Vor dem EuGH wird wieder über die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung verhandelt. Gegen mehrere Landesgesetzgeber wurden Verfassungsbeschwerden eingereicht. Uber muss Fahrer:innen in den Niederlanden als Angestellte beschäftigen.
Thema des Tages
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Der Europäische Gerichtshof verhandelte darüber, ob die Vorratsdatenspeicherung, also die Erhebung und Speicherung von Telefon- und Internetdaten ohne Anlass, mit EU-Grundrechten vereinbar ist. Neben Verfahren aus Irland und Frankreich wird die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung überprüft. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zwei Verfahren der Deutschen Telekom AG und des Internetproviders SpaceNet AG dem EuGH vorgelegt. Regierungsvertreter aus 13 EU-Staaten befürworteten die Vorratsdatenspeicherung, weil sie helfe, schwere Kriminalität aufzuklären. Im irischen Verfahren geht es um die Aufklärung eines Mordfalls. Der Vertreter der deutschen Bundesnetzagentur betonte, die Speicherfristen im deutschen Gesetz seien mit zehn Wochen vergleichsweise kurz. Ein Urteil wird nicht vor Februar erwartet. Es berichten tagesschau.de (Gigi Deppe) und LTO.
Die SZ (Wolfgang Janisch) gibt einen Rückblick über die bisherige Rechtssprechung des EUGH zur Vorratsdatenspericherung. So habe der EuGH 2014 und 2016 eine sehr strikte Linie vertreten und Vorratsdatenspeicherungen faktisch generell für unzulässig erklärt. Im Oktober 2020 hatte er diese Linie bereits gelockert, als er die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zuließ, weil sie zur Aufklärung der Verbreitung von Kinderpornografie nötig ist.
In einem Kommentar prognostiziert Christian Rath (taz.de), dass der EU-Gerichtshof dem "Zombie Vorratsdatenspeicherung einen neuen Todesstoß versetzen werde". Der Autor wirft der deutschen Innenpolitik vor, dass es ihr offensichtlich nur um Symbolik gehe. "Statt das deutsche Gesetz sofort den Anforderungen und Zugeständnissen des EuGH anzupassen, wartet sie ein weiteres Jahr untätig, bis der EuGH auch das deutsche Gesetz geprüft und beanstandet hat."
Rechtspolitik
Klimaschutz und Vergabe: Laut Hbl (Klaus Stratmann) plane der Bund bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, Klimaneutralität in den Vordergrund zu rücken. Entsprechende Verwaltungsvorschriften aus dem Bundeswirtschaftsministerium wolle das Bundeskabinett am Mittwoch beschließen. Danach müsse, wer mit dem Bund ins Geschäft kommen wolle, bestimmte Klimaschutzanforderungen erfüllen. Die Verwaltungsvorschriften beruhen auf dem jüngst verschärften Klimaschutzgesetz.
Corona – Lohnfortzahlung: In NRW soll ab Mitte Oktober in der Regel keine Lohnfortzahlung im Quarantänefall mehr gezahlt werden, wenn Arbeitnehmer:innen ungeimpft sind, wie nun auch LTO schreibt. Die Regelung stoße bei Patientenschützer:innen, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden auf starke Kritik. Es handle sich laut Stiftung Patientenschutz um eine Holzhammermethode.
Justiz
BVerfG – Klimaklagen: Die Deutsche Umwelthilfe reichte gemeinsam mit 16 Jugendlichen und jungen Erwachsene Verfassungsbeschwerden gegen die Landesgesetzgeber von Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt ein. Ähnliche Verfahren laufen bereits gegen andere Bundesländer und zielen auf die Verabschiedung von Landes-Klimaschutzgesetzen. Es berichten FAZ, LTO und tagesschau.de. Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) sehe in der Klage Chancen, schneller als bisher vereinbart beim Klimaschutz voranzukommen, während sich die hessische Landesregierung über die Klage "verwundert" zeige und den Fortschritt des Bundeslands im Klimaschutz hervorhebe.
OLG Hamm zu Reiserücktritt: Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Corona-Pandemie ein zulässiger Grund für einen Reiserücktritt sei und bei Stornierung einer Klassenfahrt, der volle Preis durch den Reiseveranstalter erstattet werden müsse. Den Rückforderungsanspruch könne auch die Schulträgerin, eine Stiftung geltend machen, nicht nur die Schüler:innen. Das LG Detmold hatte letzteres in der Vorinstanz anders entschieden. Es berichten LTO und spiegel.de.
