Björn Höcke wurde vom LG Halle erneut verurteilt. Das OLG Jena sah in der rechtsextremen Gruppe Knockout 51 keine terroristische Vereinigung. Der US-Supreme Court entschied, dass Ex-Präsidenten (nur) für Amtshandlungen Immunität genießen.
Thema des Tages
LG Halle zu Björn Höcke: Björn Höcke (AfD) wurde vom Landgericht Halle erneut wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a StGB verurteilt. Obwohl Höcke bei einem Wahlkampfauftritt in Gera im Dezember 2023 das letzte Wort der SA-Parole "Alles für Deutschland" nicht ausgesprochen hatte, bejahte das Gericht seine Täterschaft. Höcke habe darauf hingewirkt, dass das Publikum die Parole vervollständige; dem habe er dann mimisch zugestimmt. Das Gericht setzte eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 130 Euro fest. Die Staatsanwaltschaft hatte eine achtmonatige Freiheitsstrafe gefordert, ausgesetzt auf Bewährung. Zudem hatte sie gefordert, Höcke für zwei Jahre von politischen Ämtern auszuschließen. Dem folgte das Gericht nicht. Es berichten SZ (Jan Heidtmann), FAZ (Markus Wehner), taz (David Muschenich), Welt (Kevin Culina), Tsp (Jost Müller-Neuhof), spiegel.de (Wiebke Ramm), zeit.de (August Modersohn), zdf.de (Daniel Heymann), bild.de (Uwe Freitag), focus.de (Sebastian Scheffel) und beck-aktuell.
LTO (Kevin Japalak) analysiert das Urteil im Lichte des ultima ratio-Grundsatzes. Angesichts der fehlenden Bekanntheit der SA-Parole in der Bevölkerung sei fraglich, ob das Tatbestandsmerkmal "Kennzeichen" noch erfüllt sei.
Jost Müller-Neuhof (Tsp) sieht in dem Paragrafen, dessentwegen sich der Politiker verantworten musste, zwar ein politisches Delikt, weil er politische Ordnungsvorstellungen artikuliere. Doch das bedeute nicht, dass Höcke Opfer einer politischen Justiz wurde, "einer Justiz also, die Oppositionelle dafür abstraft, oppositionell zu sein." Höcke habe diesen Unterschied in seinem Schlusswort in voller Absicht verwischt. Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, Deutschland sei als freiheitlicher Staat trotz seiner Vergangenheit nicht dazu verpflichtet, verfassungsfeindliche Kennzeichen und Symbole wie die SA-Parole unter Strafe zu stellen. Höckes "lustvolles Ausleben von Tabus" sei aber womöglich "ein Beispiel für den Sinn solcher Grenzen." Die wichtigste Lehre aus der Geschichte sei es aber, Höcke als politischen Gegner jenseits des Strafrechts zu stellen, "in der weiten Arena des Rechtsstaats und auf friedlichem Wege".
Rechtspolitik
Bundeshaushalt: Die SPD-Führung hat ein Mitgliederbegehren zum Bundeshaushalt 2025 als juristisch unzulässig abgelehnt. Ziel war, die Zustimmung zum Haushalt durch die SPD-Fraktion an Bedingungen zu knüpfen. Nach einem Gutachten liege jedoch die Haushaltsgesetzgebung ausschließlich beim Deutschen Bundestag und den freigewählten Abgeordneten und könne daher nicht in einem Mitgliederbegehren verhandelt werden. Es berichten FAZ (Mona Jaeger), spiegel.de (Sophie Garbe/Christian Teevs), zeit.de und bild.de (Nils Heisterhagen).
Betriebsratsvergütung: Rechtsprofessor Markus Stoffels beschreibt auf beck-community vertiefend die Präzisierung der Betriebsratsvergütung in § 37 Betriebsverfassungsgesetz, die der Bundestag vorige Woche beschlossen hat. Maßstab für die Entlohnung eines Betriebsrates wie bei einem "vergleichbaren Arbeitnehmer" soll demnach der Zeitpunkt sein, zu dem das Betriebsratsamt übernommen wurde.
