EU-Einigung auf Verantwortung der Unternehmen für ihre Lieferketten. EuGH bejaht Anspruch auf Schadensersatz bei Angst vor Datenmissbrauch. Verfassungsklage in Albanien stoppt Abkommen über Auslagerung von Asylverfahren.
Thema des Tages
Lieferketten: Das EU-Parlament und der EU-Ministerrat haben sich auf eine Richtlinie zur Regulierung von Lieferketten geeinigt, die sog. Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Danach sollen Unternehmen verpflichtet werden, ihre gesamte Lieferkette auf Menschenrechts-, Gesundheits- und Umweltverstöße zu überprüfen, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und eventuelle Schäden zu beheben. Diese Verpflichtung soll für alle europäischen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro gelten. Anders als das deutsche Gesetz zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette (LkSG) soll die EU-Regelung zudem auch für die Zulieferer der Zulieferer und nicht nur für die direkten Lieferanten gelten. Zur Durchsetzung der Pflichten sollen die Mitgliedstaaten Aufsichtsbehörden mit der Überwachung der Einhaltung beauftragen, die im Verdachtsfall Ermittlungen bei Unternehmen einleiten können. Entscheidender Unterschied zum LkSG ist jedoch, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar gemacht werden können. Als mögliche Sanktionen sind unter anderem Bußgelder in Höhe von fünf Prozent des weltweiten Umsatzes sowie ein "Naming and Shaming" vorgesehen. Die Einigung muss noch von Parlament und Rat bestätigt werden. Dies gilt jedoch als Formsache. Es berichten FAZ (Hendrik Kafsack), SZ (Björn Finke), taz (Leila van Rinsum) und LTO (Max Kolter).
Heike Göbel (FAZ) ist der Ansicht, die EU-Lieferkettenrichtlinie passe nicht in die heutige Zeit, da sie die wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft der EU bremse. Die CSDDD sei ein hausgemachtes Standortrisiko. Hannes Koch (taz) hingegen ist sich sicher, die Regulierung werde dazu beitragen, die Lage der Beschäftigten weltweit zu verbessern. Er befürchtet aber, der Gesetzentwurf könne noch kurz vor der Annahme insbesondere durch den Einfluss deutscher Industrieverbände "verwässert" werden.
Justiz
EuGH zu Schadensersatz nach Hackerangriffen: Betroffene haben grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz für immaterielle Schäden, wenn ihre privaten Daten nach einem Hackerangriff auf Behörden oder Unternehmen offengelegt wurden. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus Bulgarien, berichten taz (Christian Rath), tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Finn Hohenschwert) und beck.aktuell. Einen tatsächlichen Missbrauch der Daten brauche es nicht, die bloße Befürchtung reiche. Für diese Ängste tragen die betroffenen die Beweislast. Diesen Anspruch auf Schadensersatz können die Datenverantwortlichen nur abwenden, wenn sie selbst beweisen, dass sie geeignete Schutzmaßnahmen gegen Cyberkriminalität getroffen haben.
EGMR zu Streikrecht von Beamt:innen: Disziplinarmaßnahmen gegen verbeamtete Lehrer:innen wegen der Teilnahme an Streiks stellen keine Verletzung des Rechts auf Versammlungs -und Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar. Damit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das in Deutschland geltende Streikverbot für verbeamtete Lehrer:innen nicht beanstandet. Das Streikverbot diene dem legitimen Zweck, die Erfüllung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Bereitstellung von Bildung durch eine effiziente öffentliche Verwaltung zu gewährleisten. Der durch die Disziplinarmaßnahmen erfolgte Eingriff in das Recht auf Vereinigungsfreiheit sei nicht rechtswidrig, da das Streikverbot mit Art. 33 Abs. 5 GG, dem Beamtenstatusgesetz und den Beamtengesetzen von Bund und Ländern eine ausreichende Rechtsgrundlage habe. Es berichten tagesschau.de (Max Bauer) und LTO (Tanja Podolski).