OLG München – IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Die Bundesanwaltschaft hat in dem seit April 2019 laufenden Prozess gegen die Islamistin Jennifer W. eine lebenslange Haftstrafe gefordert. Die aus Niedersachsen stammende Frau sei im Jahr 2014 in den Irak ausgewandert und habe sich dort unter anderem wegen Versklavung mit Todesfolge, der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und wegen Untätigbleibens beim Tod eines fünfjährigen Mädchens schuldig gemacht. Am 1. Oktober wird das OLG voraussichtlich entscheiden. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de.
OVG NRW zu Corona-Testpflicht in Diskotheken: Feierlaunige müssen sich in NRW weiterhin einem PCR-Test unterziehen, soweit sie nicht immunisiert sind. Das entschied das OVG NRW und wies damit einen Eilantrag eines Hagener Diskothekenbetreibers, der Besucher mit einem Schnelltest den Einlass gewähren wollte, ab. Ein PCR-Test sei aufgrund der "alkoholbedingt enthemmten Gundstimmung", die die Wahrung eines Mindestabstands nicht möglich mache, voraussichtlich verhältnismäßig, so das Gericht. Es berichtet LTO.
LG Münster zu Berufsunfähigkeitsversicherung und Corona: In einer Urteilsanalyse auf beck.aktuell beschäftigt sich Rechtsprofessor Dirk-Carsten Günther mit der Entscheidung des LG Münster aus dem April, dass die Einstellung einer beruflichen Tätigkeit zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV—2 keine Berufsunfähigkeit herbeiführe. Wenn kein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehender Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren bestehe, gebe es keinen Anlass für einen speziellen Versicherungsschutz des Arbeitnehmers.
LG Oldenburg – Vorgesetzte von Niels Högel: Wie spiegel.de berichtet, wird Anfang 2022 am Landgericht Oldenburg ein umfangreiches Strafverfahren gegen acht Ex-Vorgesetzte und ehemalige Kollegen von Niels Högel u.A. wegen Tötung durch Unterlassen und Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen beginnen. Högel wurde 2019 wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er als Krankenpfleger Patienten mit Medikamenten zu Tode gespritzt habe. Anberaumt sind 40 Verhandlungstermine.
LG Bremen – Volksverhetzung durch Pfarrer: Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler kritisiert auf zeit.de die Entscheidung des Bremer Landgerichts im Verfahren gegen den bremischen Pfarrer Olaf Latzel, dem wegen homophober Äußerungen Volksverhetzung vorgeworfen wird, einen freikirchlichen Theologen als Gutachter zu bestellen, der ausgelebte Homosexualität bereits als Sünde bezeichnet hat. Dies sei ein Justizskandal.
VG Köln zu Räumung im Hambacher Forst: Über die Ankündigung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), das Gerichtsurteil zur rechtswidrigen Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst überprüfen lassen zu wollen, berichten nun auch LTO und bild.de. Laschet leuchte "die Entscheidung der Bauministerin, die Kommunen anzuweisen, für Brandschutz zu sorgen" nach wie vor ein.
VG Minden zu 3G-Regel im Gemeinderat: Auf LTO nimmt der Rechtsprofessor Sebastian Piecha die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden zum Eilantrag eines Gemeinderatsmitglieds unter die Lupe. Das VG hatte entschieden, dass das Land NRW für die Teilnahme von Ratsmitgliedern an Gemeinderatssitzungen die sog. 3G-Regelung nicht per Verordnung vorschreiben dürfe. Dies verstoße gegen das Recht auf freie Mandatsausübung aus § 43 Abs. 1 Gemeindeordnung NRW und es hätte wegen der Wesentlichkeitstheorie eines Parlamentsgesetzes bedurft. Der Autor macht sich anlässlich der Entscheidung Gedanken zum Spannungsfeld zwischen Staats- und Kommunalrecht und den Folgen für die Pandemiebekämpfung.
StA Osnabrück – FIU und Strafvereitelung/Razzien: In Anbetracht der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück bei der Financial Intelligence Unit (FIU) zum Verdacht der Strafvereitelung im Amt und der Durchsuchungen beim Finanz- und Justizministerium zeigt das Hbl (Jan Hildebrand) auf, wie die Aussagen der Kanzlerkandidaten Scholz und Laschet im Triell vom Sonntag aus rechtlicher Perspektive zu bewerten sind. Konrad Litschko (taz) analysiert, ob Scholz eine Mitschuld an "verschluderten Geldwäscheermittlungen" treffe.
