Der EuGH wertet die Bonitätseinstufungen der Schufa als automatisierte Entscheidungen. Der BGH lehnt Anspruch auf Grundbuchblätter ohne kreditschädigende Alt-Eintragungen ab. Slowakische Regierung will lästige Staatsanwaltschaft abschaffen.
Thema des Tages
EuGH zu Schufa: Die Bonitätseinschätzung der Schufa ist eine automatisierte Entscheidung und damit gem. Art. 22 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) grundsätzlich unzulässig. Dies entschied der EuGH auf Vorlage des VG Wiesbaden, das davon ausgeht, dass Bonitätseinschätzungen der Schufa maßgeblich für Vertragsabschlüsse mit Banken, Mobilfunkunternehmen und Onlinehändlern sind. Ob § 31 Bundesdatenschutzgesetz die automatisierte Bonitätseinschätzung ausnahmsweise erlauben kann, muss das VG Wiesbaden entscheiden. Der EuGH äußerte hierzu "durchgreifende Bedenken". In einem zweiten Urteil stellte der EuGH fest, dass die Schufa Daten über eine Restschuldbefreiung nicht drei Jahre speichern darf, weil sie im öffentlichen Insolvenzregister nach sechs Monaten gelöscht werden müssen. Die Schufa hatte schon vor dem Urteil die Speicherung auf sechs Monate verkürzt. Ob diese sechsmonatige Parallelspeicherung zum öffentlichen Register erforderlich ist, muss jetzt wiederum das VG Wiesbaden entscheiden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung/FranzNestler), taz (Christian Rath/Svenja Bergt), tagesschau.de (Finn Hohenschwert) und LTO (Stefan Schmidbauer).
Das Urteil bedeute einen tiefen Einschnitt für das Geschäft mit Bonitätsprognosen, kommentiert Wolfgang Janisch (SZ). Das EU-Recht verbiete zurecht automatisierte Entscheidungen, bei denen das "Verhalten der Masse zu einem entscheidenden Faktor für das Schicksal des Einzelnen" wird. Die EuGH-Entscheidung werde auch für die Anwendung künstlicher Intelligenz von Bedeutung sein. Reinhard Müller (FAZ) warnt vor zuviel Datenschutz: "Wenn etwa europäische Regeln - auch für den Datenschutz - die (unternehmerische) Freiheit ersticken, so muss das korrigiert werden. Am Ende von Gerichten. Die Letztverantwortung liegt nicht in Europa." Christian Rath (RND) kritisiert die Behauptung der Schufa, dass ihre Bonitätsprognose für Unternehmen nicht maßgeblich sei, als Theater. "Natürlich führt ein schlechter Schufa-Wert dazu, dass Unternehmen Verträge verweigern. Bei einem Mobilfunkvertrag für 10 oder 20 Euro im Monat ist doch kein Unternehmen bereit, eine eigene Bonitätsprüfung des Vertragspartners durchzuführen."
Rechtspolitik
IMK: Die SZ (Constanze von Bullion u.a.) gibt einen Überblick über die Themen, die bis zu diesem Freitag auf der Innenministerkonferenz behandelt werden: antisemitische Straftaten, keine Einbürgerung von Antisemit:innen, rückwirkende Entziehung der deutschen Staatsbürgerschaft, Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen, Grenzkontrollen, Digitalfunk der Sicherheitsbehörden und Vorratsdatenspeicherung.
Asyl: Die Anwältin Sylvia Kaufhold plädiert im FAZ-Einspruch für eine Änderung des EU-Asylsystems. In die EU sollen nur Flüchtlinge einreisen können, deren Staatsbürgerschaft feststeht und deren Asylbegehren in einer Vorprüfung als plausibel eingestuft wurde. Das Asylrecht soll auf die historischen Schutzgründe der Genfer Flüchtlingskonvention, insbesondere politische Verfolgung, reduziert werden. Der subsidiäre Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge soll ausgesetzt werden.
