Die Ampel-Koalition einigte sich auf Änderungen am Cannabisgesetz. Die Bundesregierung hat einen Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht. Das BVerfG lehnte eine Klage gegen die Pflicht zur Geheimhaltung einer Zeugenaussage ab.
Thema des Tages
Cannabis: Die Regierungskoalition hat sich auf Änderungen am geplanten Cannabisgesetz (CanG) geeinigt. Danach soll das Konsumverbot nur noch in Sichtweite (maximal 100 Meter) von Schulen und Kitas gelten, anstelle des ursprünglich vorgesehenen Abstandes von 200 Metern. Weiter wurde die zulässige Cannabis-Menge aus Eigenanbau auf 50 Gramm erhöht, sowie die Strafe bei geringfügiger Überschreitung der Besitzmenge auf eine Ordnungswidrigkeit herabgesetzt. Verschärfungen gab es hingegen bei der Strafbarkeit von Verkauf oder Anbau im Zusammenhang mit Minderjährigen und bei den Anforderungen an die Mitgliedschaft von Ausländer:innen in Cannabis-Anbauvereinigungen. Die Regelungen zur Entkriminalisierung sollen ab dem 1. April 2024 gelten. Die Koalitionsfraktionen mahnten Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass er bald auch Eckpunkte zu den geplanten Modellregionen vorlegen soll. Die FAZ (Kim Björn Becker) und LTO (Hasso Suliak) berichten.
Rechtspolitik
Haushalt/Notlage: Die Bundesregierung hat in Reaktion auf die neuen Buchungsregeln des Bundesverfassungsgerichts einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 beschlossen. Neue Schulden sollen nicht aufgenommen werden, so Bundesfinanzminister Christian Lindner. Allerdings sollen Kredite in Höhe von 45 Milliarden Euro, die der Bund 2023 für die Energiepreisbremse und Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal aufgenommen hat und die bisher im Jahr 2022 verbucht worden waren, nun tatsächlich im Jahr 2023 verbucht werden. Weil dadurch im Jahr 2023 die Schuldenbremse nicht mehr eingehalten werden kann, soll der Bundestag eine Notlage erklären. Schwieriger dürfte das Aufstellen des Haushalts für 2024 werden. FAZ (Julia Löhr/Manfred Schäfers/Markus Wehener) und LTO berichten.
Haushalt/Sondervermögen: Die Rechtsreferendare Lennart Laude und Nicolas Harding schreiben auf dem Verfassungsblog über die Auswirkungen des BVerfG-Urteils für die Bundesländer. Die Entscheidung habe erhebliche Auswirkungen auf Landeshaushalte und die dort gebildeten Sondervermögen, die den neuen Anforderungen des Gerichts genügen müssen. Die Parteien gingen unterschiedlich mit der Schuldenbremse um, was zu Unsicherheiten und möglichen Verfassungsklagen führen könne.
Prostitution: Anna-Lena Ripperger (FAZ) thematisiert im Leitartikel die Schwierigkeiten bei der Regulierung von Prostitution. Es gebe ein Dilemma zwischen der Anerkennung der sexuellen Selbstbestimmung von Prostituierten und den mit Prostitution verbundenen Gefahren wie Ausbeutung und gesundheitlichen Risiken. Es spreche viel dafür, Prostitution nicht als Beruf und Gewerbe wie andere einzustufen, es müsse aber zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme gemacht werden, bevor neue gesetzliche Regelungen beschlossen werden.
BVerfG-Richterwahl: spiegel.de (Dietmar Hipp/Jan Friedmann) zeichnet ausführlich nach, wie die CSU zunächst den bayerischen Ex-Justizminister Winfried Bausback vorschlug, ihn dann zurückzog und stattdessen Generalbundesanwalt Peter Frank als neuen Verfassungsrichter durchsetzte.
Recycling: Anlässlich des Plans der EU-Kommission, die Bürger mit finanziellen Anreizen zum Recycling elektronischer Kleingeräte wie Mobiltelefone zu bewegen, wirft die FAZ (Jakob Arnold, Katja Gelinsky) einen Blick auf die bestehenden Lücken in den europäischen Öko-Design-Richtlinien. Diese gelten nicht für Händler mit Sitz außerhalb der EU. Der europäische Recyclingverband EURIC fordere daher eine Geltung der Richtlinien für alle in der EU verkauften elektronischen Waren.
Justiz
BVerfG zu Geheimhaltung von Zeugenaussage: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde der Bild-Zeitung gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Köln als unzulässig abgewiesen. Der Beschluss hatte in einem Verfahren um kirchlichen Missbrauch Journalist:innen verboten, über die Zeugen-Aussage eines Missbrauchs-Betroffenen zu berichten, der anonym bleiben wollte. Das Oberlandesgericht habe bei der Auslegung und Anwendung des Gerichtsverfassungsgesetzes keine verfassungsrechtlich relevanten Fehler begangen, so das BVerfG. Der Schutz der Intimsphäre des Betroffenen und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege konnten die Einschränkung der Pressefreiheit der Bild-Zeitung rechtfertigen. LTO berichtet.