EuGH zu Urlaubsanspruch: Arbeitnehmer:innen hatten früher bei in Quarantäne verbrachten Urlaubstagen keinen Anspruch auf Gutschrift der Urlaubstage. Das entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Arbeitsgerichts Ludwigshafen bezüglich der bis September 2022 geltenden Rechtslage. Es sei mit dem Unionsrecht vereinbar, dass der Urlaub als verbraucht gilt, wenn Arbeitnehmer:innen während eines Urlaubs von einem unvorhergesehenen Ereignis wie einer Quarantäne betroffen sind. Anders als eine Krankheit steht ein Quarantänezeitraum dem Urlaubszweck – der Erholung von der Arbeit – nicht entgegen. Wie LTO (Tanja Podolski) schreibt, legt seit September 2022 der § 59 Infektionsschutzgesetz (IfSG) fest, dass die Tage der Absonderung nicht mehr auf den Jahresurlaub angerechnet werden.
BVerwG – Kreuze in Behörden: Das Bundesverwaltungsgericht verhandelte in der Revision über den Kreuzerlass der bayerischen Landesregierung aus dem April 2018. Danach ist im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes "als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" gut sichtbar ein Kreuz anzubringen. Hiergegen klagte der Bund für Geistesfreiheit (BfG), da er in dem Erlass unter anderem eine Diskriminierung der Weltanschauungsgemeinschaft gegenüber den christlichen Kirchen sieht. Zentrale Frage der Verhandlung war auch, inwiefern das Neutralitätsgebot subjektive Rechte verleiht, Organisationen wie der BfG also eine Art Wächterrolle einnehmen können, berichtet LTO (Christian Rath). Parallele Klagen von 25 Einzelpersonen waren bereits in der Vorinstanz beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) München aufgrund der fehlenden Außenwirkung der Regelung als unzulässig abgelehnt worden. Das Urteil soll am Dienstag verkündet werden.
VGH BaWü zu Sonderrechten für Blaulicht-Reporter:innen: Journalist:innen, die über Unfälle auf Autobahnen berichten, müssen sich an die normalen Verkehrsregeln halten. Das entschied der Verwaltungsgerichtshof Mannheim und wies damit die Berufung eines Blaulicht-Reporters ab. Dieser hatte eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) beantragt, um bspw. den Seitenstreifen befahren zu dürfen, die aber abgelehnt wurde. Anders als der Kläger sahen die Mannheimer Richter:innen durch die Ablehnung keine unrechtmäßige Beeinträchtigung der Presse- und Berufsfreiheit, so LTO.
OLG Jena – "Knockout 51": Die Bundesanwaltschaft hat drei weitere Mitglieder der rechtsextremistischen Kampfsportgruppe "Knockout 51" in Thüringen verhaften lassen. Marvin W. und Kevin N. wird demnach die Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung vorgeworfen, N. wird zudem als Rädelsführer verdächtigt. Der Landesvorsitzende der Heimat/NPD in Thüringen, Patrick Wieschke, wurde als Unterstützer der Vereinigung verhaftet. Vor dem Oberlandesgericht Jena läuft seit August bereits der Prozess gegen vier Führungsfiguren der Gruppe. taz.de (Konrad Litschko), spiegel.de und LTO (Hasso Suliak) berichten.
KG Berlin – Spion im BND: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Ex-BND-Mitarbeiter Carsten L. und den russischen Geschäftsmann Arthur E., wegen besonders schweren Landesverrats. Das Gericht beschloss, dass die Anklage aus Gründen der Staatssicherheit nun doch teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen wird. Verteidiger Johannes Eisenberg kritisierte heftig, dass der ständige Verweis auf die Geheimhaltung die Verteidigungsarbeit erheblich erschwere.
OLG Frankfurt/M. zu Stiefkindadoption nach Leihmutterschaft: Eine Frau kann das von einer Leihmutter im Ausland ausgetragene Kind ihres Ehemannes in Deutschland adoptieren – auch wenn Leihmutterschaft hier verboten ist. Maßgeblich sei das Kindeswohl, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Dieses sei aber gefährdet, wenn die Stiefmutter nicht in die Stellung als rechtliche Mutter eintreten kann. Es berichtet beck.aktuell.