Chatkontrolle: 48 Organisationen aus der Zivilgesellschaft, darunter der Chaos Computer Club und der Kinderschutzbund, fordern die ungarische Ratspräsidentschaft auf, den Verordnungsvorschlag zur Chatkontrolle zu beerdigen. Mit einem solchen Instrument würde ein anlassloses massenhaftes Scannen auch verschlüsselter Kommunikation einhergehen, das in die Grundrechte eingreife. Stattdessen fordern die Verbände wirksame Maßnahmen zum Kinderschutz wie zum Beispiel Präventionsprogramme. Es berichtet netzpolitik.org (Anna Biselli).
Justiz
OLG Jena zu "Knockout 51": Das OLG Jena verurteilte vier führende Mitglieder der rechtsextremen Kampfsportgruppe Knockout 51 wegen Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie Körperverletzung und Waffendelikten zu Haftstrafen von zwei Jahren zwei Monate bis drei Jahre zehn Monate. Sie wollten in Eisenach-West einen Nazi-Kiez etablieren. Die Bundesanwaltschaft hatte Knockout 51 als terroristische Vereinigung eingestuft, weil die Gruppe ab Frühjahr 2021 auch die Tötung von Linken im Zuge provozierter Notwehr zum Ziel gehabt habe. Das Gericht wies dies jedoch als "lebensfremde Konstruktion" zurück. Es berichten taz (Konrad Litschko), zdf.de (Daniel Heymann) und LTO (Christian Rath).
BGH zu Löschung von Handelsregisterdaten: Der Geschäftsführer einer GmbH, der aus Sorge vor einem Raub oder einer Entführung beantragte, dass sein Geburtsdatum und sein Wohnort aus dem Handelsregistereintrag gelöscht werden, hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass sein Antrag insbesondere nicht auf die DSGVO gestützt werden könne, da das Registergericht zu der Datenverarbeitung verpflichtet sei. Ob eine Löschung im Falle einer erheblichen Gefahr möglich sei, ließ der BGH offen. Das Hbl (Michael Stahlschmidt) berichtet.
OLG Hamm zu Hitlergruß: Das OLG Hamm bestätigte die Verurteilung eines Mannes wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, nachdem dieser mit seinem linken Arm den Hitlergruß gezeigt hatte. Der Mann war nach eigenen Angaben davon ausgegangen, dass dieses Verhalten nicht strafbar sei. Das OLG verwies darauf, dass schon das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, dass es strafrechtlich egal sei, mit welchem Arm der Hitlergruß ausgeführt werde. LTO berichtet.
LG München I zu unverpixeltem Sylt-Video: "In unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft ist das Rechtsverständnis des Mittelalters immer nur ein paar Mausklicks entfernt", schreibt der Rechtsanwalt Gerhard Strate in seiner Kolumne auf beck-aktuell mit Blick auf die mediale Verbreitung des unverpixelten Sylt-Videos. Das Urteil des LG München setze "der aktuellen Lust am Anprangern zumindest nachträglich deutliche Grenzen".
LG Köln zu Schmerzensgeld für Torwart: Ein Torwart, der im Rahmen eines Fußballtrainings unter Arbeitskollegen beim Aufwärmen von einem harten Schuss eines Mitspielers getroffen wurde, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz. Dies entschied das LG Köln Ende 2023, das schon keine ausreichenden Beweise für eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung durch den Schützen sah. Unabhängig davon müsse ein Hobbyfußballer aber mit einem "starken Schuss" rechnen, berichtet LTO.
VG München zu Verdachtsfall AfD-Bayern: Das VG München hat entschieden, dass der bayerische AfD-Landesverband vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft und damit auch nachrichtendienstlich beobachtet werden darf. Dass der Verfassungsschutz seine Entscheidung im September 2022 öffentlich bekannt gab, sei rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Richter Michael Kumetz verwies in seiner Begründung darauf, dass Vertreter der AfD ein "Bedrohungs- und Schreckensszenario" aufbauten, wenn es um Muslime und Menschen mit Migrationshintergrund gehe. Zudem mache die Partei die demokratischen Institutionen verächtlich. Es berichten SZ (Andreas Glas), FAZ (Timo Frasch), spiegel.de, bild.de (Wolfgang Ranft) und beck-aktuell.
VG Düsseldorf zu Waffenerlaubnis/AfD: Einem Ehepaar wurde zu Recht die Waffenerlaubnis entzogen, weil sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der AfD waffenrechtlich als unzuverlässig einzustufen sind. Dies entschied das VG Düsseldorf. Das Gericht argumentierte, dass die Anknüpfung an die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz nicht gegen das Parteienprivileg aus Art. 21 GG verstoße, da die waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung personenbezogen erfolge. Die klagenden Eheleute waren in Besitz von mehr als 200 Waffen. LTO und beck-aktuell berichten.