Bürgergeld: Rechtsprofessor Thorsten Kingreen warnt auf LTO vor Kürzungen bzw. einer Aussetzung der gesetzlich vorgesehenen Erhöhung des Bürgergelds. Hier sei der "verfassungsrechtliche Spielraum am geringsten".
Straßenverkehr: Ein Kollektiv von fünf Autor:innen (Luisa Schneider u.a.) beschreibt auf dem Verfassungsblog, welche Schritte zur Modernisierung des Straßenverkehrsrechts es bereits gab, was die nun im Bundesrat gescheiterte Reform gebracht hätte und wie eine Vision aussehen könnte, in der Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung neben der Verkehrssicherheit auch dem Klimaschutz und der Verkehrswende dienen.
BVerfG-Richterwahl: Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz schlägt auf beck-aktuell vor, die "Kernelemente der institutionellen Gerichtsverfassung des BVerfG" im Grundgesetz festzuschreiben: die Wahl der Richterinnen und Richter mit Zweidrittelmehrheit, die Begrenzung der Richterbank auf acht Köpfe pro Senat und den Ausschluss der Wiederwahl nach einer gesetzlich begrenzten Amtsperiode.
Justiz
BGH zu Grundbuch und Datenschutz: Es gibt keinen Anspruch, neue Grundbuchblätter anzulegen, aus denen nicht mehr ersichtlich ist, dass ein Grundstück bereits Gegenstand von Zwangsvollsteckungen war. Dies entschied der Bundesgerichtshof und lehnte die Klage einer Frau ab, die es diskriminierend und kreditschädigend fand, dass gelöschte Zwangseintragungen mit roter Schrift noch sichtbar sind. Der BGH verwies darauf, dass auch die Neuanlage eines Grundbuchblattes nicht verhindere, dass bei berechtigtem Interesse Einblick in ein geschlossenes Grundbuchblatt genommen werden kann. LTO berichtet.
EuGH zu Behinderten-Assistenz und Altersdiskriminierung: Menschen mit Behinderungen dürfen bei der Einstellung von persönlichen Assistent:innen Menschen aus der gleichen Altersgruppe bevorzugen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof. Die Altersdiskriminierung sei dadurch gerechtfertigt, dass sich gleich alte Assistent:innen besser in das persönliche und soziale Umfeld der Behinderten einfügen. Es berichten LTO und tagesschau.de.
BVerfG zu Legasthenie-Vermerk in Zeugnissen: Die Doktorandin Vanessa Bliecke kritisiert auf dem JuWissBlog das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Legasthenie-Vermerken. Es gehe von einem medizinische verengten Behindertenbegriff aus, der die Behinderung durch die Gesellschaft ausklammere. Im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention, wie sie vom zuständigen UN-Ausschuss ausgelegt wird, wäre es konsequent gewesen, die Anpassung des Curriculums nicht als freiwillige Sonderleistung des Staates, sondern als aus Ausdruck inklusiver Bildung zu sehen.
BVerfG – Bafög: Vor dem Hintergrund eines beim Bundesverfassungsgerichts anhängigen Verfahrens zur Bafög-Höhe 2014/2015 skizzieren die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Shari Gaffron und Julian Seidl auf dem Verfassungsblog die Gewährleistungen eines Grundrechts auf individuelle Ausbildungsförderung. Danach müsse das Bafög die existenznotwendigen und ausbildungsbezogenen Bedarfe vollständig erfassen. Und es dürfe nicht davon ausgehen, dass die geförderten Studierenden zum jeweils schnellsten Drittel ihres Faches gehören, vielmehr müsse ein durchschnittliches Studierverhalten zugrundegelegt werden.
BVerwG zum Kraftwerk Datteln IV: Bei der Standortsuche für das Kohlekraftwerk Datteln IV wurden keine Fehler gemacht. Zu diesem Schluss kam das Bundesverwaltungsgericht und hob eine Entscheidung des OVG Münster auf, die eine mangelnde Einbeziehung von Alternativstandorten bemängelt hatte. Das Verfahren wurde an das OVG Münster zurückgewiesen. Das Kraftwerk ist aufgrund einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bereits seit 2020 in Betrieb, wobei auch gegen diese Genehmigung ein Gerichtsverfahren anhängig ist. LTO berichtet.
