Krisen und Massenverfahren erhöhen die Arbeitsbelastung für die Staatsanwaltschaften. Ex-Reemtsma-Entführer Drach wurde wieder verurteilt, diesmal wegen Überfällen. Das BVerfG lehnte eine Verfassungsbeschwerde von Oligarch Usmanow ab.
Thema des Tages
Überlastete Staatsanwaltschaften: Die Zahl der Ermittlungsverfahren hat bundesweit einen neuen Höchststand erreicht und damit auch die Belastung der Staatsanwaltschaften. sueddeutsche.de (Wolfgang Janisch) beschreibt, wie hierbei zum einen gesellschaftliche Konflikte eine Rolle spielen. Protestwellen gegen den Klimawandel, die Corona-Sanktionen oder aktuell den Krieg zwischen Israel und der Hamas führen zu zahlreichen Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, Volksverhetzung oder Verstößen gegen das Versammlungsrecht. Politiker:innen fordern dennoch ständig weitere Strafverschärfungen. Zum anderen stellt die Bekämpfung sog. Massendelikte wie Kinderpornografie eine enorme Belastung dar. Hundertausendfache Meldungen aus den USA binden enorme Kapazitäten und können zu einem Hindernis für eine effektive Strafverfolgung werden, wenn dadurch der Fokus der Ermittler:innen auf den Konsument:innen liegt, während für komplexere Ermittlungen gegen die Produzent:innen keine Kapazitäten mehr vorhanden sind. Ähnliches gilt für die obligatorischen Geldwäsche-Verdachtsmeldungen der Banken. Der Deutsche Richterbund (DRB) fordert deshalb mehr Personal für die Staatsanwaltschaften.
Rechtspolitik
Haushalt/Hochwasser: Angesichts der Diskussion innerhalb der Ampelkoalition, aufgrund des aktuellen Hochwassers die Schuldenbremse auszusetzen, weist Christian Rath (taz) darauf hin, dass es sich bei der Feststellung einer Haushaltsnotlage nicht um ein "Sesam öffne dich" für eine unermessliche Neuverschuldung handle. Denn eine solche Notlagenfeststellung erlaube lediglich, die Kosten, die 2024 im Bund durch das Hochwasser zusätzlich anfallen, mit Schulden auszugleichen. Jedoch lasse sich weder eine ambitionierte Klimapolitik noch die Digitalisierung der Gesellschaft mit den Krediten lösen. Der Haushaltskonflikt der Koalition bliebe also bestehen, würde aber durch die hochwasser-bedingten Zusatzausgaben wenigstens nicht verschärft.
Justiz
LG Köln zu Thomas Drach: Das Landgericht Köln hat den ehemaligen Reemtsma-Entführer Thomas Drach nach fast zwei Jahren und 100 Verhandlungstagen wegen mehrfachen Raubs und versuchten Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt und die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Im Jahr 2018 und 2019 beging Drach mehrere Raubüberfälle auf Werttransporter und gab dabei Schüsse auf Geldboten ab. Er wurde unter anderem anhand seines Watschelgangs überführt. Im Jahr 1996 hatte Drach den Hamburger Tabak-Erben Jan Philipp Reemtsma entführt und gegen Lösegeld freigelassen, wofür er zu 14 Jahren Haft verurteilt worden war. SZ (Björn Finke), FAZ, spiegel.de (Julia Jüttner) und LTO berichten.
BVerfG zu Usmanow/Durchsuchung: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des usbekisch-russischen Oligarchen Alischer Usmanow gegen die Durchsuchungsanordnung einer ihm zugerechneten Yacht als unzulässig abgewiesen. Usmanow konnte aufgrund der unklaren Besitzverhältnisse schon nicht ausreichend darlegen, dass die Yacht seiner "räumlichen Privatsphäre" zuzurechnen ist und er damit in seinem Wohnungsgrundrecht aus Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt sein könnte. beck.aktuell berichtet.
