Zwei Ex-BVerfG-Richter:innen schlagen mehr grundgesetzliche Regelungen zum BVerfG vor. Das BVerfG bestätigte die Anrechnung ausländischer Zahlungen für Contergan-Opfer. Heute startet die Anhörung zum Genozid-Vorwurf Südafrikas gegen Israel.
Thema des Tages
BVerfG: Die ehemaligen Verfassungsrichter:innen Gabriele Britz und Michael Eichberger fordern in der FAZ, "das Bundesverfassungsgericht dem Zugriff einfacher Gesetzgebung stärker zu entziehen", indem die institutionelle Ausgestaltung des BVerfG grundgesetzlich verankert oder anderweitig änderungsresistenter gegenüber "autoritär-illiberalen" Kräften gemacht wird. Wichtige Vorgaben zur Wahl der Richter:innen sowie Organisations- und Verfahrensnormen sind derzeit lediglich einfachgesetzlich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.
Rechtspolitik
Vergewaltigung: Im Verfassungsblog analysieren Dilken Çelebi/Lisa Marie Koop/Leokadia Melchior (alle aktiv im Deutschen Juristinnenbund), dass Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV eine Kompetenz der EU begründet, das Vergewaltigungsstrafrecht konsenszentriert zu harmonisieren. Ein entsprechender Richtlinienentwurf befindet sich derzeit im Trilogverfahren. Der Rat will jedoch auf eine Harmonisierung des Vergewaltigungs-Tatbestandes verzichten, weil insbesondere Frankreich und Deutschland Zweifel an einer entsprechenden Kompetenz der EU haben.
Justiz
BVerfG zu Conterganrente: Die im deutschen Conterganstiftungsgesetz enthaltene Regelung, dass aus dem Ausland erhaltene Contergan-Entschädigungszahlungen auf die deutsche Conterganrente anzurechnen sind, ist verfassungsgemäß, denn sie verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, und das Grundrecht auf Eigentum, Art. 14 GG. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss vom November 2023 auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts, das die entsprechende Norm für verfassungswidrig hielt. Im konkreten Fall hatte ein Ire geklagt, der die deutsche Conterganrente ohne Anrechnung von irischen Sozialleistungen erhalten wollte. Laut BVerfG ist der moderate Eingriff in das Eigentumsgrundrecht durch das legitime Ziel, den Empfang von Doppelleistungen zu verhindern, gerechtfertigt. LTO und beck-aktuell berichten.
BGH zu beA/Wiedereinsetzung: Ein defekter Drucker, der den Ausdruck und fristgemäßen Versand einer Berufungsbegründung verhindert, begründet keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, so der Bundesgerichtshof in einer im November ergangenen Entscheidung. In Zeiten des beA sei nicht ersichtlich, warum der Anwalt nicht einfach fristwahrend eine PDF der Berufungsbegründung hochgeladen hat. beck-aktuell berichtet.
BAG zu Anwaltskosten: Die Berufungsbeklagte kann auch dann die Erstattung von Anwaltskosten verlangen, , wenn das Gericht frühzeitig auf die mögliche Verfristung der Berufungsbegründung hinweist, die Berufungsklägerin diesem Hinweis aber anwaltlich entgegentritt. Dies entschied das Bundesarbeitsgerichts laut beck-aktuell.
BayObLG zu Rettungsgasse: Das Bayerische Oberste Landesgericht gab der Berufung eines Mannes statt, gegen den eine Geldbuße und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt wurden, weil er auf einer innerorts verlaufenden Bundesstraße keine Rettungsgasse gebildet hatte. Die von den Behörden angenommene und vom Amtsgericht Augsburg bestätigte Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse widerspricht nach Auffassung des BayObLG dem klaren Wortlaut des § 11 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung, wonach nur auf Autobahnen und Außerortsstraßen eine Rettungsgasse gebildet werden muss. LTO berichtet.
OVG S-A zu Kekulé/Universität Halle: Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt bestätigte die vorläufige Dienstenthebung von Alexander Kekulé aus seine Professorenamt. beck-aktuell und bild.de (Uwe Freitag) zufolge habe Kekulé seine Dienstverpflichtungen schwerwiegend verletzt, weil er seine Lehrverpflichtungen über drei Semester hinweg nicht hinreichend wahrgenommen hatte.
KG Berlin – Spion im BND: Im Strafverfahren wegen besonders schwerem Landesverrat gegen den ehemaligen BND-Mitarbeiter Carsten L. sagte der mitangeklagte russische Geschäftsmann Arthur E. aus und belastete Carsten L. schwer. Dieser habe E. Dokumente "für Russland" angeboten, nachdem E. zunächst die Unterstützung L.s ersucht hatte, um unter anderem russische Geschäftsleute von der EU-Sanktionsliste zu bekommen. taz (Luisa Faust) und spiegel.de (Wiebke Ramm) berichten.
