Chef, mir wird das alles zu viel!
Zahlreiche ungelesene Emails im Postfach, Vertretung für einen dauerkrankten Kollegen und ein laufendes Projekt erfordert besondere Aufmerksamkeit: Solche Situationen wird jede und jeder schon einmal erlebt haben. Temporäre Belastungsspitzen sind im Arbeitsleben nichts Ungewöhnliches. Sie sind ein Kraftaufwand, der aber regelmäßig zu bewerkstelligen ist.
Wenn die Arbeit hingegen dauerhaft zu viel ist und die Anforderungen und Ziele nicht erreicht werden können, stellt sich für Arbeitnehmer die Frage, ob und ggf. wie hierauf reagiert werden soll. Ist eine Mitteilung an den Vorgesetzten sinnvoll? Muss ein Arbeitnehmer womöglich sogar eine solche Anzeige erstatten? Oder ist dies nicht vielmehr karriereschädigend, weil das Unternehmen dann davon ausgeht, dass man nicht in der Lage ist, die übertragenen Aufgaben zu erfüllen und sich dadurch selbst auf das Abstellgleis befördert?
Arbeitsvertraglicher Pflichtenkanon: Bemühen reicht
Durch den Arbeitsvertrag ist der Arbeitnehmer "zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet", so steht es in § 611a Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Arbeitgeber teilt dem Arbeitnehmer daher im Wege des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts (§ 106 Gewerbeordnung) also Aufgaben zu, die der Mitarbeiter sodann je nach seiner Stellung und seinen Kenntnissen eigenständig oder nach festgelegten Vorgaben zu erledigen hat.
Hierbei schuldet der Arbeitnehmer zunächst nur ein bestimmtes Tätigwerden, er muss sich bemühen, so gut er kann. Einen bestimmten Erfolg schuldet er indes nicht. Erhält der Arbeitnehmer also den Auftrag, ein bestimmtes Projekt binnen einer bestimmten Frist erfolgreich abzuschließen, so erhält der Beschäftigte auch dann seinen Lohn, wenn das Projekt scheitert. Voraussetzung ist lediglich, dass sich der Arbeitnehmer redlich bemüht hat.
Und: Bemerkt der Mitarbeiter, dass er die Aufgabe nicht binnen der ihm vorgegebenen Zeit wird erledigen können, muss er seinen Arbeitgeber darauf hinweisen und ihm dies mitteilen. Versäumt er dies und fährt das Projekt dadurch "sehenden Auges" vor die Wand, drohen ihm hingegen arbeitsrechtliche Konsequenzen, im Regelfall eine Abmahnung.
Dauernde Überlastungssituation
Befindet sich der Arbeitnehmer in einer dauernden Belastungssituation, kann er regelmäßig auch ohne konkrete Terminsetzung an der Erledigung von Aufgaben scheitern. Vom rechtlichen Grundsatz her kommt dem Arbeitgeber jedoch eine Fürsorgepflicht zu, wonach er einer gesundheitsschädigenden Überanstrengung des Arbeitnehmers entgegenzuwirken hat.
Diese Pflicht ist eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die in der allgemeinen Schutz- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§§ 611a, 241 Abs. 2 BGB) begründet ist, aber eine besondere Ausprägung auch in § 618 BGB findet. Hiernach sind die durch den Arbeitnehmer zu erbringenden "Dienstleistungen, (…) so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.". Der Arbeitgeber darf sich danach bei der Zuteilung der Arbeit an der Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Menschen orientieren.
Nur wenn dem Arbeitgeber Umstände bekannt sind, die die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers beeinträchtigen, ist dies bei der Zuweisung der Arbeit zu berücksichtigen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dies im Falle eines leitenden Angestellten bereits vor mehr als 50 Jahren betont und festgestellt, dass ein Arbeitgeber zwar ein "Mehr" an Arbeitsleistung einschließlich Überstunden als von einem "gewöhnlichen" Arbeitnehmer verlangen dürfe (BAG, Urt. v. 13.3.1967, Az. 2 AZR 133/66). Gleichwohl dürfe ein Arbeitgeber auch bei einem hochbezahlten leitenden Angestellten "weder dulden noch gar verlangen, dass er sich in einer seine Gesundheit ernstlich gefährdenden Weise überarbeite". Dies gilt umso mehr für Angestellte ohne Führungsposition.
