Was macht ein International Desk in einer Kanzlei?
"Als ich 2013 den Anruf bekam, dass ein Nachfolger für das kanzleieigene International Desk gesucht werde, war das noch eine One-Man-Show", erinnert sich Dr. Gero Schneider, Leiter des International Desk von TiefenbacherRechtsanwälte. Schneider baute das Desk auf, stellte 2015 die erste Kollegin ein. Mittlerweile besteht das Desk aus acht Anwält:innen.
"Das eine" International Desk gibt es nicht. Aufbau, Größe und Arbeitsweise variieren je nach Kanzlei. Ein International Desk besteht aus einem spezialisierten Team an Anwält:innen, das sich auf die Beratung in grenzüberschreitenden Fällen konzentriert. Knowhow wird gebündelt und der Rückgriff auf internationale Kanzlei-Netzwerke gewährleistet eine lokale Expertise. Viele Desks bieten keine allgemein internationale, sondern eine länderspezifische Beratung.
Entstanden ist das Desk von TiefenbacherRechtsanwälte schon ungewöhnlich früh, Ende der Neunziger Jahre. "Es gab damals eine Kooperation mit einer anderen Kanzlei, die bereits Mitglied bei den Netzwerken "ALFA International" und "Association of European Lawyers" war“, erklärt Schneider. Das sind Zusammenschlüsse mehrerer Kanzleien in unterschiedlichen Jurisdiktionen, deren Ziel ein gemeinsamer Austausch und der Aufbau einer internationalen Struktur ist, um mit internationalen Großkanzleien konkurrieren zu können. "Die Partnerschaft hat darin Potential gesehen". Als er später selbst die Leitung des Desk übernahm, war ihm nicht bewusst, wie viel Zeit und Arbeit es kosten würde, dieses groß zu machen.
Netzwerke als Geschäftsmodell
"Da unsere Kanzlei keine ausländischen Standorte hat, war klar, dass wir die Netzwerke nutzen mussten, um international arbeiten und sichtbar werden zu können“, berichtet Schneider.
Bei ALFA International gibt es 14 Practice Groups, die verschiedene Rechtsgebiete abdecken. "Wenn sich in einem grenzüberschreitenden Mandat zum Beispiel eine arbeitsrechtliche Frage im spanischen Recht auftut, ermöglicht uns das Netzwerk, die thematisch passende Kanzlei in Spanien zu finden", erklärt Schneider. Danach entscheidet die Mandantschaft, ob beide Kanzleien tätig bleiben oder ob die weiterleitende Kanzlei nur eine Begleitfunktion behalten soll.
Es finden auch Netzwerktreffen statt, bei denen sich die Anwält:innen persönlich kennenlernen. Nach über zehn Jahren Erfahrung kann Schneider auf ein weltweites Kanzlei-Portfolio zurückgreifen. Mit vielen dieser Rechtsanwält:innen ist er heute befreundet. "Es ist wichtig, dass es nicht nur thematisch, sondern auch zwischenmenschlich passt", sagt er. Nur durch Vertrauen und Integrität könne ein lückenloser Service für die Mandantschaft garantiert werden.
"Nichts revolutionieren, sondern Bestehendes strukturieren und formalisieren"
Auf andere Kanzleien muss Katarina Sacharow nicht zurückgreifen. Die Rechtsanwältin berät für Ernst & Young Law (EY Law) in Hamburg. Sie ist Co-Gründerin des deutsch-polnischen Desk. "Eine Partnerin in Polen und ein deutscher Partner wollten das Desk gründen, da es schon viele deutsch-polnische Mandate gab. Sie haben mich ins Boot geholt", beschreibt sie die Gründung 2022. Sacharow ist halb Polin, spricht die Sprache fließend und arbeitete zuvor schon an internationalen Mandaten.