VG Berlin zu Vollbrecht vs. Humboldt-Uni: Der im Dezember ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin im Streit der Biologin Marie-Luise Vollbrecht mit der Berliner Humboldt-Universität ist nun rechtskräftig, nachdem die Uni auf Rechtsmittel verzichtete. Das VG hatte der Uni die Äußerung untersagt, die Meinungen der Biologin stünden "nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten". Vollbrecht hatte in einem Zeitungs-Artikel die ihrer Meinung nach binäre Geschlechterordnung gegen andere Darstellungen in den Medien verteidigt. Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
ArbG Mainz – Fußballer El Ghazi: Im Fall des Profi-Fußballers Anwar El Ghazi, dem der Club FSV Mainz 05 infolge pro-palästinensischer Posts auf Instagram Anfang November 2023 fristlos kündigte, kam es im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Mainz zu keiner Einigung. Während El Ghazi im Wege einer Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung feststellen lassen möchte und die Auszahlung seines Monatsgehalts von 150.000 Euro forderte, reagierte der FSV Mainz 05 hierauf mit einer Gegenklage und forderte 523.464 Euro von El Ghazi wegen einer vom Verein ausgesprochenen Vertragsstrafe und unter Rückforderung einer Handgeldzahlung. Am 19. Juni wird der Kammertermin vor dem Arbeitsgericht stattfinden. FAZ (Peter Eisenhuth), taz, LTO und bild.de (Lukas Dombrowski u.a.) berichten. bild.de (Lukas Dombrowski) weist in einem separaten Beitrag darauf hin, dass das Verfahren um El Ghazi weitergehende Auswirkungen haben könnte, da die Vertragsklausel, die Äußerungen von Fußballern in sozialen Netzwerken einschränkt, in DFL-Musterverträgen verwendet wird.
StA Flensburg – Bauernproteste/Habeck: Den Personen, die vorige Woche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Verlassen einer Fähre hinderten, droht Strafverfolgung. Die Leitende Oberstaatsanwältin Stephanie Gropp sagte dies in einer Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags. Es sei "vollkommen unbestritten, dass wir hier Straftatbestände haben", allerdings müsse nun sauber ermittelt werden, welches Verhalten noch durch die Versammlungsfreiheit gedeckt ist. Es läuft bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung, weitere Verfahren zu möglicherweise begangenen Straftaten wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt:innen, Landfriedensbruch, Beleidigung und Bedrohung könnten folgen. Erste Versammlungsteilnehmende seien bereits identifiziert. Es berichten taz-nord (Esther Geisslinger), LTO, spiegel.de, zeit.de und focus.de.
Recht in der Welt
IGH/Israel – Krieg in Gaza: Im Vorfeld der am heutigen Donnerstag beginnenden Anhörung im Eilverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof beschäftigen sich nun auch Zeit (Andrea Böhm) und LTO (Franziska Kring) ausführlich mit dem Antrag Südafrikas, auf Grundlage der Völkermord-Konvention einstweilige Maßnahmen gegen Israel zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen zu erlassen. Israel ist der Ansicht, in Selbstverteidigung zu handeln.
Die FAZ (Thomas Jansen) erläutert ausführlich die historische Entwicklung der Völkermord-Konvention und die Definition des Völkermordes. In einem weiteren Beitrag stellt die FAZ (Claudia Bröll) den südafrikanischen Rechtsanwalt und Professor John Dugard vor, der Südafrika vor dem IGH vertreten wird. In der Vergangenheit hatte Dugard, der als einer der wenigen weißen Juristen das südafrikanische Apartheidregime kritisiert hatte, auch Israels Politik als Apartheid bezeichnet. Die SZ (Peter Münch) portraitiert Aharon Barak, den die rechtsreligiöse Regierung Israels als Zusatzrichter für dieses Verfahren benannt hatte. Der langjährige Präsident des Obersten Gerichtshofs Israels galt der Regierung noch letztes Jahr "als Feind Nummer eins im Streit um die Justizreform". Seine Entsendung habe große "persönliche und politische Symbolik", weil er als Holocaust-Überlebender nun an einem Verfahren teilnimmt, in dem der Völkermord-Vorwurf gegen seinen Staat verhandelt wird. Die FAZ (Reinhard Müller) erinnert angesichts des anstehenden Verfahrens an das 2004 erfolgte Gutachten-Verfahren vor dem IGH, in dem das UN-Gericht die israelische Siedlungspolitik für völkerrechtswidrig erklärte und Israel aufforderte, den Bau einer Grenzmauer zu stoppen.
Im Zusammenhang mit dem Antrag Südafrikas kritisiert Jennifer Wilton (Welt) scharf das "ohrenbetäubende Schweigen" offizieller UN-Stellen in Hinblick auf die Hamas-Attacken gegen Israelis. Wilton skizziert das "auffällige Ungleichgewicht bei den Adressaten von Mahnungen" der UN zulasten Israels und meint, dass das Verfahren vor dem IGH wegen des Völkermord-Vorwurfs eine "Absurdität dieser historischen Situation" darstelle.
