"Heute herrscht Stille in den Fluren"
Uwe Hornung (55), Clifford Chance:
Während meiner Anfänge in der Kanzlei Ende der Achtziger nutzten wir für die Mandantenkommunikation vor allem Telefaxe. Diese ‘Telexe‘ starben eigentlich bereits aus, kamen aber noch ab und zu vor und sorgten dann für Stress, weil das Knowhow langsam verloren ging. Sie wurden auf Papierrollen ausgedruckt, die wir als "Butterbrotpapier" bezeichneten. Die Druckerschwärze darauf verblasste innerhalb weniger Monate, was wir aber erst später merkten und was dazu führte, dass dann die frischen Telefaxe gleich noch einmal abkopiert wurden. Es galt die Regel: Auf ein Telefax antwortet man spätestens am nächsten Tag, sonst wurden die Absender nervös.
Die Umschlaggeschwindigkeit, mit der heute gearbeitet wird, ist gegenüber der "Telefax-Ära" enorm gestiegen. Der Arbeitsalltag und die Reaktionszeiten auf Anfragen haben sich extrem beschleunigt. Das spiegelt sich auch im Schreibstil wieder. Wurden Emails in ihren Anfangszeiten noch ausführlich und in ganzen Sätzen formuliert, antwortet man heute mit kurzen, schnellen Aussagen. Tippfehler, Schludrigkeiten, fehlende Umlaute - das stört heute im Geschäftsleben bei E-Mails oder SMS kaum jemanden mehr. Richtigkeit des Inhalts und Schnelligkeit geht vor Form, eigentlich also eine (Rück-)Besinnung auf das Wesentliche.
Dafür sind die Anforderungen an die Optik von Textdokumenten gestiegen. Wo früher schon mal eine Tipp-Ex-Spur einen Schreibfehler zugekleistert hat, hat das Dokument von heute fehlerfrei zu sein. Im perfekten Layout, versteht sich. Und bestimmte Kulturerrungenschaften des deutschen Schreibwesens sind verloren gegangen. Es schriebt niemand mehr g e s p e r r t , um auf etwas n a c h d r ü c k l i c h hinzuweisen, dafür kommt ;-) häufiger vor.
"Das Statussymbol von heute ist die Anzahl der Bildschirme auf dem Schreibtisch"
Zu meinen Anfangszeiten hatten wir in der Kanzlei eine schöne, große und vor allem teure Bibliothek. Es war damals auch eine Art Statussymbol. Sie war sehr gut besucht. Wenn ein Buch gefehlt hat, gab es eine Rundmail an die Kollegen, wer es denn ausgeliehen hätte. Diese Emails gibt es heute kaum noch. Durch die Internet-Recherche ist in der Bibliothek heute viel mehr Platz und sucht man ein Buch, findet man es sofort. Abgegriffen ist es nie. Dafür fehlen die Eselsohren und Post-Its oder gar mal ein Bleistifteintrag.
Es ist dadurch in der Kanzlei insgesamt viel ruhiger geworden. Früher liefen Kollegen oft zwischen Bibliothek und Büro hin und her, heute ist auf den Gängen nicht mehr viel Betrieb. Auch weil der persönliche Austausch mit dem Kollegen im Nachbarsbüro weitgehend durch Emails abgelöst wurde. Und kaum jemand benutzt noch Diktiergeräte. Wo damals aus den einzelnen Büros Selbstgespräche heraus klangen, herrscht heute Stille in den Fluren.
Oft hört man ja Klagen, dass die jüngeren Anwälte nicht mehr so viel arbeiten würden. Das sehe ich nicht so. Sie arbeiten anders. Eben von zuhause und von unterwegs und meist schneller als früher. In den Neunzigern gehörte es noch zum guten Ton, dass die halbe Kollegschaft am Samstag im Büro saß. Heute sind die Stockwerke am Wochenende verwaist. Viele Kollegen kommen nur noch in das Büro, wenn sie müssen. Das Statussymbol von heute ist übrigens die Anzahl der Bildschirme auf dem Schreibtisch.
Nachwuchs beherrscht und erwartet moderne IT-Lösungen
Den jüngeren Anwälten brauchen wir nicht mehr zu erklären, wie man richtig recherchiert oder sich in eine neue Software einarbeitet. Obwohl manche von ihnen glauben, drei einschlägige Zitate würden für ein Gutachten nicht ausreichen. Sie packen dann lieber noch sieben weitere Argumente hinein. Die schnelle Verfügbarkeit großer Informationsmengen erhöht die Qualität also notwendigerweise nicht immer.
Auch die Behauptung, dass die Jüngeren nicht mehr gut ausgebildet würden, teile ich nicht. Die Menschen lernen heute anders und können Anderes. Die Welt ist komplexer als in den Siebzigern, als ich Abitur gemacht habe. Die Fähigkeiten zur Datenverarbeitung sind besser. Man nimmt schnell Wissen auf und löscht es bei Nichtbedarf ebenso schnell wieder von der eigenen Festplatte im Kopf.
Anders herum hat der Nachwuchs eine höhere Erwartung an die Kanzlei. Die Technik muss auf dem neuesten Stand sein. Ist das einmal nicht der Fall, hören wir umgehend den Vorwurf, warum wir derart altmodische und zeitraubende Dinge oder Prozesse nutzen.
