Der Anwalt der Facebook-Whistleblowerin spricht über finanzielle Anreize für Whistleblower:innen in den USA. Wie dicht liegen Grüne und FDP rechtspolitisch beieinander? Das VG Berlin verhandelt über den BDS-Beschluss des Bundestags.
Thema des Tages
Facebook-Whistleblowerin: Im Gespräch mit der FAZ (Roland Lindner) erklärt John Tye, Anwalt der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen, welche Anreize die Börsenaufsicht SEC für Whistleblower:innen in den USA bereithält. Werden Informationen über Fehlverhalten in Unternehmen an die Behörde weitergeleitet, verspricht diese juristischen Schutz sowie eine mögliche finanzielle Belohnung in Höhe von bis zu 30 Prozent einer später gegen das Unternehmen verhängten Geldstrafe.
In einer Anhörung vor dem US-Kongress hatte Haugen dem Facebook-Konzern vorgeworfen, aus kommerziellen Gründen bewusst Algorithmen eingesetzt zu haben, die eine Verbreitung spalterischer Falschinformationen förderten. Sie forderte deshalb eine strenge Regulierung des Konzerns. Unter anderem zeit.de berichtet.
Rechtspolitik
Rechtspolitik von Grünen und FDP: LTO (Hasso Suliak) stellt ausführlich dar, welche rechtspolitischen Projekte Grüne und FDP verbinden und wo es noch Differenzen gibt. Insbesondere setzten sich beide Parteien für die Abschaffung von § 219a Strafgesetzbuch (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche) sowie die Entkriminalisierung von Cannabiskonsum ein. Problematischer seien etwa die Frage nach der Einführung eines Unternehmenssanktionsrechts, eine Verschärfung des Mietrechts oder Paritätsvorgaben im Wahlrecht.
Gendergerechte Sprache: In einem Beitrag für LTO hält es Verena Greiner, Richterin am Amtsgericht, für inkonsequent, dass die Strafprozessordnung (StPO) nicht entsprechend der geschlechtsneutralen Formulierungen im Strafgesetzbuch (StGB) angepasst worden ist. Im StGB seien bereits 2007 Paragrafen zur Bewährungshilfe mit Paarformen ("Bewährungshelferin oder Bewährungshelfer") bzw. geschlechtsneutral ("verurteilte Person") eingeführt worden. Bei den darauffolgenden Änderungen der StPO sei eine entsprechende Anpassung bislang unterblieben.
Verhetzende Beleidigung: Im FAZ-Einspruch befasst sich Rechtsprofessor Rolf Schwartmann kritisch mit dem Ende September eingeführten Tatbestand der verhetzenden Beleidigung in § 192a StGB. Er befürchtet insbesondere, dass durch den weiten Tatbestand Meinungsäußerungen zu schnell kriminalisiert werden.
Justiz
VG Berlin – BDS-Beschluss: Der deutsche Bundestag muss sich am morgigen Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Berlin wegen des "BDS-Beschlusses" vom 17. Mai 2019 verantworten. Der Bundestag hatte die BDS-Bewegung ("Boycott, Divestment and Sanctions"), die unter anderem den Boykott israelischer Waren fordert, als antisemitisch eingestuft. Was genau in der Klage verlangt wird, etwa eine Rücknahme des Beschlusses, müsse laut LTO in der Verhandlung geklärt werden.
BGH – Prämiensparverträge: Vor dem Bundesgerichtshof wird am heutigen Mittwoch über eine Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Sachsen gegen die Sparkasse Leipzig verhandelt. Bei sogenannten Prämiensparverträgen habe die Bank systematisch die variablen Zinssätze falsch angepasst und so den Kundinnen und Kunden im Schnitt rund 3000 Euro zu wenig ausgezahlt. SZ (Wolfgang Janisch) und Hbl (Elisabeth Atzler) berichten über den Fall sowie die Auswirkungen auf andere Banken, die sich ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sehen.
