Die Verzugspauschale im Arbeitsrecht

Viel Musik in 40 Euro

von Dr. Alexander UlrichLesedauer: 4 Minuten

Gehalt nicht bekommen, Dienstwagen nicht verfügbar? Bei Zahlungsverzug hat der Gläubiger inzwischen Anspruch auf eine Pauschale von 40 Euro. Das könnte viel Geld bringen, falls die Regel für Arbeitsverträge gilt. Von Dr. Alexander Ulrich.



Zahlt ein Schuldner nicht, ist das ärgerlich – und kostet den Gläubiger Zeit und damit Geld. Im Zuge der Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (EU-RL 2011/7/EU vom 16. Februar 2011) hat der deutsche Gesetzgeber § 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) um die Absätze fünf und sechs ergänzt. Damit kann der Gläubiger zusätzlich zu den Verzugszinsen eine Verzugspauschale in Höhe von 40 Euro geltend machen, sollte der Schuldner mit einer Entgeltforderung im Verzug sein.

Für das Arbeitsrecht sieht § 288 Abs. 5 S. 1 BGB keine Bereichsausnahme vor. Dennoch gibt es namhafte Stimmen, die die Verzugspauschale nicht bei Arbeitsverhältnissen anwenden wollen. Die Rechtsprechung tendiert mittlerweile aber stärker in die entgegengesetzte Richtung.

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Wertungswiderspruch durch Regeln zur Kostenerstattung

In Sachen Kosten gibt es im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Besonderheit: Es gibt in der ersten Instanz keine Kostenerstattung der obsiegenden Partei. Das gilt nach § 12a Abs. 1 S. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) für die Entschädigung wegen Zeitversäumnis genauso wie für die Erstattung von Rechtsanwaltskosten. Dieser Ausschluss gilt sowohl für prozessuale Kostenerstattungsansprüche als auch für materiell-rechtliche Ansprüche.  

In der zweiten Instanz sieht das anders aus: Dort gilt § 12a ArbGG nicht, Rechtsverfolgungskosten sind erstattungsfähig. Gleichzeitig ist in § 288 Abs. 5 S. 3 BGB explizit geregelt, dass die Verzugspauschale auf Ersatzansprüche wegen der Rechtsverfolgung anzurechnen ist. Praktisch bedeutet das: In Arbeitsverfahren bekäme der Gläubiger erstinstanzlich pauschal 40 Euro, die in der zweiten Instanz aberkannt werden müsste. Darin sehen das Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf (Urt. v. 12.05.2016, Az. 2 Ca 5416/15) und das ArbG Nürnberg (Urt. v. 11.11.2016, Az. 12 Ca 6016/15) einen Wertungswiderspruch, der den Ausschluss der Verzugspauschale im Arbeitsrecht gebiete.

Anders beurteilt die Frage das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln (Urt. 22.11.2016, Az. 12 Sa 524/16): Das kann hier keinen Wertungswiderspruch erkennen. § 288 Abs. 5 S. 3 BGB erfasse nur materiell-rechtliche Schadensersatzansprüche. Daher sei die Verzugspauschale in der zweiten Instanz nicht auf die prozessualen Rechtsverfolgungskosten anzurechnen. Der Arbeitnehmer könne daher auch zweitinstanzlich die Verzugspauschale zusätzlich zur Erstattung seiner Rechtsverfolgungskosten verlangen.

Ziel ist die pünktliche Zahlung

Auch das LAG Baden-Württemberg (Urt. v. 13.10.2016, Az. 3 Sa 34/16) wendet die Verzugspauschale im Arbeitsrecht an. Zweck der Verzugspauschale sei die pauschale Entschädigung des Gläubigers für seine internen Betreibungs- und Mahnkosten. Der pauschale Anspruch in Höhe von 40 Euro entstehe gerade unabhängig davon, ob tatsächlich ein Verzugsschaden eingetreten ist. Richtig sei zwar, dass der Arbeitnehmer erstinstanzlich keine Erstattung seiner Rechtsverfolgungskosten verlangen kann, jedoch soll er im Verzugsfall wenigstens die Entschädigung erhalten.

