Jean-Luc Vey & Robert Michels

"Diver­sity ist ein busi­ness­re­le­vanter Faktor"

Lesedauer: 7 Minuten

Robert Michels ist Europe People Partner bei Dentons. Jean-Luc Vey arbeitet bei der Deutschen Bank und ist Gründer der Stiftung Prout at Work. Mit beiden sprechen wir über Diversity & Inclusion am Arbeitsplatz und gemeinsame Projekte.

LTO-Karriere: Robert, Du bist bei Dentons als Anwalt tätig. Was machst du da genau?

Robert: Nun, meine Spezialisierung ist Kapitalmarktrecht sowie die Blockchain-Technologie im Zusammenhang mit Finanzierungsaspekten. Daneben bin ich seit Anfang dieses Jahres Europe People Partner und beschäftige mich mit strategischen Talent-Themen und damit mit unseren Diversity-Aktivitäten und -Initiativen an den 29 europäischen Dentons-Standorten. 

Jean-Luc, was machst du?

Jean-Luc: Ich bin bei der Deutschen Bank im IT-Bereich als Innovationsmanager tätig. Ferner bin ich im Vorstand von Prout at Work. Das ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich für LGBT*IQ-Menschen am Arbeitsplatz in Deutschland und Frankreich engagiert. Ich bin seit 20 Jahren für das Thema Diversity aktiv – inzwischen auch in Bezug auf die Kanzleiwelt.

Robert, wo habt ihr euch kennengelernt?

Robert: Im Gegensatz zu den 20 Jahren, die Jean-Luc Erfahrung in dem Bereich mitbringt, bin ich ein Greenhorn. Wir haben vor ca. drei Jahren in unserem Frankfurter Büro einen Global Pride-Day organisiert und haben dafür Jean-Luc bzw. Prout at Work eingeladen. Dort haben wir uns kennengelernt und haben gleich die französische Musik als weiteres gemeinsames Thema entdeckt. Seitdem sind wir auch abseits des Professionellen befreundet. Das war der Auftakt zu einigen gemeinsamen Aktivitäten, darunter die Pride Days Germany, die Konzeption einer eigenen Veranstaltungsreihe "Prout Diversity Leaders" etc.

Was macht ihr da genau bei den Pride Days Germany bzw. den Prout Diversity Leaders-Events?

Robert: Dieses Jahr haben wir ihm Rahmen des German Pride Day das Prout Diversity Leaders-Event #3 in Frankfurt durchgeführt. Das Format richtet sich an D&IManger:innen in Unternehmen und Kanzleien. Bei dieser Veranstaltung im Juli 2022 hatten wir auch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) als Partner an Bord. Es ging um das Thema „LGBT*IQ im Profisport“ und diskutiert haben wir unter anderem mit Thomas Hitzlsperger, Vertreter:innen des VFL Wolfsburg und Eintracht Braunschweig. Im Jahr davor hatten wir an unseren vier Kanzleistandorten in München, Berlin, Frankfurt und Düsseldorf zum Pride Day Germany die ersten Happy Hours seit Beginn der Pandemie organisiert. Wir möchten einen Rahmen schaffen, um eine gemeinsame Diskussion zum Thema „Diversity und Kanzleikultur“ zu ermöglichen und den Begriff Diversity zu entmystifizieren. 

Jean-Luc: Genau. Die Idee zum Pride Day Germany entstand auch durch Gespräche mit Firmen und Kanzleien. Viele Menschen wollten gerne etwas unternehmen, um Vielseitigkeit zu feiern. Die letzten zwei Jahre war das jedoch aufgrund von Corona sehr schwierig. Doch seit 2021 gibt es nun den Pride Day Germany: ein Tag, an dem man auf verschiedene Art das Thema Diversity & Inclusion in den Mittelpunkt stellt. Das kann ein Training, ein Get-Together, eine Beflaggung vor der Tür in Regenbogenfarben, sonstige Aktionen im Unternehmen etc. sein. Kreative Menschen können ihre Initiativen auf unserer Webseite posten – und am Ende findet ein Public Voting statt. Die drei beliebtesten Aktionen werden bei unserer jährlichen Konferenz im Oktober gekürt.
Seit diesem Jahr hat übrigens Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales die Schirmherschafft für den Pride Day Germany übernommen. 