LG München I – Wirecard/Burkhard Ley: Die Staatsanwaltschaft hat vor dem Landgericht München I am vergangenen Dienstag Anklage gegen den früheren Wirecard-Finanzvorstand Burkhard Ley erhoben. Danach steht der Ex-Top-Manager von Wirecard, wie auch seine früheren Kollegen Markus Braun, Stephan von Erffa und Oliver Bellenhaus unter dem Verdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs, der Marktmanipulation, der unrichtigen Darstellung sowie der Untreue. Sie sollen ein Drittpartnergeschäft vorgetäuscht und so tausende Anleger:innen um ihr Geld gebracht haben. SZ (Stephan Radomsky) und LTO berichten.
LSG S-A zu Ersatzzustellung: Angestellte können nicht per Ersatzzustellung an ihren Arbeitsplatz zu einer Gerichtsverhandlung geladen werden. Es handelt sich dabei nicht um deren Geschäftsräume iSd § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Das entschied das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt und hob damit einen Ordnungsbeschluss gegen eine angestellte Ärztin wegen Nichterscheinens zum Termin auf, so beck.aktuell.
Recht in der Welt
Albanien – Asylabkommen mit Italien: Das albanische Verfassungsgericht in Tirana hat auf Klage albanischer Oppositionspolitiker:innen die Ratifizierung des italienisch-albanischen Abkommens über die Auslagerung von Asylverfahren auf albanisches Gebiet gestoppt. Nach Ansicht der Kläger:innen war Ministerpräsident Edi Rama nicht befugt, ein solches Abkommen zu unterzeichnen, da es die Souveränität über Staatsterritorium betreffe. Das Verfassungsgericht hat nun drei Monate Zeit zu entscheiden, bis dahin liegt der Gesetzgebungsprozess auf Eis. FAZ (Thomas Janssen) und SZ (Andrea Bachstein) berichten.
EGMR/Polen – Abtreibungsrecht: Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zur Verschärfung des Abtreibungsrechts ist ungültig. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und bestätigte damit, laut taz (Gabriele Lesser) seine bisherige Rechtsprechung. Danach sind alle Urteile, an denen einer von drei unrechtmäßig berufenen Verfassungsrichtern beteiligt war, ungültig. Geklagt hatte eine Frau, die aufgrund dieses Verfassungsgerichtsurteils trotz Schädigung des Fötus keine legale Abtreibung in Polen durchführen lassen konnte und den Abbruch deshalb im Ausland vornehmen lassen musste. Dies verstoße aber gegen das Recht der Klägerin auf "Achtung ihres Privat- und Familienlebens" aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), so die Straßburger Richter:innen. Ihr stehe eine staatliche Entschädigung in Höhe von 16.000 Euro zu.
EGMR/Russland – Krim: Vor dem EGMR wurde die erste von vier sogenannten Staatenbeschwerden der Ukraine gegen Russland verhandelt. Dabei ging es um die Folgen der Krim-Besetzung 2014, wie swr.de (Gigi Deppe) schildert. Es ging um unrechtmäßige Inhaftierungen, Verschleppungen, Folter und Morde, zudem um die Unterdrückung der ukrainischen Sprache sowie Zwangseinbürgerungen ukrainischer Staatsbürger:innen. Russland blieb der Verhandlung fern.
Sonstiges
Hinweisgeberschutz: Ab dem 17. Dezember gilt auch für Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden die Verpflichtung zur Einrichtung einer internen Meldestelle. Aus diesem Anlass befassen sich die Anwälte Jan-Patrick Vogel und Martin Knaup im Expertenforum Arbeitsrecht mit den wichtigsten Vorgaben aus dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) und geben Tipps für die Umsetzung. Auch gehen sie auf die ähnliche Vorgabe aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ein.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 15. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53424 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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