Uwe Hornung (55) ist Partner im Bereich Litigation bei Clifford Chance in Frankfurt. 1994 wurde er zum Partner ernannt. Nach dem Staatsexamen Ende der Achtziger stieg er bei der damaligen Kanzlei Pünder Volhard & Weber ein, die 2000 mit Clifford Chance fusionierte.
2/2: Claus von Rintelen (55), Kapellmann und Partner:
Als ich 1990 als Rechtsanwalt begann, war gerade das Verbot überörtlicher Sozietäten vom BGH gekippt worden, es bestand noch das Lokalisationsgebot. Das wurde erst 2000 abgeschafft. Die Zeit der Fusionen begann. Seitdem nahmen die internationalen Merger rapide zu.
Nicht nur die Kanzleien haben sich verändert, sondern mit ihnen ihre Tätigkeit. Es erfolgte eine Internationalisierung des Geschäfts, welche den Anwaltsalltag heute maßgeblich prägt. Zum Beispiel werden die Verträge immer aufgebauschter. Denn im angloamerikanischen Raum tendiert man dazu, alles detailliert festzuschreiben. Außerdem werden vermehrt Mediation und alternative Streitschlichtungsverfahren eingesetzt. So möchte man teure Gerichtsverfahren vermeiden und für alle Seiten eine Win-Win-Situation schaffen.
Auch das Recht selbst wandelt sich. Seit Langem ist zu beobachten, dass sich mehr und mehr Spezialbereiche entwickeln. Deshalb sind die Anwälte von heute wesentlich spezialisierter als in den Neunzigern. War man früher eher Generalist, ist man heute Experte. Das bedeutet gleichzeitig, dass in komplexen Verfahren die Größe der Teams steigt. Weil der Mandant für jedes Spezialgebiet einen Experten erwartet.
Informationsflut: Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Schon bevor ich nach Hamburg kam, war ich in Düsseldorf für die Bibliothek zuständig. Alle relevanten Informationen waren in Büchern oder Zeitschriften zu finden. Auch in Hamburg habe ich eine Bibliothek aufgebaut. Doch diese hat nichts mehr gemein mit einer typischen Kanzleibibliothek von vor zwanzig Jahren. Die meisten juristischen Informationen sind heute über Datenbanken erhältlich. Hierfür geben wir inzwischen die Hälfte des Bibilotheketats aus.
Insgesamt hat die Fülle an Informationen extrem zugenommen. Allein die Anzahl der Fachzeitschriften scheint unendlich groß geworden zu sein. Für jedes Spezialthema wird eine neue Fachzeitschrift geschaffen. Das gilt gleichermaßen für Bücher. Wo früher ein oder zwei Kommentare zu dem VVG vorhanden waren, stehen heute gleich zehn verschiedene Kommentare. Und wurden früher 150 Seiten zu einem Thema wie der VOB geschrieben, sind heute 3.000 Seiten bedruckt.
Dass so viel veröffentlicht wird und das Meiste online durchsuchbar ist, hat die Informationsbeschaffung auf der anderen Seite erheblich erleichtert. Die Gerichtsentscheidungen stehen innerhalb kürzester Zeit allen zur Verfügung. Vor allem sind es viel mehr als früher. Daher heißt es, aus dem Wust veröffentlichter Urteile die relevanten Informationen herauszufiltern. Das scheint mir heutzutage die eigentliche Herausforderung zu sein.
Google hat den Nachwuchs verdorben
Ein Anwalt muss heutzutage in Datenbanken effizient recherchieren und methodisches Wissen sinnvoll anwenden können. Bei den jungen Anwälten merkt man aber, wie sehr die Google-Suche sie verdorben hat. Viele suchen zu trivial und werten zu viele Treffer aus, anstatt methodisch vorzugehen. Kennt man die Grundfragen eines Rechtsproblems nicht, kann man nicht vernünftig recherchieren. Die Suche frisst dann viel Zeit. Sinnvoll wäre es, weniger Ergebnisse systematisch zu erfassen und zu subsumieren. Methodische Datenbankrecherche brauchte ich vor dreißig Jahren übrigens noch nicht. In meinen Anfangszeiten war es üblich, erfahrene Kollegen nach einschlägiger Literatur zu fragen.
Rechtsrecherche ist aber nur ein Teil unseres Berufs. Der Großteil der Arbeit besteht daraus, Informationen zu beschaffen. Dabei geht es darum, den relevanten Sachverhalt aufzuarbeiten. Erst wenn dieser vollständig analysiert wurde, ist man überhaupt in der Lage, eine rechtlich zutreffende Entscheidung zu treffen. Ansonsten kann man auch einfach eine Münze werfen. Denn Jura ist immer noch eine Wertungswissenschaft und das Ziel sind gerechte Entscheidungen.
Was sich also nicht geändert hat: Die richtigen Fragen stellen. Denn nach wie vor besteht nur ein kleiner Teil der Lösung darin, sich durch eine uferlose Rechtsprechung zu arbeiten. Wer über ein breites juristisches Wissen verfügt, der tut sich leichter.
Dr. Claus von Rintelen (55) ist seit 1995 bei der mittelständischen Bau- und Immobilienrechtskanzlei Kapellmann und Partner. Seit 2008 ist von Rintelen im Hamburger Büro tätig, zuvor arbeitete er in Düsseldorf. Seine Schwerpunkte sind das Bau- und Architektenrecht sowie das Versicherungsrecht.
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2016 M03 23
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