StA Zwickau – "Hängt die Grünen": Anlässlich der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Zwickau, im Zusammenhang mit Wahlplakaten mit der Aufschrift "Hängt die Grünen" keine Ermittlungen wegen Volksverhetzung einzuleiten, setzen sich der akademische Rat Jakob Schemmel und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Leonie Steinl auf dem Verfassungsblog mit der straf- und verfassungsrechtlichen Einordnung von verhetzenden Wahlplakaten auseinander. Wie die Behörde unter Ansehung der höchstrichterlichen Anforderungen zur Auslegung von § 111 Strafgesetzbuch (StGB) und § 130 StGB zu ihrer Rechtsauffassung gelange, sei fraglich.
Recht in der Welt
Niederlande – Uber: Der Mobilitätsdienstleister Uber muss in den Niederlanden seine Fahrer:innen als Mitarbeitende anstellen, entschied das Bezirks-Gericht Amsterdam auf Klage des Gewerkschaftsbunds FNV. Das Gericht verurteilte Uber zur Zahlung von 50.000 Euro an den FNV wegen Nichteinhaltung des Tarifvertrags. So seien alle Merkmale von Arbeitsverträgen zwischen Uber und den Fahrern erfüllt. Es berichten FAZ und spiegel.de.
Irland – Datenschutz: Obwohl die Datenschutzgrundverordnung (DGSVO) seit mehr als drei Jahren in Kraft ist, seien laut Berechnung der irischen Grundrechteorganisation ICCL 98 Prozent der Datenschutzbeschwerden gegen die in Irland ansässigen Internetkonzerne, so auch Facebook und Google, ungelöst, wie netzpolitik.org (Alexander Fanta) berichtet. Die ICCL moniere, dass EU-Behörden ein zu schwaches Mitspracherecht haben, um die DSGVO durchzusetzen. Die EU-Kommission solle ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Irland und andere Länder einleiten.
USA – Apple vs. Epic Games: Der Kartellstreit zwischen den Konzernen Apple und dem Videospielhersteller Epic Games geht weiter; Epic hat gegen das am Freitag verkündete Urteil eines kalifornischen Bezirksgerichts Berufung eingelegt. Grund des Rechtsstreits war, dass Epic Games dem Unternehmen Apple vorgeworfen hatte, seine Monopolstellung auszunutzen, um von den Spiele-Entwicklern zu hohe Provisionen zu verlangen. Am Freitag entschied das Gericht, Apple müsse seine App-Store-Regeln ändern und seine Provisionsforderungen senken. Gleichzeitig wurde Epic verurteilt, an Apple mehrere Millionen Dollar an entgangenen Einnahmen zu zahlen. Es berichten SZ (Max Muth), spiegel.de und bild.de.
USA – Glyphosat-Prozesse: LTO analyisiert Verlauf und Stand der Glyphosat-Prozesse in den USA. So habe Bayer den rechtlichen Ärger, den der von Bayer übernommene Chemie- und Saatgut-Hersteller Monsanto aufgrund von Klagen wegen des Einsatzes des möglicherweise krebserregenden Pflanzenschutzmittels Glyphosat unterschätzt. Hoffnung setze Bayer nun in ein Revisionsverfahren am US-Supreme Court. Ob dieser den Antrag überhaupt annehme, sei aber noch unklar.
Juristische Ausbildung
Umweltrecht Uni Köln: Das Environmental Law Center der Universität Köln bietet den Studierenden im kommenden Semester interdisziplinäre Veranstaltungen zu umweltrechtlichen Themen an. Damit versuche es, dem steigenden Umweltbewusstsein der Jurastudierenden gerecht zu werden, so LTO (Pauline Dietrich).
Sonstiges
Betriebsrenten: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard beschäftigt sich Rechtsanwalt Michael S. Braun mit der Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes im Jahr 2018 und gibt einen historischen Überblick über die gesetzliche Regelung der betrieblichen Altersvorsorge.
Homosexualiät und Entschädigung: Laut spiegel.de hat der Bund auf Grundlage des 2017 verabschiedeten Rehabilitierungsgesetzes bis Ende August 249 Männer und Frauen finanziell entschädigt, die wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen sowohl in der BRD, als auch in der DDR strafrechtlich verfolgt wurden, ausgezahlt.
Online-Klagen: Umfragen zeigten die Hemmschwelle von Bürger:innen, Klagen bei Gericht zu erheben. Laut Hbl (Heike Anger) sollen daher vier "Digital-Talente" eine Art staatliches Legal Tech-Instrument für das Bundesjustizministerium entwickeln. Es gehe noch nicht um ein fertiges Online-Klage-Tool, sondern um die Vorbereitung der Justiz auf digitale Angebote.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mr
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 14. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 14.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46002 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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