BGH – Nord Stream 2: Die Betreiber der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2 haben beim Bundesgerichtshof Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom August eingelegt. Wie SZ (Benedikt Müller-Arnold) und taz (Malte Kreutzfeld) berichten, sind die Betreiber weiterhin der Ansicht, dass die EU-Gasrichtlinie auch auf den letzten Kilometern in deutschem Hoheitsgebiet keine Anwendung findet. Die Leitung sei zum relevanten Stichtag bereits teilweise gebaut worden. Die EU-Gasrichtlinie sieht vor, dass Förderung und Transport rechtlich getrennt werden müssen.
BGH zu "Zombieunternehmen": Geschäftsführer:innen, die mit allen Mitteln versuchen, ein eigentlich insolventes Unternehmen künstlich am Leben zu erhalten, erfüllen den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB, wenn sie dabei die Schädigung der Gläubiger:innen oder anderer Personen für möglich halten und billigend in Kauf nehmen. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil von Ende Juli entschieden, das Rechtsanwalt Michael Lojowsky in der FAZ vorstellt.
LG Kassel – Klimaschutz/Wintershall Dea: In einer beim Landgericht Kassel eingereichten Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) will diese erreichen, dass der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea ab 2026 keine neuen Öl- und Gasfelder mehr eröffnet oder sich daran beteiligt. Die DUH beruft sich dabei laut LTO auf den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr.
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Die 96 Jahre alte Angeklagte im Stutthof-Prozess ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das Landgericht Itzehoe hat den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Nach Informationen von spiegel.de muss die angeklagte KZ-Sekretärin nun jedoch eine elektronische Fußfessel tragen, damit der Prozess am 19. Oktober in jedem Fall auch in Anwesenheit der Angeklagten fortgesetzt werden kann. Es berichten zudem u.a. taz (Klaus Hillenbrand) und LTO.
LG Hagen – Rechtsbeugung: Vor dem Landgericht Hagen muss sich eine 37-jährige Richterin wegen Rechtsbeugung und Urkundenfälschung verantworten. Sie soll am Amtsgericht Lüdenscheid Verhandlungsprotokolle gefälscht, Urteile rückdatiert und Akten verschwinden lassen haben. Die Angeklagte räumte LTO zufolge bereits einen Teil der Vorwürfe ein und begründete ihr Verhalten mit psychischen "Blockaden".
LG Heidelberg – Paketbomben: Das Landgericht Heidelberg hat den angeklagten Rentner, der Paketbomben an Lebensmittelfirmen in Süddeutschland geschickt haben soll, am Montagabend aus der Untersuchungshaft entlassen. Neue Gutachten hätten Zweifel am "dringenden Tatverdacht" erzeugt. Die SZ (Claudia Henzler) gibt einen Überblick über die bisher im Prozess gewonnenen Erkenntnisse. Am Freitag wird der Prozess fortgesetzt.
Recht in der Welt
USA – Diskriminierung bei Tesla: Wegen anhaltender rassistischer Diskriminierungen gegenüber einem ehemaligen Mitarbeiter ist Tesla zu einer Rekordzahlung von insgesamt 137 Mio. Dollar verurteilt worden. Wie spiegel.de berichtet, ging es um rassistische Beleidigungen in der Fabrikhalle und rassistische Graffiti in den Sanitäranlagen.
Italien – Domenico Lucano: Die SZ (Oliver Meiler) schildert die Hintergründe des Strafverfahrens gegen den Ex-Bürgermeister des Dorfes Riace, Domenico Lucano. Dieser war vorige Woche wegen Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Lucano war Feindbild des damaligen Innenministers Matteo Salvini (Lega), weil er sein Dorf durch die Integration von Geflüchteten erfolgreich revitalisierte. Lucano soll u.a. Aufträge ohne Ausschreibung vergeben haben, ohne sich dabei jedoch persönlich zu bereichern. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Sonstiges
"Pandora Papers": Nach Veröffentlichung der sogenannten "Pandora Papers" hat die SZ (Thomas Balbierer) mit dem Steuerpsychologen Erich Kirchler gesprochen: Dieser sieht vor allem die Politik in der Pflicht, Gesetzeslücken zu schließen. Solche auszunutzen, sei zunächst bloß "akribische Spielerei". In dem Gespräch werden den Steuertricksereien in Millionenhöhe die vergleichsweise hohen Strafen bei Sozialhilfebetrügen gegenübergestellt: Hier habe die Gesellschaft Kirchler zufolge ein anderes Störgefühl; wer viel habe und das dann der Gemeinschaft vorenthalte, sei weniger strafwürdig als derjenige, der etwas nimmt, was ihm nicht gehöre.
