BGH akzeptiert Screenshot zur Glaubhaftmachung von technischer beA-Störung. GBA erhebt weitere Anklage wegen des Brandanschlags auf ein Asylheim in Saarlouis 1991. Italienische Regierung will Direktwahl der Ministerpräsident:in einführen.
Thema des Tages
BGH zu Glaubhaftmachung bei defektem beA: Wenn das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) defekt ist, kann ein Schriftsatz auch fristwahrend per Fax eingereicht werden, sofern die Störung glaubhaft gemacht wird. Mit dieser Entscheidung bekräftigte der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zu Fristwahrung bei technischen Störungen des beA. Danach seien die Anforderungen an die nach § 130d Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Glaubhaftmachung nicht zu "überspannen". Ein Screenshot der beA-Störung reiche zunächst aus, da es sich hierbei um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handle, so die Karlsruher Richter:innen weiter. Die notwendige formgerechte anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung könne nachgereicht werden. Strenger zeigte sich der BGH in der Vergangenheit hingegen bei Fragen der Prüfung der beA-Eingangsmitteilung und der Kontrolle des Inhalts von Dateinamen. Es berichten LTO (Hasso Suliak) und beck.aktuell.
Rechtspolitik
Digitale Klagen: Wie LTO schreibt, führt Niedersachsen die Möglichkeit digitaler Klagen für Bürger:innen ein. Mit dem sog. digitalen Justizpostfach können neben Klagen auch alle Unterlagen wie Gutachten digital per Computer, Tablet oder Smartphone bei Gerichten in Niedersachsen eingereicht werden. Die aktuell verfügbare Version des Services ist eine Pilotversion und soll in den nächsten Jahren stetig verbessert werden.
Seenotrettung: Nun schreibt auch LTO (Tanja Podolski) über die Formulierungshilfe des Bundesinnenministeriums für einen Änderungsantrag der Ampel-Abgeordneten zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Rückführungsverbesserungsgesetz, der zu einer tatbestandlichen Kriminalisierung von uneigennützig handelnden Seenotretter:innen führen würde. Das Bundesinnenministerium betone zwar, dass es nicht beabsichtigt sei, private Seenotrettung zu kriminalisieren, denn Seenotrettung sei immer als gerechtfertigt anzusehen, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. Diese Rechtfertigungslösung kritisieren Expert:innen allerdings, da der objektive Tatbestand des Schleusens dennoch erfüllt wäre und es damit Sache der Staatsanwaltschaften wäre, ob sie Anklage erheben oder nicht.
Kinderpornografie: Nun berichtet die SZ (Constanze von Bullion) ausführlicher über das Vorhaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), das Mindeststrafmaß für den Kauf oder die Verbreitung kinderpornografischer Bilder von derzeit mindestens zwölf auf sechs Monate und den Besitz solcher Aufnahmen auf drei Monate abzusenken. Der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein unterstützen das Vorhaben.
In einem gesonderten Kommentar begrüßt Constanze von Bullion (SZ) das Vorhaben Buschmanns, denn die Reform der ehemaligen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) habe sich in Teilen "als Unfug" erwiesen. Die durch die Strafverschärfung erzeugten Prozesse seien zum einen unverhältnismäßig, zum anderen bänden sie Kapazitäten in der Justiz, die dringend für andere Verfahren benötigt würden.
Digitale Behörden-Kommunikation: In der monatlichen Kolumne "Akteneinsicht" auf LTO fordern Vivian Kube uA ein Gesetz, das die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung hinsichtlich der Speicherung von amtlicher digitaler Kommunikation konkretisiert. Die Registraturrichtlinie sei von 2001 und völlig veraltet. Anlass der Forderung ist, dass deutsche Behörden massenweise digitale Kommunikation wie SMS-Nachrichten, Emails oder auch Twitter-Kurznachrichten von Amträger:innen löschen oder schlicht gar nicht erst zu den Akten nehmen und speichern, obwohl nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) jede Person Anspruch auf den Zugang zu allen "amtlichen Informationen" hat. Auch die Gerichte müssten das Verhalten der Behörden häufiger sanktionieren.
Justiz
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis im Jahr 1991 hat die Bundesanwaltschaft gegen eine weitere Person Anklage erhoben. Dem damals der lokalen rechten Skinhead-Szene von Saarlouis zuzuordnenden Peter St. wird Beihilfe zum Mord sowie Beihilfe zum versuchten Mord zum Nachteil von 20 Menschen vorgeworfen. Bei einem Treffen soll Peter St. die Begehung von rassistischen Anschlägen gutgeheißen haben, wobei auch Peter S. anwesend war. Peter S. war im Oktober diesen Jahres als Täter des Brandanschlags zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Es berichten die FAZ (Marlene Grunert), spiegel.de (Julia Jüttner/Wolf Wiedmann-Schmidt), zeit.de und LTO.
OLG Stuttgart – Waffenmaschinen für Russland: Die Bundesanwaltschaft hat einen Unternehmer aus Baden-Württemberg angeklagt, weil er Maschinen zur Serienfertigung von Scharfschützengewehren nach Russland verkauft und so gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen haben soll. Der Beschuldigte soll trotz der bereits 2014 von der EU verhängten umfangreichen Handelsbeschränkungen 2015 mit einem russischen Waffenproduzenten unter anderem Verträge über die Lieferung und Einrichtung von Werkzeugmaschinen geschlossen haben. Nun entscheidet laut zeit.de das Oberlandesgericht Stuttgart über die Zulassung der Anklage.