Auch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Arbeitgeber, für eine "menschengerechte Gestaltung der Arbeit" (§ 2 Abs. 1 ArbSchG) zu sorgen und die "gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse" (§ 4 Nr. 3 ArbSchG) zu berücksichtigen.
Überlastung ist mitzuteilen
Bemerkt ein Arbeitnehmer, dass er aufgrund einer bestehenden Überlastung seinen Aufgaben nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen kann, ist er verpflichtet, dies dem Arbeitgeber mitzuteilen. Eine solche Anzeige führt zwar nicht dazu, dass der Arbeitnehmer seinen Aufgaben nicht weiter nachkommen muss. Wird die Aufgabe dann aber nicht mehr in der gewünschten Qualität erfüllt, kann damit der individuelle Haftungsmaßstab des Mitarbeiters reduziert sein. Passiert dann ein Fehler, der bei normaler Sorgfalt für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer vermeidbar gewesen wäre, kann der anzeigende Beschäftigte hierdurch nicht mehr etwa durch die Abmahnung sanktioniert werden: Er hat ja darauf hingewiesen, dass das derzeitige Pensum nicht zu schaffen ist. Der Leitsatz aus dem Bundeswehrjargon "Melden macht frei", wonach der Untergebene bei Mitteilungen unangenehmer Wahrheiten an den Vorgesetzen exkulpiert ist, gilt also auch hier.
Sieht sich ein Arbeitnehmer dauernd überfordert, ist eine entsprechende Anzeige folglich sinnvoll. Diese sollte dann aber konkret und nachweislich dokumentiert, also nicht nur mündlich erfolgen. Auch sollte der Mitarbeiter z.B. darlegen, dass er für einen bestimmten Arbeitsvorgang ein festgelegtes Arbeitszeitvolumen benötigt und angesichts des Aufkommens von Vorgängen diese nicht mehr zeitnah bzw. in hinreichender Qualität bearbeiten kann.
Schließlich sollte der "Dienstweg" eingehalten werden, die Anzeige also dem direkten Vorgesetzten und nicht dem Vorstandsvorsitzenden übermittelt werden. Dass ein derartiges Schreiben überdies sachlich sein und sich jedweder Vorwürfe über die Aufgabenzuweisung oder Arbeitsorganisation bzw. Stellenplanung enthalten sollte, dürfte sich von selbst verstehen.
Folgen einer Überlastungsanzeige
Zugegebenermaßen werden viele Unternehmen eine solche Anzeige ungern entgegennehmen, erfordert sie doch ein Handeln des Arbeitgebers. Auch droht die Gefahr, dass der meldende Arbeitnehmer nicht als hinreichend belastbar angesehen wird und sich für künftige Beförderungen in den Augen seiner Vorgesetzten womöglich disqualifiziert.
Hier wird es indes natürlich auch darauf ankommen, was andere Kollegen "wegschaffen". Können sämtliche anderen Mitarbeiter der Abteilung das Arbeitspensum in der vorgegebenen Zeit erledigen, dürfte es sich eher um eine subjektive Überlastung des Einzelnen handeln. Kann der Arbeitnehmer unter Inanspruchnahme seiner geistigen Kräfte aber schlicht nicht mehr leisten, so drohen ihm auch deswegen keine unmittelbaren arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Ultra posse nemo obligatur (zu Unmöglichem kann keiner gezwungen werden) gilt selbstredend auch hier.
Ist die individuelle Performance aber weit unter den durchschnittlichen Leistungen, so droht schlimmstenfalls eine personenbedingte (Änderungs-)Kündigung. Ob und wie eine solche Überlastungsanzeige daher erstattet wird, kann damit auch Folge einer taktischen Überlegung des Betroffenen sein.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
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2020 M05 20
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