Recht in der Welt
USA – Trump/Immunität: Der US-Supreme Court entschied, dass Ex-Präsidenten für offizielle Amtshandlungen Immunität genießen. Dagegen seien Handlungen, die sie als Privatperson, Kandidat oder Parteichef vornahmen, strafrechtlich verfolgbar. Die Entscheidung, die mit der Mehrheit der konservativen Richter:innen gegen die Stimmen der drei liberalen Richterinnen getroffen wurde, gilt als Erfolg für Trump und wird als historisch eingestuft. Trump ist aktuell unter anderem in Washington angeklagt, weil er nach der Präsidentschaftswahl 2020 auf verschiedene Weisen versucht hatte, das Wahlergebnis zu kippen. Das zuständige Bundesbezirksgericht in Washington muss nun nach den neu entwickelten Maßstäben des Supreme Courts entscheiden, für welche der Handlungen Trump Immunität genießt und für welche nicht. Es berichten SZ (Fabian Fellmann), FAZ (Majid Sattar), taz (Bernd Pickert), spiegel.de (Marc Pitzke), welt.de (Clemens Wergin), handelsblatt.com (Daniel Klager/Annett Meiritz), zeit.de (Rieke Havertz) und LTO.
Viel wichtiger als die inhaltliche Entscheidung sei für Trump, dass sie so spät erging, kommentiert Christian Zaschke (SZ). Die Richter:innen des Supreme Courts, von denen Trump drei ernannt habe, hätten sich rund 20 Wochen Zeit genommen. Es wirke "wie eine zynische Pointe, dass das Gericht bis zum wirklich letzten Tag seiner Session wartete, um das Urteil zu verkünden." Denn damit sei klar, dass die Zeit nicht mehr reiche, um Trump noch vor der Wahl im November anzuklagen.
EGMR/Russland – Ostukraine: Auf dem Verfassungsblog berichten Rechtsprofessorin Isabella Risini und Postdoktorandin Veronica Botticelli (in englischer Sprache) über die Verhandlung der Staatenbeschwerden der Ukraine und der Niederlande gegen Russland vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Mitte Juni. Es geht um die Aktivitäten Russlands in der Ostukraine einschließlich der Invasion ab 2022. Die Autorinnen sprechen von einem der wichtigsten Fälle in der Geschichte der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Afghanistan – Taliban: Alexander Haneke (FAZ) spricht sich für einen pragmatischeren Umgang mit den Taliban aus. Was in anderen europäischen Hauptstädten schon länger gefordert werde, sei nun mit der Abschiebedebatte "bis hinein in die SPD salonfähig" geworden. Es sei Zeit für die Einsicht, "dass es nicht an uns ist, über die Zukunft der Afghanen zu bestimmen."
Sonstiges
Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden: Nach einem Lagebild des Bundesamtes für Verfassungsschutz arbeiten in den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern 364 Menschen, bei denen das BfV Anhaltspunkte für eine extrem rechte oder verschwörungsideologische Gesinnung sieht. Aufgrund einer Verschärfung des Disziplinarrechts, die seit Anfang April gilt, können Behörden die Beamten in derartigen Fällen mittels Verwaltungsakt aus dem Dienst entfernen. Die SZ (Christoph Koopmann) und zeit.de berichten.
Künstliche Intelligenz: Anlässlich des baldigen Inkrafttretens der Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (ai act) stellen die Rechtsanwälte François Maartens Heynike und Daniel Taraz auf LTO die Risiken und Chancen der Verordnung für Unternehmen vor. Sie machen einen hohen Umsetzungsaufwand aus, der einige Unternehmen dazu verleiten könne, die Umsetzung hinauszuzögern. Unternehmen, die den Regeln folgen, würden aber eine Vorreiterrolle einnehmen, aus der ein Wettbewerbsvorteil entstehen könne.