OLG Stuttgart – Gang-Gewalt: Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat der Prozess gegen einen 23-jährigen iranischen Kurden begonnen, der auf dem Friedhof von Altbach eine Trauergemeinde mit einer Handgranate angegriffen hat. Nur wegen seines ungeschickten Wurfs kam es nicht zu Todesfällen. Die Tat steht im Kontext der Auseinandersetzung zwischen zwei multiethnischen Jugendgangs im Großraum Stuttgart, die jeweils mehr als 300 Mitglieder haben. Es berichten FAZ (Rüdiger Soldt) und SZ (Max Ferstl).
OLG München – "Spezi": Die Brauerei Riegele hat ihre Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts München I zurückgezogen, nachdem das Oberlandesgericht München die geringen Erfolgschancen verdeutlicht hatte. Die Brauerei Paulaner darf damit ihr Colamix-Getränk "Paulaner Spezi" weiter unter diesem Namen vertreiben, ohne dafür eine Lizenzgebühr an Riegele zahlen zu müssen. beck-aktuell berichtet.
VG Köln zu Bußgeldern der Bundesnetzagentur: Die Bundesnetzagentur darf in Pressemitteilungen über verhängte Bußgelder nicht die Namen der betroffenen Unternehmen nennen, weil hierfür keine gesetzliche Ermächtigung besteht. Dies entschied das Verwaltungsgericht Köln laut LTO. Eine derartige Prangerwirkung sei von der Befugnis, Pressearbeit über die eigene Tätigkeit zu machen, nicht gedeckt.
VG Berlin zu Henryk Broder vs BMI: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) darf eine Studie des "Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit" weiterhin veröffentlichen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat Anfang November einen Eilantrag des Publizisten Henryk Broder zurückgewiesen, der sich durch Kritik an einem seiner Artikel unzulässig diskreditiert sah. Das VG entschied nun aber, die Veröffentlichung des Berichts sei nicht als amtliche Äußerung des Ministerium einzustufen. Im übrigen beruhten die Aussagen über Broders Text auf einem vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
Arbeitsgerichte und Streikrecht: Rechtsprofessor Richard Giesen schildert in der FAZ mit Blick auf die bevorstehenden Streiks der Lokführergewerkschaft GDL die aus seiner Sicht verfehlte Entwicklung der Rechtsprechung zum Streikrecht. So dürften Gewerkschaften auch für Tarifverträge streiken, die nach dem gesetzlichen Prinzip der Tarifeinheit gar nicht anwendbar sein werden. Außerdem könnten Gewerkschaften letztlich selbst entscheiden, dass ihre Streiks verhältnismäßig sind.
Recht in der Welt
Slowakei - Spezialstaatsanwaltschaft: Die neue Regierung des linksnationalen Premierministers Robert Fico will die Spezialstaatsanwaltschaft abschaffen, die u.a. für hochrangige Korruptionsfälle eingerichtet wurde und derzeit gegen mehrere Gefolgsleute Ficos ermittelt. Die Fälle sollen von den ordentlichen Staatsanwaltschaften weiter bearbeitet werden. sz.de (Viktoria Großmann) berichtet.
In einem separaten Kommentar fordert Viktoria Großmann (SZ) die EU-Kommission auf, sie solle die Werkzeuge für die Reparatur des slowakischen Rechtsstaats bereitlegen.
Sonstiges
Kanzleigründung: LTO-Karriere (Franziska Kring) spricht mit der Anwältin Şölen Izmirli über die Gründung und den Aufbau ihrer Kanzlei, in der sie sich überwiegend mit Verkehrsrecht befasst. Im Gespräch geht es um Mietkosten, Kanzleisoftware, Versicherungen, Gründungszuschüsse, Spezialisierung, ehrenamtliche Tätigkeiten, Honorare und Urlaub.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53367 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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