsgesprächen. Auch ihren Lebensweg sollen die Bewerber schildern und auf ihre Stärken und Schwächen eingehen. Allerdings finden dort, anders als in klassischen ACs, keine Gruppengespräche statt, stattdessen Einzelgespräche als strukturierte Interviews.Prozedere auf Augenhöhe
Strukturierte Bewerberinterviews kommen auch auf Kandidaten für den Richterdienst in Niedersachsen zu. Verbindliche Mindestvoraussetzung für eine Einladung sind dort acht Punkte im zweiten Staatsexamen. Ausnahmen bestehen aber etwa für Amtsanwälte mit der Befähigung zum Richteramt sowie Versetzungsbewerber aus anderen Bundesländern, soweit überdurchschnittliche dienstliche Beurteilungen vorliegen. Schwerbehinderte Bewerber müssen in Niedersachsen nur sieben Punkte im zweiten Examen erzielt haben. Gegenstand der Einstellungsgespräche sind dort etwa Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit, Identifikation mit dem Auftrag der Justiz, Fähigkeit zu Verhandeln und Ausgleich, Konflikt-, Entschluss- und Kooperationsfähigkeit, soziales Verständnis, Gerechtigkeitssinn sowie verantwortungsbewusste Machtausübung. Rollenspiele und Fallfragen sowie die Lebensläufe der Kandidaten stehen im Mittelpunkt. Egal, ob AC oder einfaches Interview. Wer sich authentisch gibt, für den wird das Auswahlverfahren nicht zum negativen Stresstest, sondern zum Prozedere auf Augenhöhe. Und in der Justiz, im Gegensatz zur Wirtschaft, kann man als Bewerber auf einen Richterposten im AC zumindest damit rechnen, dass kein enormer Konkurrenzdruck entsteht. Schließlich können in der Regel alle Bewerber eingestellt werden. Ein Hauen und Stechen sollte also die Ausnahme sein.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2013 M05 31
Justiz
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