OLG Frankfurt/M. zu Testierfreiheit: Behandelnde Ärzt:innen können von ihren Patient:innen wirksam als Erb:innen eingesetzt werden. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main und wies damit die Klage eines Miterben ab. Greife das in der Berufsordnung enthaltene Verbot, wonach es Ärzt:innen nicht erlaubt ist, Vorteile oder Geschenke von Patient:innen anzunehmen, auch bei Testierenden, wäre die daraus folgende (Teil)Nichtigkeit des Testaments ein "unangemessener Eingriff in die Testierfreiheit". Es berichtet LTO.
LG Bonn – Cum-Ex/Paul Mora: Die Staatsanwaltschaft Köln hat eine neue Anklage gegen den untergetauchten neuseeländischen Ex-Bankier Paul Mora erhoben. Mora wurde bereits 2021 wegen schwerer Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Steuermanipulationen vor dem Landgericht Wiesbaden angeklagt, erschien dort aber nie. Wie das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) weiß, geht es in der neuen Anklage ebenfalls um illegale Cum-Ex-Manipulationen zu Lasten der Steuerzahlenden. Insbesondere werden dabei die Geschäfte der Hamburger Bank M.M. Warburg untersucht, bei denen auch der bereits rechtskräftig verurteilte Geschäftspartner Moras, Hanno Berger, involviert war.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Acht Monate nach dem Ende des ersten Prozesses wegen des Einbruchs ins Grüne Gewölbe beginnt vor der Jugendkammer des Landgerichts Dresden nun das Verfahren gegen einen heute 24-Jährigen. Ihm wird Beihilfe zum Diebstahl mit Waffen, gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Brandstiftung vorgeworfen, da er das Fluchtfahrzeug gesteuert und die Polizei abgelenkt haben soll. beck.aktuell berichtet.
LG Köln zu Verkehrssicherungspflicht: Grundstückeigentümer:innen müssen ihren Räum- und Streupflichten bei Schnee und Glätte selbst nachkommen, wenn die beauftragte Fachfirma ausbleibt und dies den Eigentümer:innen auch bekannt war. Dies geht aus einer nun veröffentlichten Entscheidung des Landgerichts Köln von Mitte Dezember hervor, berichtet LTO. Verkehrssicherungspflichten wie die Räum- und Streupflicht können grundsätzlich auf Dritte übertragen werden, die Kontroll- und Überwachungspflicht bleibt aber bei der Person, die die Verkehrssicherungspflicht übertragen hat.
AG Berlin-Tiergarten zu Volksverhetzung: Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte einen 62-jährigen, inzwischen gekündigten Lehrer wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro. Wie beck-aktuell berichtet, hatte der Mann im Sommer 2021 über eine Online-Plattform ein Video veröffentlicht, in dem er den Schriftzug "Impfen macht frei" in das Bild des Tors eines Konzentrationslagers eingefügt hatte. Damit setzte er die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung mit dem Holocaust gleich, was eine Verharmlosung dieses historischen Unrechts darstelle.
AG Hannover zu Reisemangel: Ein Griechenland-Reisender konnte während seines Urlaubs die Liegen am Hotelpool kaum nutzen, weil diese bereits am frühen Morgen und stundenlang mit Handtüchern reserviert waren. Und da der Hotelbetreiber trotz einer Rüge dagegen nichts unternahm, bekommt der klagende Urlauber nun einen Teil seiner Reisekosten erstattet. Denn der beklagte Veranstalter hätte ein angemessenes Liegen-Gäste-Verhältnis schaffen müssen, indem er zum Beispiel auch einschreitet, wenn Reisegäste Poolliegen längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. Tut er dies nicht, handelt es sich laut Amtsgericht Hannover um einen erstattungsfähigen Reisemangel, berichten spiegel.de und LTO.
Recht in der Welt
IGH/Israel – Krieg in Gaza: Am 11. und 12. Januar finden am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag die Anhörungen in dem von Südafrika gegen Israel angestrengten Eilverfahren statt. Zentrale Frage ist die Einstufung der israelischen Kampfhandlungen im Gazastreifen als Völkermord an den Palästinenser:innen nach der Völkermord-Konvention. Zwar hat sich Israel nicht generell der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen, der IGH ist aber das zuständiges Gericht für Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten über die Anwendung der Völkermord-Konvention. Die Entscheidungen des IGHs sind bindend. Allerdings verfügt der Gerichtshof über keinen Durchsetzungsmechanismus und kann nur den UN-Sicherheitsrat anrufen. LTO (Franziska Kring) berichtet.
