Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'?
Überaus freimütig hat sich Daniel Abbou in einem Interview mit dem PR Magazin geäußert. Beim Bau des Berliner Flughafens sei "zu viel verbockt" und "zu viele Milliarden in den Sand gesetzt worden". Darüber hinaus hat er ausdrücklich seinen Chef, Karsten Mühlenfeld, kritisiert. Abbou ist allerdings PR Chef des Berliner Flughafens. Er ist seit der Veröffentlichung des Interviews freigestellt.
Bedeutet das, dass Arbeitnehmer nicht ihre Meinung äußern dürfen, auch wenn sie arbeitgeberkritisch ist? Kann ein derartiges Verhalten eine Kündigung nach sich ziehen? In arbeitsrechtliche Terminologie eingeordnet geht es hier um die sog. Loyalitätspflicht gegenüber dem eigenen Arbeitgeber. Doch wann liegt tatsächlich eine Verletzung dieser Pflicht vor? Und wann kann eine Verletzung eine wirksame Kündigung nach sich ziehen? Gemäß einer alten Juristenregel: Es kommt darauf an…
Arbeiten allein reicht nicht
Die Pflicht eines Arbeitnehmers beschränkt sich nicht darauf, zu arbeiten. Aus dem Arbeitsverhältnis ergeben sich vielmehr noch zahlreiche Nebenpflichten, sog. Treuepflichten, unter anderem eine Pflicht zur Verschwiegenheit betreffend Betriebsgeheimnisse, Handlungs- und Schutzpflichten zur Abwendung von Schäden oder aber die Pflicht, gegenüber dem eigenen Arbeitgeber nicht in Wettbewerb zu treten.
Ausfluss dieser Treuepflicht ist auch die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers. Aus ihr folgt die Verpflichtung, ehrverletzende Kritik am Arbeitgeber zu unterlassen. Dies kollidiert mit dem grundrechtlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Zur Frage, wann ein Arbeitnehmer seine Loyalitätspflicht verletzt, sind also beide Belange – der des Arbeitgebers, nicht kritisiert zu werden und der des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung – gewissermaßen in die Waagschale zu werfen.
Juristisch ausgedrückt findet eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls statt, entschied schon das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 24.06.2004, Az. 2 AZR 63/03). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit muss danach in der Regel dann zurücktreten, wenn die Äußerung des Arbeitnehmers einen Angriff auf die Menschenwürde oder eine Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt. Im Übrigen kommt es auf die Schwere der jeweiligen Beeinträchtigung an.
Position spielt wesentliche Rolle
Würde also beispielsweise ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber ein "Schmähgedicht" vortragen, dürfte er wohl mit einer Kündigung zu rechnen haben. Bleibt die Kritik hingegen sachlich, findet eine umfassende Einzelfallprüfung statt.
Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Brandenburg schuldet der Arbeitnehmer aber auch ein gewisses situatives Loyalitätsverhalten (Urt. v. 26.06.1997, Az. 3 Sa 71/97). Welches Maß an Zurückhaltung zu fordern sei, hänge im Wesentlichen von der Position ab, die der Arbeitnehmer bekleidet. So hätten insbesondere Pressesprecher eine exponierte Position und befänden sich in einer außergewöhnlich sensiblen Vertrauensposition. Deshalb bedürfe es eines umfassenden Vertrauens des Arbeitsgebers in deren Integrität und Loyalität. Zu ihren Aufgaben gehöre es vor allem, die von ihnen verbreiteten Informationen sachlich und positiv darzustellen. Ein Pressesprecher verletze demnach seine arbeitsvertraglichen Pflichten in hohem Maße, wenn er öffentlich und gar in persönlich herabwürdigender Weise seinen Chef kritisiere, so das LAG Brandenburg - "selbstherrlich" und "weinerlich" hatte der PR Chef in diesem Fall genannt.
Auch in anderen Berufen kann ein derart situatives Loyalitätsverhalten gefragt sein. Schauen wir uns beispielsweise den eigenen an - darf der (angestellte) Rechtsanwalt Kritik an der Kanzleiführung oder gar dem unmittelbar vorgesetzten Partner üben? Macht es einen Unterschied, ob er dies öffentlich in einem Zeitungsinterview, "halböffentlich" gegenüber jungen Kollegen oder gar Mandanten oder aber rein privat im Freundeskreis tut? Auch hier ist situativ zu unterscheiden. Während im privaten Umfeld in der Regel keine arbeitsrechtliche Sanktion zu fürchten ist, kommt es mit zunehmender Öffentlichkeit der Äußerung auf die Umstände des Einzelfalles an, insbesondere Art und Gegenstand der Kritik sowie deren Folgen.
2/2: Verletzung der Loyalitätspflicht ist Kündigungsgrund
Überwiegt die Verletzung der Loyalitätspflicht das Recht auf freie Meinungsäußerung, so ist in der Regel auch eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt. Dann muss sogar das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zurücktreten. Regelmäßig ist bei zerstörtem Vertrauen auf Seiten des Arbeitgebers keine Abmahnung mehr erforderlich. Im Einzelfall kann eine Verletzung der Loyalitätspflicht, je nach ihrer Schwere, damit sogar einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen.
BER-Pressechef Abbou hat den Inhalt des Interviews nicht mit der Geschäftsführung abgesprochen. Dabei hat er scharfe, wenngleich noch sachliche Kritik am gesamten Projekt und damit an seinem Arbeitgeber geübt.
Ein Angriff auf die Menschenwürde, eine Formalbeleidigung oder Schmähung ist jedoch nicht ersichtlich. Dennoch erscheint die Beeinträchtigung der Loyalitätspflichten insbesondere aufgrund der besonderen Vertrauensposition als Pressesprecher als schwerwiegend. Ob ein damit befasstes Gericht im konkreten Fall der Loyalitätspflicht oder der Meinungsfreiheit den höheren Stellenwert einräumen wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht erinnert sich das LAG Brandenburg, das mittlerweile LAG Berlin-Brandenburg heißt und das wohl auch im vorliegenden Fall (zweitinstanzlich) zuständig wäre, noch an seine Entscheidung aus dem Jahr 1997.
Der Autor Martin Gliewe ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Noerr LLP in Frankfurt. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere im Rahmen von Umstrukturierungen und im Bereich Compliance.
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2016 M04 14
Individual-Arbeitsrecht
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