Robert, Liebe zur Sprache als Anwalt: Ja oder nein? Und dann Liebe zum Gendern: Ja oder nein?

Robert: Ich glaube es gibt im Moment in der Anwaltschaft- kaum ein Thema, was ähnlich kontrovers diskutiert wird wie das Gendern. Da prallen schon polarisierende Meinungen aufeinander.

Wie ist der Stand der Debatte? Was sind die typischen Argumente der Pro- und Gegenbewegung?

Robert: Nun, das eine Extrem beklagt eine „Verschandelung der deutschen Sprache“ und betont den kulturellen Wert der Sprache an sich. Und das andere Extrem führt in der Tat zu einer sehr eingeschränkten Lesbarkeit der gewählten Sprache. Aber es gibt natürlich auch Raum zwischen den beiden Extrempositionen. Für mich geht es bei der Diskussion im Wesentlichen darum, ob man bereit ist zuzulassen, dass ein Gegenüber sich von Sprache ausgeschlossen fühlen kann und die Bereitschaft seine eigenen Prägungen für einen Moment beiseitezulassen, zuzuhören und dann erst die eigene Position zu hinterfragen.

Wie schreibt Ihr Eure Schriftsätze?

Robert: Noch so, wie eine traditionelle Anwaltskanzlei sie schreiben würde. Aber es ist im Anwaltsmarkt eine gewisse Dynamik festzustellen, insbesondere bei Stellenanzeigen und der internen Kommunikation [innerhalb der Kanzleien].

Jean-Luc: Ich finde gut, dass es eine Diskussion gibt, denn das signalisiert eine Entwicklung. Es geht um sog. unconscious biases, um unbewusste Vorurteile. Viele Leute denken, dass, wenn sie das generische Maskulinum verwenden, Frauen einbezogen würden. Ist das wirklich so? Wollen wir Frauen nicht auch über die Sprache inkludieren? Und ich rede nicht über Transgender-Personen, Intersex-Personen etc. Gedanken in diese Richtung erhalten zunehmende Relevanz für das Business. Es gibt Studien, die zeigen, dass ein Viertel der jüngeren Leute zwischen 18 und 25 Jahren nicht zu einem Mann-Frau-System gehören möchten. Dass sie anders sind, sich nicht in dem binären System wohl fühlen. Diese Zielgruppe sollten Unternehmen und Kanzleien aus meiner Sicht auch berücksichtigen – zum eigenen Vorteil.

Robert, ist Diversity tatsächlich ein businessrelevanter Faktor?

Robert: Ja, ist es auf jeden Fall und dies setzt sich immer mehr in den Köpfen fest. Es gibt kaum mehr Panel-Verfahren, ohne dass von den Mandanten die entsprechenden Key Performance Indicators (KPIs) zu Diversity abgefragt werden. Und was ich beobachtet habe: Je jünger der Personenkreis, desto entspannter wird die Thematik gesehen – und desto selbstverständlicher ist sie.

Jean-Luc: Ich kann nur bestätigen, was Robert sagt. Wenn ich mit jüngeren Leuten diskutiere, stelle ich fest, dass diese viel offener sind. Wenn ich vergleiche, wie es bei mir war… dazwischen liegen Welten.

Tauscht Ihr Euch dann auch miteinander – persönlich und als Institutionen – zu dem Thema und den sich ändernden Erwartungshaltungen aus?

Robert: Ja, denn als People Partner für unsere europäischen Standorte bekomme ich in der Tat viele typische Fragen für Diversity Management auf den Tisch. Dabei ist es natürlich hilfreich, auf jemanden wie Jean-Luc zurückgreifen zu können, der die Diskussion schon länger führt. Eine typische Frage ist etwa: „Warum soll ich mitmachen - ich bin doch tolerant?!“ bzw. „Sollte sexuelle Orientierung nicht privat bleiben“? Es ist unsere Aufgabe, zu zeigen, dass es für ein gutes und erfolgreiches Diversity Management darum geht, das Bewusstsein zu schaffen: Jede(r) kann etwas tun – und zwar mehr als zu sagen, dass man nicht diskriminiere. Wir wollen unseren Mitarbeitenden eine Plattform geben, wo sie sich wohl fühlen und sich auch offenbaren können, wenn sie es denn wollen. Gezwungen werden soll niemand. Dafür steht „mein“ persönliches Motto: Come as you are

Jean-Luc: Genau. Es ist immer noch so, dass viele jüngere Menschen, die sich in ihrem ersten Job geoutet“ haben, sich erneut verstecken, weil sie Angst haben, nicht an ihrem Können gemessen zu werden.