Digitale Dienste: Wie netzpolitik.org (Tomas Rudl) berichtet, verzögert sich die Umsetzung der Transparenzdatenbank des Digital Services Act (DSA). Um Transparenz für das Verhalten von Online-Diensten zu schaffen, müssen diese in die Datenbank eintragen, welche Moderationsentscheidungen sie treffen. Nach einer Studie gelten die Regeln für knapp 1.500 Onlineplattformen in Deutschland. Davon hätten sich bislang jedoch erst 30 bei der zuständigen Behörde registriert.
Asyl für Afghanen: Die taz-berlin (Susanne Memarnia) beschreibt, dass die Schutzquote für afghanische Geflüchtete in der Bamf-Außenstelle Eisenhüttenstadt deutlich niedriger ausfällt als bundesweit. Während die Quote bundesweit bei fast 100 Prozent liege, liege sie in Eisenhüttenstadt bei nur 51 Prozent. Eine eingängige Erklärung für die Zahlen konnte das Bundesamt nicht liefern.
Freizeitausgleich für Gewerkschafter: Anders als in manchen Medienberichten zu lesen war, ist im neuen Tarifvertrag für die deutsche Chemie-Industrie kein Sonderurlaub für IG BCE-Gewerkschafter:innen vereinbart. Wie Rechtsanwalt Michael Fuhlrott auf LTO erläutert, ist lediglich ein Zeitausgleich im Umfang von einem Arbeitstag pro Jahr für aktive Gewerkschaftsmitglieder vorgesehen. Da Tarifverträge unmittelbar nur für Gewerkschaftsmitglieder Geltung entfalten, wäre auch ein Sonderurlaub für Gewerkschaftsmitglieder arbeitsrechtlich zulässig gewesen.
Arbeit in Krisengebieten: Im Expertenforum Arbeitsrecht analysiert Rechtsanwalt Julian Jentsch, welche Schutzpflichten, Informationspflichten und Mitwirkungspflichten Arbeitgeber treffen, wenn sie Mitarbeiter in "Krisengebiete" entsenden. Jedenfalls wenn für das Einsatzgebiet eine amtliche Reisewarnung vorliege, hätten Beschäftigte das Recht, den Antritt der Reise zu verweigern.
Pflichtteilsverzicht: Rechtsanwalt Michael Heuser stellt im Hbl die Voraussetzungen und Folgen eines Pflichtteilsverzichtsvertrags vor. Ein solcher spiele aktuell in zwei gerichtlichen Verfahren "bekannter Unternehmerfamilien aus dem Drogerie- und Brauereigewerbe" eine Rolle. Der Autor empfiehlt einen fairen Umgang mit dem Verzichtenden während der Vertragsverhandlungen, damit der Vertrag rechtlich nicht angreifbar ist.
Franz Kafka: Der Soziologieprofessor Joachim J. Savelsberg führt auf FAZ-Einspruch aus, wie die juristische Ausbildung und Arbeit Franz Kafkas sein literarisches Werk beeinflusst haben. Er ziehe "seine Einsichten zu den Dysfunktionen von Bürokratie und Recht aus seiner beruflichen Laufbahn"
VAR-Entscheidungen: Auf LTO erklärt Frederick Assmuth, der regelmäßig als Assistant Video-Assistant Referee (VAR) in der Bundesliga zum Einsatz kommt, die VAR-Entscheidungen im Spiel Deutschland gegen Dänemark. Der VAR dürfe nur in zwei Fällen eingreifen. Zum einen bei einer "klaren und offensichtlichen Fehlentscheidung", so im Falle der Abseitsstellung von Däne Thomas Delaney, zum anderen dann, wenn es "schwerwiegende übersehene Vorfälle" gebe. In letztere Kategorie falle das Handspiel durch Joachim Andersen.
Jugendschutz bei der EM: Wie sportschau.de berichtet, könnte der Einsatz des 16-jährigen spanischen Nationalspielers Lamine Yamal bei der Europameisterschaft rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Bei den Vorrundenspielen gegen Italien und Albanien sowie beim Spiel gegen Georgien habe der Spieler nach 23 Uhr gearbeitet. Zwar seien die Partien jeweils vor 23 Uhr beendet gewesen, "zur nicht mehr erlaubten Arbeit zählen laut Gesetz aber auch Interviews nach dem Spiel, das Auslaufen und das Duschen." Der Verband könne pro Yamal-Auftritt nach 23 Uhr mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 Euro belegt werden.
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LTO/pna/chr
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Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2024: . In: Legal Tribune Online, 02.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54901 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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