Die bundesweiten Proteste der Landwirt:innen verliefen überwiegend legal. Das Arbeitsgericht Frankfurt/M. lehnte einen Eilantrag gegen den Bahn-Streik ab. Die Schweiz und die EU planen einen neuen Anlauf für institutionelle Verhandlungen.
Thema des Tages
Bauernproteste: Bundesweit haben Landwirt:innen mit ihren Traktoren den Verkehr lahmgelegt, um gegen die Streichung von Subventionen für Agrardiesel zu protestieren. tagesschau.de (Kolja Schwartz) legt die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Versammlungen und Kundgebungen dar. Hauptunterschied zu Protesten der "Letzten Generation" sei, dass jene ihre Straßenblockaden nicht anmelden und daher keine Umfahrung der Blockaden organisiert werden könne. LTO (Christian Rath) sieht den Hauptunterschied darin, dass der Bauernverband keine Blockaden, sondern "Traktorkonvois" ankündige, so dass die Meinungsäußerung als Hauptzweck gesehen werden kann und die Verkehrsbehinderung nur Nebenfolge ist. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat allerdings auch die Blockade von Autobahnauffahrten für erlaubt erklärt, weil Autofahrer andere Straßen benutzen können.
Auch Wolfgang Janisch (SZ) sieht in seinem Kommentar die Proteste als rechtmäßig an. Dem Grundgesetz sei es "egal, ob die Demonstrierenden für eine emissionsfreie Zukunft oder gegen den Abbau von Agrarsubventionen eintreten", denn die Versammlungsfreiheit habe "ein großes Herz". Mit Demonstrationen könnnten Menschen zeigen, dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlen. Reinhard Müller (FAZ) meint mit Blick auf Bauern- sowie Klimaproteste, dass keine Gruppe Sonderrechte habe und jeder Protest vor dem Gesetz gleichbehandelt werden müsse. Es dürfe keine Rolle spielen, wie wichtig eine Gruppe für die Gesellschaft sei oder wie sie von der Politik behandelt werde.
Rechtspolitik
Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien: Nun schreibt auch Anwalt Markus Hartung auf beck-aktuell über die BRAK-Umfrage, die ergab, dass die Mehrhheit der Anwält:innen das Fremdkapitalverbot für Anwaltskanzleien nicht lockern wollen. Der Autor meldet leise Zweifel an der Repräsentativität der Studie an.
Lieferketten und Menschenrechte: Seit dem 1. Januar 2024 verpflichtet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) auch Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmer:innen in Deutschland. Die Pflichten umfassen die Einrichtung von Risikomanagement, Risikoanalysen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie die Einführung von Beschwerdeverfahren. Verstöße können Bußgelder bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes zur Folge haben. Rechtsanwältin Kristina Schilder stellt im Expertenforum Arbeitsrecht dar, wie sich das Gesetz auf Arbeitsrecht, Compliance und Betriebsratsrechte auswirkt.
Justiz
ArbG Frankfurt/M. zu GDL-Streik: Die Deutsche Bahn ist mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Streikaufruf der Gewerkschaft GDL vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main gescheitert. Die bloße Behauptung einer wirtschaftlichen Überforderung seitens des Unternehmens genüge nicht, hieß es zur Begründung. Die GDL sei auch nicht offenkundig tarifunfähig, so die Vorsitzende Richterin. Gegen die Entscheidung geht die Deutsche Bahn nun beim Hessischen Landesarbeitsgericht in Berufung. Es berichten bild.de und fr.de.
tagesschau.de (Frank Bräutigam/Michael Nordhardt) stellt die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Streikrechts sowie dessen Grenzen dar.
BVerfG - Bundestagswahlrecht: Im Dezember haben auch die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion beim Bundesverfassungsgericht eine abstrakte Normenkontrolle gegen die im Sommer 2023 beschlossenen Änderungen des Bundeswahlgesetzes eingereicht. Bemängelt wird insbesondere der Wegfall der Grundmandateklausel und dass nicht alle Wahlkreissieger:innen sicher ein Direktmandat erhalten. Die Fraktion hat parallel Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu Verhandlungen über das Wahlrecht aufgefordert. beck-aktuell berichtet.