BGH zu Dieselskandal/Wohnmobil: Der Dieselsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein Kläger, der ein Diesel-Wohnmobil mit einem sogenannten Thermofenster erworben hat, grundsätzlich einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Fahrzeughersteller haben kann. Das Urteil des BGH von Juni 2023, das auch Schadenersatzansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB und damit auch bei Fahrlässigkeit des Herstellers zulässt, gelte auch für Wohnmobile. Der Bundesgerichtshof hat den Fall nun an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen. Falls ein Thermofenster als unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden ist, muss der Hersteller nun beweisen, dass er beim Einbau einem Verbotsirrtum unterlag, um seine Haftung zu vermeiden. Der Käufer , der Schadenersatz begehrt, muss beweisen, dass er einen Differenzschaden erlitten hat. In derartigen Fällen beträgt der Schadenersatz zwischen fünf und 15 Prozent des Kaufpreises. Die FAZ berichtet.
OLG Frankfurt/M. zu ertrunkenen Kindern: Der ehemalige Bürgermeister der hessischen Gemeinde Neukirchen hat sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Im Juni 2016 waren drei Kinder in einem Teich der Gemeinde ertrunken. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen konnte der Senat nicht bejahen, dass die gebotene Sicherung durch Schilder oder einen Zaun den Tod der Kinder verhindert hätten. FAZ und SZ berichten.
KG Berlin zu Netflix/Spotify-Preiserhöhungen: Das Kammergericht in Berlin hat die Preiserhöhungsklauseln von Netflix und Spotify auf Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) für unwirksam erklärt. Wie die taz berichtet, hatten die Streaming-Anbieter ihre Preise angehoben, ohne die Zustimmung ihrer Kund:innen einzuholen, obwohl dies laut Gericht ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre. Außerdem verletzten die Klauseln das für Preisanpassungsklauseln geltende Gebot der Wechselseitigkeit, da Netflix und Spotify sich zwar vorbehielten, die Preise bei steigenden Kosten zu erhöhen, sich aber nicht spiegelbildlich verpflichteten, bei sinkenden Kosten die Preise zu senken.
OLG München zu Geschlecht von Neugeborenem: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass Eltern nicht über die geschlechtliche Identität ihres neugeborenen Kindes entscheiden und den Eintrag im Geburtenregister deshalb auch nicht für eine spätere Entscheidung des Kindes freihalten können. Ein Elternpaar wollte, dass das Standesamt das Geschlecht seines neugeborenen Kindes im Geburtsregister als "ohne" einträgt. Obwohl dies nach dem Personenstandsgesetz möglich ist, verweigerte das Standesamt die Eintragung. Das Gericht entschied nun, dass nur die körperlichen Merkmale des Kindes relevant seien. Darüber müsse die Hebamme Auskunft geben, sie habe hierbei kein Aussageverweigerungsrecht. beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet.
LG Leipzig – Gil Ofarim: Nach dem Start des Prozesses gegen Sänger Gil Ofarim vor dem Landgericht Leipzig wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung beantwortet die SZ (Ronen Steinke) die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem Verfahren. Erläutert werden die Vorwürfe Ofarims, die Vorwürfe gegen ihn selbst und die besondere Bedeutung des Verfahren. Da Ofarim selbst einen großen Prozess wolle, sei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt und die Justiz gebe in dem Fall bisher "ein besonnenes und gründliches" Bild ab.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Der Strafprozess vor dem Landgericht München I in Sachen Wirecard entwickelt sich nach Analyse der FAZ (Marcus Jung/Henning Peitsmeier) "immer mehr zu einem Duell der Angeklagten" Markus Braun und Oliver Bellenhaus. Während der ehemalige Leiter des Asiengeschäfts Bellenhaus versuche, sich als unabhängigen Aufklärer zu präsentieren, werfe Braun ihm das Gründen einer Bande zusammen mit anderen Managern vor.
LG Osnabrück – Sportschütze erschießt Jugendlichen: Die SZ (Alexander Menden) berichtet über den Mordprozess vor dem Landgericht Osnabrück gegen den 82-jährigen Giuseppe del B., der einen 16-jährigen Nachbarn im Treppenhaus mit einer Sportpistole tötete. Der Angeklagte habe sogenannte Spätschizophrenie und sich Lärmbelästigungen durch seine Nachbar:innen eingebildet. Uneinigkeit bestehe über die Frage, ob der Angeklagte heimtückisch gehandelt habe. Ein Urteil ist in zwei Wochen zu erwarten.