LG Frankfurt/M. – "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Das Strafverfahren gegen drei ehemalige DFB-Funktionäre wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall im Zusammenhang mit der Fußball-WM-Vergabe 2006 wird im März 2024 beginnen. Das gab das Landgericht Frankfurt am Main bekannt. Angeklagt sind, so LTO, Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Horst R. Schmidt. Die vorher ergangenen Einstellungsbeschluss wegen eines "nicht behebbaren Verfahrenshindernisses" hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main aufgehoben, da der Aburteilung der Angeklagten nicht das Verbot der Doppelbestrafung entgegenstehe. Die Angeklagten waren in der Schweiz wegen der selben Sache angeklagt gewesen, wobei es sich, so das OLG, nicht um dieselbe Tat im Sinne des Doppelbestrafungsverbots (Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens) handelte.
AG Frankfurt/M. - Räumung Fechenheimer Wald: Aufgrund des zu großen Andrangs interessierter Personen zum ersten Strafprozess um die Räumung des Fechenheimer Waldes ist der Beginn der Hauptverhandlung verschoben worden. Der Richter am Amtsgericht Frankfurt am Main sah den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht gewährleistet und verschob den Prozess auf Januar 2024. Dabei stellt nicht jede Zugangsbeschränkung eine Verletzung des in § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) enthaltenen Grundsatzes dar. Es berichten FAZ (Kim Maurus) und LTO.
Recht in der Welt
Italien – Direktwahl der Ministerpräsident:in: Der italienische Ministerrat hat Anfang November einen Gesetzentwurf zu einer Verfassungsreform beschlossen, mit dem die Direktwahl der Ministerpräsident:in eingeführt werden und diese deutlich mehr Befugnisse erhalten soll. Laut Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gewährleiste die Reform, dass Ministerpräsident:innen potenziell die gesamte Legislaturperiode regieren können, ohne dass es zu Mehrheits- und Regierungswechseln komme. Rechtsprofessor Andrea De Petris kritisiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache), die Reform untergrabe das Parteiensystem als eigentliche Grundlage der parlamentarischen Vertretung. Die Reform sei gefährlich und "atme den Geist des plebiszitären Populismus".
Italien – Lollobrigidas Privatsekretär: Ein Gericht in Rom hat den früheren Privatsekretär der im Januar verstorbenen italienischen Schauspielikone Gina Lollobrigida, Andrea Piazolla, zu drei Jahren Haft verurteilt. Wie die SZ schreibt, sahen die Richter:innen es als erwiesen an, dass Piazolla zwischen 2013 und 2018 den Zustand der damals Mitte 80-Jährigen ausnutzte, um sich illegal Vermögenswerte anzueignen. Daneben soll Piazolla eine halbe Million Euro an die Erben zahlen.
Europarat/Türkei – Osman Kavala: Im Zusammenhang mit einem Treffen der Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić, mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan, berichtet die FAZ (Friederike Böge) über das seit 2021 gegen die Türkei laufenden Vertragsverletzungsverfahrens des Europarats. Die Türkei weigert sich, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen und den Kulturförderer Osman Kavala aus der Haft zu entlassen, obwohl sie als Mitglied des Europarats dazu verpflichtet ist, Urteile des EGMR umzusetzen, was Präsident Erdoğan jedoch auch bezüglich anderer Entscheidungen kategorisch ausschließt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats drängt deshalb bereits auf die Einleitung von Strafmaßnahmen gegen die Türkei wie einen Entzug des Stimmrechts.
Sonstiges
Anmeldung von Demonstrationen: Die Antisemitismusbeauftragte Nordrhein-Westfalens, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), hat ihre umstrittenen Äußerungen zur Versammlungsfreiheit von Ausländer:innen korrigiert. Die ehemalige Bundesjustizministerin will lediglich, dass bei der Anmeldung von Demonstrationen intensiver geprüft wird, wer eine Versammlung anmelde und ob es Verbindungen zu verbotenen Organisationen oder Hinweise auf frühere antisemitische oder ähnlich problematische Äußerungen gebe. "Und da kann natürlich auch mal ein Migrationshintergrund eine Rolle spielen." Ursprünglich hatte sie gesagt: wenn eine Versammlung angemeldet wird, müsse geprüft werden, "wie die Staatsangehörigkeit ist, denn es ist eines der wenigen Grundrechte, die eben nur Deutschen zustehen". Dies sei eine Möglichkeit, "mal im Vorhinein ein Verbot auszusprechen, was insgesamt bei Versammlungen bei unserem Versammlungsrecht sonst schwierig ist". Dies war so ausgelegt worden, dass Leutheusser-Schnarrenberger die Versammlungsfreiheit auf Deutsche beschränken wolle. LTO berichtet.
Asylverfahren: Um Asylverfahren zu beschleunigen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium verschiedene Maßnahmen ergriffen. So sollen beispielweise Mobiltelefone zur Feststellung der Nationalität nur noch in Einzelfällen ausgelesen werden, wenn etwa keine Ausweisdokumente vorliegen. Dies entspreche laut BAMF den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts vom Februar 2023, wonach Handys von Asylantragstellenden ohne Pässe nicht routinemäßig ausgelesen werden dürfen, wenn andere Ausweisdokumente oder Heiratsurkunden vorliegen oder es weitere Erkenntnisse zu ihnen gibt. LTO berichtet.
Rechtsgeschichte - Auschwitz-Prozess: Anlässlich der in Berlin abgehaltenen Konferenz "60 Jahre Frankfurter Auschwitz-Prozess" beschreibt die SZ (Willi Winkler), wie Nebenkläger:innen, Zeug:innen und Prozessbeobachter:innen den Prozess und die Reaktionen darauf in der Gesellschaft damals wahrnahmen und verarbeiteten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 14. November 2023: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53157 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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