Interview zum Coronavirus

Ob und wann Beschäf­tigte die Arbeit ver­wei­gern dürfen

Interview von Tanja PodolskiLesedauer: 3 Minuten

Die Zahlen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigen in China rasant. In Bayern sind bisher vier Fälle bekannt, weitere nicht auszuschließen. Ob Infektionsgefahren schon eine Arbeitsverweigerung rechtfertigen, erklärt Burkard Göpfert.

LTO: Herr Göpfert, nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) werden im Verlauf von Grippewellen fünf bis 20 Prozent der Bevölkerung angesteckt, seit Oktober haben sich mehr als 13.000 Menschen infiziert, 32 Patienten starben. Sorge bereitet den Deutschen aber vielmehr das Coronavirus, mit dem inzwischen vier Menschen einer bayerischen Firma infiziert sind, mutmaßlich bei der Arbeit angesteckt. Wann können sich Arbeitnehmern weigern, in ihre Firma zur Arbeit zu gehen?

Dr. Burkard Göpfert: Hier ist Vorsicht geboten - was heißt konkret "Infektionen in der Firma"? Ein Weigerungsrecht würde wohl zumindest voraussetzen, dass das Unternehmen trotz konkreter Infektion und trotz Aufforderungen etwa durch Behörden oder durch den Betriebsrat keine Schutzmaßnahmen ergreift, vor allem zur Meldung, zur Hygiene und zu vorübergehenden Home-Office-Regelungen.

Einfach nicht zu erscheinen ist arbeitsrechtlich keine Option. Das würde eine Arbeitsverweigerung darstellen, die zu einer Abmahnung und unter Umständen sogar zur Kündigung führen könnte. Man muss sich immer klar machen: Nach bisherigen Erkenntnissen ist die hier bekannte Grippe viel gefährlicher und in der Grippezeit käme kein Arbeitnehmer auf die Idee, ohne konkrete betriebliche Vereinbarungen zu Hause zu bleiben.

Die Infektion in Bayern erfolgte offenbar durch den Besuch einer Kollegin der nun Erkrankten aus China. Könnten sich Beschäftigte in Deutschland derzeit weigern, mit Kollegen oder Kunden aus China zusammenzutreffen?

Nein, ohne konkrete Anhaltspunkte etwa für bestehende Infektionen besteht kein Recht, eine Zusammenarbeit mit Kollegen zu verweigern. Der Arbeitgeber sollte allerdings selbst auf die Idee kommen, Möglichkeiten der Kommunikation wie Skype oder sonstige Videokonferenzen zu nutzen, um seine Fürsorge gegenüber den Beschäftigten zu bekunden und jedes Risiko auszuschließen. Immerhin dauert die Inkubationszeit der Corona-Infektion einige Wochen.

British Airways und nun auch Lufthansa haben bereits alle Verbindungen nach China ausgesetzt. Doch müssten deutsche Beschäftigte eine Dienstreise nach China derzeit antreten oder dürften sie diese verweigern?

Solange das Auswärtige Amt oder andere Dienststellen keine konkrete Reisewarnung aussprechen, haben die Mitarbeiter kein Verweigerungsrecht. Bisher liegen Teilreisewarnungen für bestimmte Regionen vor und das Auswärtige Amt rät dazu, von nicht notwendigen Reisen abzusehen.

Unternehmen sind im Rahmen der Pflichten zum Gesundheitsschutz also gehalten, von sich aus Reisen auf das absolut Notwendige zu beschränken und mit den Gesundheitsbehörden und Krankenkassen bzw. dem Betriebsarzt abgestimmt konkrete Verhaltensanweisungen zu geben. Die Frage des Verweigerungsrechts ist sicherlich derzeit theoretischer Natur, kein vernünftiger Arbeitgeber wird dieses Risiko eingehen – insbesondere auch nicht das Prozessrisiko eines Kündigungsverfahrens.

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"Weniger Agilität wäre angemessen"

Die Beschäftigte aus China ist zu einer Zeit eingereist, als das Virus schon für Schlagzeilen sorgte, nun sind die bayerischen Mitarbeiter infiziert. Welche Schutzpflichten haben Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten oder ist eine Infektion noch allgemeines Lebensrisiko?

Die aktuelle Situation geht über das allgemeine Lebensrisiko doch schon hinaus. Die Reisenotwendigkeiten müssen überprüft, Hygienestandards erhöht werden. Dazu zählen etwa die Bereitstellung von Desinfektionsmittel an Eingängen, in Toiletten, in Küchen und Meetingräumen. Auch Hinweise zur regelmäßigen Benutzung usw. sollten Standard werden. Während der SARS-Infektion wurden in Asien Teams über Wochen hinweg stärker in kleinere Gruppen aufgeteilt, um arbeitsfähig zu bleiben. Etwas weniger Personalaustausch oder gar Agilität scheint schon jetzt angemessen.

Haben die Beschäftigten bei einer Infektion während der Arbeitszeit Ansprüche gegen den Arbeitgeber? Wenn ja, welche?

Das setzt ja zunächst einmal eine zurechenbare Pflichtverletzung und Verschulden des Arbeitgebers für eine Infektion des Arbeitnehmers voraus. Das wird man bislang kaum annehmen können. Mit der ansteigenden Gefährdungslage wird man aber auch zunehmend die genannten Hinweise zu hygienischen und organisatorischen Vorsichtsmaßnahmen erwarten müssen, die jedenfalls bei einem gewissen "Ausgesetztsein" erforderlich sind. Das gilt nicht für ein bloßes Infektionsrisiko an Bahnhöfen oder in Flugzeugen, aber bei Besuchergruppen aus China im Betrieb gilt es, die Erforderlichkeiten sorgfältig zu prüfen.

Ein Extremfall wäre das vorsätzliche Verschweigen eines Risikos, beispielsweise wenn Hinweise auf eine konkrete Infektion vorliegen, oder wenn Reisen nach China jetzt gegen jede Notwendigkeit angewiesen werden. Aber ich glaube, dass man den ein oder anderen jetzt eher vor sich selbst und seinen angeblich so wichtigen vor Ort Terminen schützen muss, indem der Arbeitgeber diese Reisen generell verbietet.

Vielen Dank für das Gespräch.

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