FG Köln zu Trinkgeld: Das Finanzgericht Köln hat entschieden, dass Zahlungen in Höhe von 50.000 Euro und 1,3 Millionen Euro an die Prokuristen eines Unternehmens keine steuerfreien Trinkgelder sein können. Als solche hatten die Prokuristen die Zahlungen in ihrer jeweiligen Einkommenssteuererklärung mit der Begründung angegeben, dass Ihnen das Geld im Zusammenhang mit Beteiligungsveräußerungen von einem Dritten freiwillig und ohne einen Rechtsanspruch überlassen worden war. Laut Gericht überstiegen die Zahlungen allerdings deutlich den Rahmen dessen, was nach dem allgemeinen Begriffsverständnis als Trinkgeld verstanden werden könne. LTO und beck-aktuell berichten.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Nach dem bevorstehenden Machtwechsel in Polen wird die neue Regierung Schwierigkeiten haten, die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen, berichtet spiegel.de (Dariusz Kalan/Nadia Pantel). Am Beispiel der Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przyłębska, die der PiS-Regierung nahe steht, zeigen die Autor:innen, warum es in Polen immer wieder Kritik an der Rechtsstaatlichkeit gibt.
Frankreich – Mord an Lehrer: An einem Jugendgericht in Paris läuft seit gestern der Prozess gegen fünf französische Schüler im Alter von 13 und 14 Jahren, die ihren Lehrer Samuel Paty ausspioniert und die Informationen gegen Geld an seinen späteren islamistischen Mörder weitergegeben haben sollen. Nach Bericht der FAZ (Michaela Wiegel) wird den fünf Jugendlichen die Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung schwerer Gewalttaten vorgeworfen. Außerdem ist ein Mädchen, das durch Lügen über Paty die islamistische Kampagne ins Rollen brachte, wegen verleumderischer Denunziation angeklagt.
Großbritannien – Asylverfahren in Ruanda: Der nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs Großbritanniens angekündigte neue Vertrag zwischen Ruanda und Großbritannien liegt noch immer nicht vor. Die Regierung hatte angekündigt, es werde "binnen Tagen" einen Vertrag mit Ruanda und eine "Notfall-Gesetzgebung" geben, die Ruanda den Status eines sicheren Drittstaates sichern soll. Es wird vermutet, dass die ruandische Regierung einer dauerhaften Entsendung britischer Jurist:innen nach Ruanda widerspricht, berichtet die FAZ (Johannes Leithäuser).
Juristische Ausbildung
Referendariat: Doktorandin Hanna Weißer schreibt auf LTO-Karriere über die Bemühungen der deutschen Bundesländer, das Referendariat in der Justiz attraktiver zu gestalten, um dem Personalmangel in der Justiz entgegenzuwirken. Die Maßnahmen variieren je nach Bundesland und umfassen Aspekte wie E-Examen, Verbeamtung, höhere Vergütung, Flexibilität der Stationen, Auslandsmöglichkeiten, Korrekturverfahren, Notenverbesserungsoptionen, Ausbildungsinhalte und Qualität der Ausbildung. Unterschiede zwischen den Ländern bestehen bei der Anrechnung von Nebeneinkommen, der Anzahl der Klausuren, der Möglichkeit von Wartezeiten und länderübergreifenden Angeboten wie Podcasts für Referendare.
Sonstiges
Einschüchterungsklagen: Nach der jüngsten Ausgabe des ZDF-"Magazin Royale", in der Moderator Jan Böhmermann das angeblich systematische Verklagen von unliebsamen Medien mithilfe bekannter Medienrechtsanwält:innen als "Cancel Culture" kritisierte, findet bei LTO (Felix W. Zimmermann) eine kritische Auseinandersetzung mit der Sendung statt. Es werde keine Abgrenzung zwischen Rechtsmissbrauch und legitimer Rechtsverteidigung vorgenommen und auch die in der Sendung genannten Beispiele zeigten, dass sich die verklagten Medienakteure immer durchgesetzt hätten und eben keine "Cancel Culture" bestehe. Ein "Demokratiecheck" als Zulässigkeitsvoraussetzung für Klagen gegen Medienschaffende, den Böhmermann vorschlage, sei "unsinnig".
Testament und Erbschein: Die FAZ (Volker Looman) berichtet über die rechtlichen Risiken eines improvisierten Testaments und die Relevanz der Erlangung eines Erbscheins.
Das Letzte zum Schluss
Sex in der Kirche: Wie welt.de berichtet, erwägt das Erzbistum München den "entweihten Altar" einer Dorfkirche bei Rosenheim neu zu segnen, in dessen Nähe ein 39-jähiger Mann mit seiner Ehefrau Sex hatte. Vor dem Landgericht Traunstein muss sich der Mann seit letztem Mittwoch u.a. wegen "Störung der Religionsausübung" verantworten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lkh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 28. November 2023: . In: Legal Tribune Online, 28.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53274 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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