USA – Trump/Immobiliengesellschaften: Im Betrugsprozess gegen Donald Trump vor einem New Yorker Gericht untersagte das Gericht nun Trump, ein Schlussplädoyer zu halten. Zuvor hatten Trumps Anwälte signalisiert, dass Trump sich nicht zwingend an die vom Gericht aufgestellte Bedingung halten werde, er dürfe keine Wahlkampfrede halten und müsse sich auf die Themen des Falles beschränken. Trump droht wegen unrichtiger Vermögensangaben eine Strafe in Millionenhöhe. Es berichten spiegel.de, zeit.de und bild.de (Herbert Bauernebel).
USA – Trump/Immunität: Nun schildern auch taz (Hansjürgen Mai), spiegel.de (Roland Nelles) und beck-aktuell (Magdalena Tröndle/Julia Naue) die Anhörung Donald Trumps vor einem Bundesberufungsgericht in Washington zu seiner möglichen Immunität im Zusammenhang mit dem Angriff auf das Kapitol im Januar 2021. Seine Anwält:innen argumentieren, dass Trumps Zweifel an der Richtigkeit der Wahl Teil der präsidentiellen Pflichten gewesen seien – eine Argumentation, die die Vorinstanz bereits zurückgewiesen hatte und die die Richterinnen des Berufungsgerichts nicht zu überzeugen scheint. Ein Vertreter des Sonderermittlers mahnte, dass eine absolute Immunität des Präsidenten nicht nur gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoße, sondern dem Präsidenten de facto unbegrenzte Macht einräumen würde.
Polen – Ex-Innenminister Kamiński: Nun schreiben auch FAZ (Gerhard Gnauck), taz (Gabriele Lesser) und spiegel.de über die Festnahme von Polens Ex-Innenminister Mariusz Kamiński und Ex-Innenstaatssekretär Maciej Wąsik (beide PiS) im Amtssitz des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Die beiden PiS-Politiker treten jetzt in einer Warschauer Justizvollzugsanstalt ihre zweijährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs an. Zwar könnte Duda Kamiński und Wąsik erneut begnadigen, allerdings könnte bald auch ein neues Strafverfahren gegen die beiden Politiker wegen Amtsmissbrauchs eingeleitet werden. Polens Geheimdienst hatte widerrechtlich eine Spionagesoftware gekauft, mit der die polnische Opposition überwacht wurde.
In einem separaten Kommentar meint Viktoria Großmann (SZ), dass die Vermengung der verschiedenen handelnden Institutionen Polens als ein Gegner aus Perspektive der PiS Sinn ergäbe: "Die Demokratie ist Gegner derer, die meinen, über dem Recht zu stehen."
Sonstiges
Überwachungsgesamtrechnung: Das Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht hat den Zuschlag erhalten, eine Überwachungsgesamtrechnung zu erstellen. Ziel ist es, die rechtlichen Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu bewerten und deren tatsächliche Inanspruchnahme transparent zu machen. Dieses auf Wunsch der FDP im Koalitionsvertrag vorgesehene Projekt ist auf die Mahnung des Bundesverfassungsgerichts von 2010 zurückzuführen, dass es keine Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung geben dürfe. Die Überwachungsgesamtrechnung soll Anfang 2025 abgeschlossen sein, ein Zwischenbericht ist in einem halben Jahr zu erwarten. Es berichten taz (Christian Rath), LTO und netzpolitik.org (Anna Biselli).
APAS vs. EY: EY hat nach Informationen von FAZ (Mark Fehr) und Hbl (René Bender u.a.) Einspruch gegen den Strafbescheid der Abschlussprüferaufsichtsstelle im Zusammenhang mit den Fehlern bei der Prüfung der Wirecard-Bilanzen eingelegt. Der APAS-Strafbescheid sieht vor, dass EY eine Geldstrafe in Höhe von 500.000 Euro zahlen muss und über einen Zeitraum von zwei Jahren keine neuen Prüfungsmandate börsennotierter Unternehmen mehr annehmen darf.
Galeria-Insolvenzverwalter: Die FAZ (Markus Fehr/Jonas Jansen) portraitiert den Rechtsanwalt Stefan Denkhaus, der die Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof verwalten wird. Denkhaus, der "für ruhigere Töne bekannt ist", ist Sprecher des Gravenbrucher Kreises, eines Insolvenzkanzleien-Zusammenschlusses, und damit "Primus inter Pares".
Liebe im Berliner Senat: Nun widmet sich auch Reinhard Müller (FAZ) der Streitbeilegungsregelung, mit der der Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Interessenskonflikte im Zusammenhang mit seiner Beziehung zur Bildungssenatorin Katharina Günter-Wünsch (CDU) vermeiden möchte. Müller findet, dass die Regelung die "Causa nur noch peinlicher macht", weil sie "regeln soll, was eigentlich nicht zu regeln ist."
Das Letzte zum Schluss
Beutezug per Schlitten: Die sächsische Polizei nahm am Dienstagabend zwei Männer fest, die mit einem Schlitten Diebesgut, Skistiefel und Waffen transportierten. Die beiden sollen für einen Einbruch und weitere Diebstähle verantwortlich sein, wie spiegel.de schreibt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 11. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 11.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53604 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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