Ferner habe der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie gezielt den Schutz von Arbeitnehmern im Blick gehabt, so das LAG Baden-Württemberg. Der Gesetzgeber habe in Abweichung von der Zahlungsverzugsrichtlinie bewusst die Anwendbarkeit der Verzugspauschale auch auf Ansprüche des Verbrauchers gegen Unternehmer erweitert. Hauptanwendungsfall für Ansprüche eines Verbrauchers gegen einen Unternehmer sei der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber.

Schließlich, so wiederum das LAG Köln, solle die Verzugspauschale den Druck auf den Schuldner erhöhen, Zahlungen pünktlich und vollständig zu erbringen. Dieser Gedanke sei besonders im Arbeitsverhältnis relevant. Der Arbeitnehmer habe ein großes Interesse daran, seinen Lohn pünktlich und vollständig zu erhalten.
 

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2/2: Fehlender Dienstwagen oder ständig fehlendes Gehalt

Bislang weitestgehend ungeklärt ist z.B. die Frage, wie oft der Arbeitnehmer die Verzugspauschale verlangen kann. Denkbar wäre, dass sich der Arbeitgeber nicht nur mit der Grundvergütung in Verzug befindet, sondern auch mit weiteren Vergütungsbestandteilen wie Zuschlägen oder der Überlassung des Dienstwagens zur privaten Nutzung.

Die gleiche Frage stellt sich, wenn der Arbeitgeber über Monate das Gehalt nicht zahlt, etwa, weil er fälschlicher Weise davon ausgeht, wirksam gekündigt zu haben, das Arbeitsverhältnis aber faktisch fortbesteht. Kann der Arbeitnehmer für jeden einzelnen Vergütungsbestandteil und für jeden Monat der ausbleibenden Gehaltszahlung eine gesonderte Verzugspauschale verlangen? Dies könnte schnell zu einem Anspruch von mehreren hundert Euro führen – allein durch die Pauschale.

Eine denkbare Lösung ist, danach zu unterscheiden, weshalb der Arbeitgeber die Zahlung verweigert: Beruht die unterbliebene Zahlung auf einer einheitlichen Begründung, z.B. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, soll der Arbeitnehmer die Verzugspauschale nur einmal verlangen können.

Ausschlussfristen und Kleinstbeträge

Ein weiteres bislang ungeklärtes Problem: Sind Ausschlussfristen anzuwenden? Ist im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag eine Ausschlussfrist vereinbart, könnte diese grundsätzlich auch für den Anspruch auf die Verzugspauschale gelten. Allerdings ist nach § 288 Abs. 6 BGB eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch auf die Verzugspauschale ausschließt oder beschränkt, regelmäßig unwirksam. Davon könnten auch Ausschlussfristen erfasst sein.

Ebenso ungeklärt ist, ob die Verzugspauschale auch bei Kleinstbeträgen zu zahlen ist. § 288 Abs. 5 BGB unterscheidet weder danach, wie lange sich der Arbeitgeber in Verzug befindet, noch nach der Höhe der offenen Forderung. Daher wäre die Verzugspauschale auch dann zu zahlen, wenn sich der Arbeitgeber nur einen Tag mit nur einem Cent in Verzug befindet.

Derzeit ist die Revision gegen die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG dem LAG Baden-Württemberg und dem LAG Köln folgt oder sich doch auf die Seite des ArbG Düsseldorf schlägt. Alle offenen Fragen wird das BAG jedoch sicher nicht beantworten: Allein die Frage, wie oft die Verzugspauschale gefordert werden kann, ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

Der Autor Dr. Alexander Ulrich ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Rechtsanwaltskanzlei Kliemt & Vollstädt, eine der führenden auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzleien in Deutschland. Er ist im Düsseldorfer Büro der Kanzlei tätig.
 

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