Als internationales Unternehmen ging es EY Law bei der Gründung nicht um Sichtbarkeit in anderen Ländern. "Wir wollten mit dem Desk nichts revolutionieren, sondern Bestehendes strukturieren und formalisieren", erklärt Sacharow. Davor arbeitete EY Law projektbezogen an den deutsch-polnischen Mandanten: Trat ein Problem auf, wurde nach passenden Kolleg:innen gesucht.
Jetzt sollten Expertise und Wissen im Desk gebündelt und ein nachhaltiges Verständnis für den anderen Rechtsmarkt aufgebaut werden. "Jetzt bildet sich ein Team nicht erst, wenn eine Rechtsfrage auftaucht. Wir wissen von Anfang an, auf wen wir intern zurückgreifen", erklärt Sacharow. Das spart Zeit.
Vom Steuerrecht abgeguckt
"Abgeguckt haben wir vom Steuerrecht", schmunzelt Sacharow. "Bei den Big Four sind dort International Desks seit Jahren implementiert." Da Polen als Abnehmerland deutscher Exporte immer wichtiger wird, was auch mehr rechtliche Beziehungen bedeutet, wurde das Desk ins Leben gerufen. "Aktuell sieht man deutsch-polnische Law Desks noch nicht so häufig", so die Juristin. Sie ist sich aber sicher, dass andere Kanzleien in den kommenden Jahren nachziehen werden.
Für das noch junge Desk arbeiten inzwischen acht Anwält:innen, vier auf polnischer und vier auf deutscher Seite. Sacharow arbeitet jeden Tag zwei bis drei Stunden für das Desk, daneben hat sie aber auch noch andere Mandate. Der Austausch am Desk ist enger als bei sonstigen grenzüberschreitenden Mandaten: "Wir besprechen uns zweimal wöchentlich, unabhängig von einzelnen Mandaten", so die Anwältin. Es geht um Kontinuität, nicht um einzelne Projekte.
Sogar auf ihr Privatleben habe die Arbeit seither Einfluss genommen. So liest sie jetzt täglich polnische Nachrichten, um auf dem neusten Stand zu bleiben und einen besseren Zugang zur polnischen Mandantschaft zu haben.
Die Besonderheiten des deutschen Rechts "übersetzen"
Erstaunt war Sacharow über die Wichtigkeit von Sprache. "Obwohl alle Beteiligten fließend Englisch sprechen, bitten uns Mandant:innen trotzdem oft, nochmal ins Polnische zu übersetzen." Auskünfte in der Muttersprache zu erhalten, stärkt das Vertrauen enorm.
"Unsere Mandanten schätzen nicht nur die Beratung in ihrer Muttersprache. Eine unserer zentralen Aufgaben ist es, die Besonderheiten des deutschen Rechts im Vergleich zur französischen Rechtsordnung zu erläutern und hierzu zu beraten", ergänzt Dr. Ann Margret Herzhoff. Die Rechtsanwältin arbeitet im Immobilienwirtschaftsrecht und im French Desk der Wirtschaftskanzlei Oppenhoff. In ihrem Fachbereich muss sie oftmals deutsches Baurecht erklären. Gerade die auf den Föderalismus zurückgehenden landesspezifischen Eigenheiten im Baurecht stoßen bei französischen Kolleg:innen oft auf Unverständnis.
Auch der hohe Schutzgrad, den das deutsche Arbeitsrecht bietet, ist bei amerikanischer Mandantschaft meist unbekannt, ergänzt Schneider. Deshalb besteht 80 Prozent seiner Desk-Arbeit auch darin, das deutsche Recht mit seinen Besonderheiten zu übersetzen – nicht in eine andere Sprache, sondern auf juristischer Ebene.
"Nicht nur in eine andere Judikatur, sondern auch Kultur hineindenken"
Auch Mareike Heesing weiß, wie wichtig Sprache ist. Die Juniorpartnerin leitet den French Desk bei Oppenhoff. Sie hat selbst zwölf Jahre in Frankreich gelebt und dort gearbeitet. "Französisch ist für unser Desk Voraussetzung. Man muss nicht in der Lage sein, französische Gutachten auf Niveau eines Muttersprachlers zu schreiben, aber aber man sollte sich bei einem Mandatsgespräch in Landessprache wohlfühlen", erklärt die Rechtsanwältin.