OLG Hamm zu Scheidung bei psychischer Erkrankung: Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass eine gescheiterte Ehe trotz psychischer Erkrankung und Suizidgefährdung eines Partners geschieden werden kann. Eine Ehefrau hatte die Scheidung beantragt, obwohl ihr Mann am Korsakow-Syndrom litt. Das Gericht befand, dass die Frau sich endgültig von ihrem Mann abgewandt hatte und die Härtefallklausel nicht greife. Es bestehe eine zumutbare Therapiemöglichkeit, selbst bei Suizidgefährdung. beck-aktuell berichtet.
LSG Nds-Bremen zu OP in der Türkei: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine Frau, die sich während eines Türkei-Urlaubs 2019 ihr seit 2015 bestehendes Augenleiden operativ behandeln ließ, hierfür keine Kostenerstattung von der Krankenkasse erhält, so LTO. Ein entsprechender Anspruch scheitere schon daran, dass die Frau sich als Privatpatientin in einer Privatklinik hat behandeln lassen, da solche Behandlungen generell vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen nicht umfasst seien.
LG Dresden – Böhmermann vs. Imker: Fernsehmoderator Jan Böhmermann verklagt einen Imker auf Unterlassung, der das Gesicht des Moderators zur Vermarktung seines Honigs nutzt. Im Vorfeld hatte Böhmermann den Imker ohne dessen Einwilligung in seiner Sendung "ZDF Magazin Royale" gezeigt. bild.de (Thomas Fischer) berichtet.
AG Berlin-Tiergarten zu Angriff auf ZDF-Team: Nach dem gewalttätigen Angriff auf ein ZDF-Fernsehteam im Mai 2020 am Rande einer "Querdenker"-Demonstration hat das Amtsgericht Tiergarten vier Linksradikale wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer jeweils zweijährigen Bewährungsstrafe sowie einem Bußgeld in Höhe von 5.000 Euro als Schmerzensgeld verurteilt. Fünf Personen aus dem ZDF-Team hatten Verletzungen, darunter Knochenbrüche, Prellungen und Bewusstlosigkeit, davongetragen. Das Urteil basiert auf einer Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagten. In ihren Geständnissen behaupteten die Angeklagten, sie hätten das Fernsehteam mit Rechtsradikalen verwechselt. SZ (Verena Meyer), FAZ (Anna Vollmer), taz (Anne Fromm) und LTO berichten.
ArbG Berlin zu EX-RBB-Betriebsdirektor: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) muss dem früheren Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein Ruhegeld in Höhe von insgesamt 750.000 Euro zahlen, entschied das Arbeitsgericht Berlin. Die außerordentliche Kündigung des RBB im Zuge der Schlesinger-Affäre wurde vom ArbG nicht als solche anerkannt. Auch sei der Vertrag von RBB und Augenstein trotz des hohen Ruhegehalts nicht sittenwidrig, da Augenstein für den Wechsel zum RBB eine unbefristete Stelle beim WDR aufgegeben hatte. FAZ und bild.de (Michael Sauerbier) berichten.
Entführung der Block-Kinder: LTO gibt einen Überblick über die Gerichtsverfahren insbesondere in Deutschland rund um die Kinder der Steakhouse-Erbin Christina Block, die in der Silvesternacht in Dänemark beim Vater entführt, nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg aber inzwischen wieder nach Dänemark zurückgebracht wurden.