Polizei und Notwehr: Nachdem niedersächsische Polizist:innen einen alkoholisierten Sudanesen erschossen, der sie mit einem Messer angegriffen hatte, sprach die taz-nord (Juliane Preiss) mit Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften, über das Notwehrrecht für Polizist:innen in Ausbildung und Praxis. Da sich die Polizei zumeist in einer Überwältigungssituation befinde, stünden Flucht oder defensive Verhaltensweisen häufig nicht zur Verfügung. Diese "Kultur der Überwältigung" werde bereits in der Ausbildung gelehrt und könne die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen in den Hintergrund drängen.
Funkzellenabfrage: Die taz (Sara Guglielmino) berichtet über das Mitte September gestartete Berliner Projekt "Funkzellenabfrage-Transparenz-System" (FTS). Wer sich mit seiner Handynummer anmeldet, soll in Zukunft per SMS benachrichtigt werden, wenn die Nummer zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einer Funkzellenabfrage von der Polizei erfasst wurde. Um laufende Verfahren nicht zu gefährden, werden die SMS aber erst versendet, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind.
Anerkennung der Taliban: Im Interview mit der taz (Christian Rath) ordnet der Völkerrechtler Matthias Hartwig ein, welche (völker-)rechtlichen Konsequenzen diplomatische Gespräche mit den Taliban oder humanitäre Geldzahlungen nach Afghanistan haben können. Eine faktische Anerkennung der Taliban-Regierung folge daraus jedenfalls nicht. Vielmehr müsse etwa ein Entsandter der Taliban-Regierung in Deutschland als afghanischer Botschafter akzeptiert werden. Derzeit erkenne ohnehin kein Staat die Taliban als legitime Regierung an und den Taliban wurde zuletzt auch verwehrt, für Afghanistan bei der UN-Generalversammlung zu sprechen.
beA: LTO (Hasso Suliak) berichtet über eine Petition des Rechtsanwalts Christian Franz, der sich gegen die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wendet. Er kritisiert, dass beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach seit einem Update Ende September der erfolgreiche Versand von Nachrichten durch einen Export nebst Signaturdatei nicht mehr rechtssicher dokumentiert werden könne.
Corona-Bilanz: Die FAZ (Günther Nonnenmacher) befasst sich ausführlich mit dem neuen populärwissenschaftlichen Buch des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio – "Corona-Bilanz". Di Fabio komme zu dem Ergebnis, dass die Organe des Staates insgesamt adäquat reagierten und auch der Föderalismus sich trotz langwieriger Abstimmungsprozesse bewährt habe. Trotzdem pädiere di Fabio immer wieder für "judicial restraint"; Gerichte seien keine Ersatz-Gesetzgeber.
Hans-Jürgen Papier im Interview: Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat nicht noch weiter zu beschädigen, so der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier im Interview mit der Welt (Thorsten Jungholt), müssten Gerichte nun zügig Hauptsacheentscheidungen in den zahlreichen Corona-Verfahren treffen. Aus den zahlreichen, teils irrationalen und widersprüchlichen Entscheidungen könne die Politik für künftige Krisen einiges lernen. Zu den Befangenheitsvorwürfen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Essen mit dem Bundeskabinett will sich Papier mangels konkreter Kenntnisse nicht äußern. Zum Schluss plädiert er noch für eine Verankerung des Prinzips der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz.
Das Letzte zum Schluss
Konzert der Hupen und Sirenen: Der indische Verkehrsminister Nitin Gadkari hat ein Gesetz angekündigt, laut dem alle Fahrzeuge im Land nur noch wie indische Musikinstrumente hupen sollen. Auch die Sirenen von Krankenwagen und Polizeifahrzeugen sollen durch wesentlich beruhigendere Melodien ersetzt werden. Ob so auch hierzulande der Verkehrslärm eingedämmt werden und eine musikalische Untermalung der Hupen etwa dem Musikgeschmack einiger Spitzenpolitiker angepasst werden könnte, erörtert die SZ.
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lto/jpw
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Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2021: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46219 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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