Seit seiner Gründung 2020 ist der French Desk von Oppenhoff auf zurzeit zwölf Rechtsanwält:innen angewachsen. Die Kanzlei setzt auch auf Netzwerke, für Akquise und Business Development. "Wir besuchen regelmäßig unsere Mandanten und die Kanzleien, mit denen wir zusammenarbeiten in Paris, haben dort aber kein eigenes Büro", sagt Heesing über die Arbeit am Desk. "Wir wollen als deutsche, nicht deutsch-französische Kanzlei wahrgenommen werden, denn wir legen zwar einen Fokus auf deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen, beraten aber nur zum deutschen Recht." So arbeiten im Desk-Team deutsche Jurist:innen, viele haben aber zeitweise Frankreich studiert oder einen Doppelschabschluss.
Das ist auch auf den Kölner Standort der Kanzlei zurückzuführen, denn an der dortigen Universität gibt es die Möglichkeit eines deutsch-französischen Jurastudiums. Daher arbeiten am French Desk auch immer wissenschaftliche Mitarbeitende oder Referendar:innen, die sich für diese Schnittstelle interessieren.
Allein die Sprache und das Rechtsverständnis reichen aber nicht. Heesing erklärt, dass auch ein kulturelles Interesse an Frankreich entscheidend ist. Dem schließt sich Sacharow an: “Bei Desk-Neuzugängen ist wichtig, dass sie Lust haben, sich über Landesgrenzen hinweg aufzustellen und zu vernetzen. Man muss sich nicht nur in eine andere Jurisdiktion, sondern auch Kultur und Marktwirtschaft hineindenken wollen.”
Neue Kultur heißt neue Soft Skills
Kulturelle Unterschiede hat auch Heesing im Laufe ihrer Desk-Arbeit kennengelernt, trotz der deutsch-französischen Nachbarschaft. "Die Verhandlungskultur ist eine andere. Meine französischen Kolleg:innen sind schonmal über die direkte deutsche Art verwundert", erläutert sie. Während in einer deutschen Verhandlung ohne Small Talk kritische Aspekte ausdiskutiert würden, käme es in Frankreich hingegen gelegentlich dazu, dass Streitpunkte erst nach der Verhandlung, beim Abendessen, besprochen würden. "Gerade das macht unsere Arbeit aber spannend und man lernt neue Soft Skills", findet Herzhoff.
Kulturellen Unterschieden begegnete auch Schneider. So kam es schon vor, dass er bei einer Anfrage aus den Vereinigten Arabischen Emiraten am Heiligabend auf deutsche Feiertage und dadurch entstehende Verzögerungen hinweisen musste.
"An Internationaler Rechtsberatung wird in Zukunft niemand mehr vorbeikommen"
Die Arbeit in einem International Desk ist anspruchsvoll, aber auch spannend – und man lernt sehr viel.
"Ich konnte polnische Rechtskenntnisse erlernen, aber vor allem war und ist es beruflich erfüllend, ein Projekt wie das Desk zu verwirklichen und ständig weiterzuentwickeln", freut sich Sacharow. Sie rät denjenigen, die gerne über den Tellerrand hinausgucken, sich gezielt für Kanzleien mit einem International Desk zu entscheiden.
Frau Heesing und Frau Dr. Herzhoff haben mit dem Oppenhoff French Desk eine Nische gefunden, bei der sich ihre beruflichen und persönlichen Interessen überschneiden.
Auch Schneider ist zufrieden, dass aus der One-Man-Show eine ganze Abteilung wurde, denn er weiß: “Unser Desk hebt uns bei den Mittelständlern hervor. An internationaler Rechtsberatung wird in Zukunft niemand mehr vorbeikommen.”
Tamara Wendrich, LL.M. ist Volljuristin. Kürzlich hat sie ihr Referendariat am Kammergericht abgeschlossen.
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