Recht in der Welt
EU/Schweiz: Die Schweiz und die EU planen einen erneuten Anlauf, um ihr Verhältnis neu zu regeln. Es soll nun nicht mehr ein institutioneller Rahmenvertrag geschaffen werden, der über den bisher rund 120 bilateralen Verträgen stehen soll. Stattdessen ist nun vorgesehen, dass in alle bilateralen Verträge institutionelle Elemente wie die teilweise Übernahme von EU-Recht und die Einsetzung eines paritätisch besetzten Schiedsgerichts aufgenommen werden. Außerdem soll die Schweiz an künftige Änderungen des EU-Entsenderechts nicht gebunden sein. EU-kritische Kräfte in der Schweiz lehnen die Entwürfe bislang ab. Die SZ (Isabel Pfaff) berichtet.
IStGH – Kriegsverbrechen in Gaza: Ronen Steinke (SZ) schlägt im Leitartikel vor, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag internationale Haftbefehle im Gaza-Konflikt erlassen sollte, insbesondere gegen Hamas-Führer wie Jahia Sinwar. Schwieriger sei die rechtliche Beurteilung der Mittel, die Israel im Gaza-Krieg einsetzt, denn die Inkaufnahme großer Kollateralschäden stelle eine Grauzone dar. Der Autor schlägt dem IStGH vor, gegen Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Belezal Smotrich vorzugehen, weil sie eine Vertreibung der Palästinenser:innen aus Gaza und damit Kriegsverbrechen propagieren.
Slowakei – Korruption: Die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet über die Debatte im slowakischen Parlament über umstrittene Strafrechtsänderungen, die von der neuen Regierung unter Ministerpräsident Robert Fico vorangetrieben werden. Diese Änderungen, darunter die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft und Herabsetzung von Strafrahmen für Korruptionsdelikte, stoßen auf Widerstand von Opposition und europäischen Institutionen wie der Europäischen Staatsanwaltschaft. Kritiker:innen befürchten, dass die Maßnahmen die Verfolgung von Korruption erschweren könnte. Fico begründet die Pläne mit angeblichen Menschenrechtsverletzungen durch die Justiz.
Sonstiges
DSA/X: Im Zusammenhang mit dem förmlichen Verfahren der EU-Kommission gegen den Social Media-Anbieter X/Twitter wegen mangelnden Vorgehens gegen Desinformationen beleuchtet der wissenschaftliche Mitarbeiter Marc Bovermann auf dem Verfassungsblog die sogenannten Community Notes von X. Diese sollen die Verbreitung von Desinformationen durch eine Anmerkungsfunktion zu Tweets bekämpfen. Der Autor hält diese jedoch nicht für zielführend und hofft auf ein Durchgreifen der Kommission nach dem Digital Services Act.
Glücksspiel: Die FAZ (Gregor Brunner) begleitet unter anderem einen Spielhallenkettenbetreiber, der die Unterschiede zwischen legalem und illegalem Glückspiel aufzeigt und betont die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung illegaler Spielstätten.
Professorin in Australien: Esther Wiemann (beck-aktuell) beschreibt die Erfahrungen von Kerstin Braun, einer deutschen Juristin, die nach Australien ausgewandert ist, dort promovierte und inzwischen als Associate Professor im Strafrecht arbeitet. Braun hebt die Unterschiede zwischen dem deutschen und australischen Bildungssystem hervor, insbesondere im Strafrecht und Jura-Studium und betont die gute Work-Life-Balance und die Flexibilität in ihrer Position.
Das Letzte zum Schluss
Huhn verursacht Unfall: Das Amtsgericht Plön hat eine Rentnerin zu 600 Euro Geldstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Körperverletzung durch das Aufscheuchen eines Huhns verurteilt. Das Huhn war infolge einer Handbewegung der Frau auf die Fahrbahn geflattert und verursachte einen Unfall zweier Motorräder und eines PKW. Wie bild.de (Natasha Altendorf) berichtet, musste vor Gericht geklärt werden, ob die Handbewegung der Rentnerin ein "Scheuchen" darstellte. Die Frau sagte, sie wollte nur ihre Enkelin vor den Motorrädern warnen. Das Gericht wertete das Gestikulieren der Rentnerin als Fahrlässigkeit.
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LTO/lkh/chr
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Die juristische Presseschau vom 9. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53583 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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