USA – Trump/Wahlausschluss: Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat beim US-Supreme Court in Washington beantragt, die Entscheidung des Supreme Courts von Colorado zu überprüfen. Jener hatte Trump wegen seines Verhaltens beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 von der republikanischen Vorwahl in Colorado ausgeschlossen. Amerikanische Jurist:innen erwarten, dass der US-Supreme Court sich mit der Klage Trumps in der Sache befassen wird. SZ, taz (Bernd Pickert) und LTO berichten.
USA - Trump/Supreme Court: spiegel.de (Roland Nelles) gibt einen Überblick über Verfahren, die früher oder später vom US-Supreme Court zu entscheiden sind und für Donald Trump Relevanz haben. Erstens geht es um die Behauptung Trumps, er genieße für alle seine Handlungen als Präsident strafrechtliche Immunität. Zweitens geht es um die Entscheidung mancher US-Bundesstaaten, Trump nicht zu den jeweiligen republikanischen Vorwahlen zuzulassen. Drittens wandte sich der Trump-Anhänger Joseph Fischer, der wegen des Angriffs aufs Kapitol verurteilt wurde, gegen das zugrundeliegende Gesetz, auf das auch eine der Anklagen gegen Donald Trump gestützt ist.
USA – Epstein-Unterlagen: Ein Gericht hat im Zusammenhang mit dem Missbrauchskomplex um Jeffrey Epstein in einem Zivilstreit zwischen der geschädigten US-Amerikanerin Virginia Giuffre und Epsteins langjähriger Partnerin Ghislaine Maxwell Klarnamen von rund 170 bislang anonymen Personen veröffentlicht, darunter Ex-US-Präsident Bill Clinton, Michael Jackson und der britische Prinz Andrew. Die Nennung eines Namens in den Prozessakten bedeutet aber nicht, dass die Person aktiver Teil des Missbrauchsnetzwerks um Epstein war. FAZ (Christiane Heil) und spiegel.de berichten.
Dänemark - Entführung der Block-Kinder: Unmittelbar nach der Entführung von zwei Kindern der Steakhaus-Erbin Christina Block beim getrennt lebenden Vater in Dänemark, sprach ein dänisches Gericht in einer Eilentscheidung dem Vater das alleinige Sorgerecht für die beiden Kinder zu. Dies berichtet zeit.de (Anne Kunze) und stellt auch die bisherige Prozessgeschichte dar.
Sonstiges
Bundeswehr: Rechtsanwalt Patrick Heinemann schlägt im Verfassungsblog vor, dass die Bürger:innen von ihrem Staat verfassungsrechtlich "ein Mindestmaß an Verteidigungsfähigkeit" beanspruchen können. Er konstruiert den Anspruch in Anlehnung an den Anspruch auf intertemporale Freiheitssicherung aus dem Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Der Staat müsse jetzt die Bundeswehr ausreichend ausstatten, damit die Bürger:innen später nicht ihre Freiheit durch einen russischen Angriff verlieren.
AfD-Verbot: Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg lehnt ein AfD-Verbotsverfahren ab. Sie weist auf die hohen rechtlichen Hürden eines solchen Verbots hin, hält aber ein Verbot der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative für denkbar. Rechtsprofessor Ulrich Battis warnt, dass ein Verbots-Antrag der AfD vor den Landtagswahlen wohl mehr nützen als schaden würde. Rechtsprofessor Alexander Thiele hält zumindest das Verbot einiger AfD-Landesverbände für sinnvoll. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner, wirft den anderen Parteien derweil vor, nichts unversucht zu lassen, um die AfD "zu diskreditieren, auszugrenzen und zu stigmatisieren." LTO (Hasso Suliak) berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 5. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 05.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53559 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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