Habt ihr eine LGBT*IQ-Group bei Dentons?

Robert: Ja, wir haben ein weltweites Netzwerk namens „Glow“. In Deutschland haben wir ein standortübergreifendes Team von Allies, also Verbündeten, ins Leben gerufen. Insgesamt haben wir derzeit ca. 40 Allies, die sich auch für die anderen Dimensionen von Diversity engagieren.

Mancherorts hört man den Vorwurf, die zahlreichen Aktionen rund um den sogenannten Pride Month würden nicht ausreichen bzw. seien sehr oft Pinkwashing.

Jean-Luc: Ich würde sagen, es ist wichtig, sich über den Pride Month hinaus zu engagieren. Es gibt viele andere Möglichkeiten. Wichtig ist auch, über den Regenbogen und den CSD hinaus alle Dimensionen von Vielfalt in der Diversity-Strategie zu berücksichtigen – Alter, Geschlecht, Behinderung, sexuelle Orientierung, Herkunft und Weltanschauung. Was wir Unternehmen immer sagen: Seid transparent und seid ehrlich! Ich glaube so kämpft man am besten gegen Pinkwashing. 

Robert: Für mich ist eigentlich die Kernaufgabe, einen Schritt zurückzugehen und wirkliche Awareness zu schaffen. Awareness dafür, dass Diversity, wie Jean-Luc gerade ausgeführt hat, sehr viele Dimensionen umfasst und dadurch eigentlich alle Menschen in einem Unternehmen betrifft. Wir alle sind – und das ist nicht schlimm – geprägt von unserer Kindheit, Jugend, Ausbildungszeit. Das führt zu unbewussten Vorurteilen und möglichem Schubladendenken. Wenn man es schafft, dass andere darüber reflektieren, kann man sehr, sehr viel erreichen.

Welche Auswirkungen hat dies auf den Bewerbungsprozess?

Robert: Ich glaube, man wird nie sämtliche unbewusste Vorurteile ausschalten können. Gerade beim Bewerbungsprozess und Bewerbungsgespräch kommt es häufig zu Situationen, wo über Ausbildung, Herkunft oder Hobbies gesprochen wird und sofort gehen die Schubladen auf. Bei mir besteht die Gefahr, wenn dort eine Verbindung zum Saarland – meiner Heimat – oder bspw. Sport, Fashion und Musik besteht. Dann gerate ich sofort in Versuchung, der entsprechenden Person einen Sympathiepunkt zu geben. Die Auseinandersetzung mit den eigenen unterbewussten Vorurteilen ist bereichernd und Trainings helfen bei der Sensibilisierung.

Jean-Luc: Meiner Meinung nach spielt die eigene Homepage sowie Repräsentation auf Karriereplattformen ebenso eine große Rolle. Welche Art von Bildern verwenden sie? Welche Menschen werden dargestellt? Ist das vielfältig oder nicht? Ist die verwendete Sprache inklusiv, sodass alle sich angesprochen fühlen? Das wäre für mich ein weiterer Schritt nach vorne. Für Manager:innen, HR-Mitarbeitende und Recruiter:innen ist wichtig, dass sie im Voraus z. B. ein Unconscious-Bias-Training erhalten.

Was plant Ihr in der Zukunft?      

Jean-Luc: Der Schwerpunkt meiner persönlichen Aktivitäten in den kommenden Monaten wird der Aufbau und die Weiterentwicklung von PROUT AT WORK in Frankreich sein. Darüber hinaus werden wir gemeinsam mit Robert das Prout Diversity Leader-Format weiterentwickeln und auch insbesondere das Thema LGBT*IQ im deutschen Profisport weiterfolgen. Dafür wollen wir gemeinsam mit dem DFB und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Initiativen starten.

Robert: Darauf freue ich mich natürlich ganz besonders. Zu ergänzen wäre vielleicht noch, dass wir den nächsten Prout Diversity Leader-Workshop #4 auch auf Diversity in Kanzleien ausrichten werden. 

Vielen Dank für das Gespräch.

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