Koalition verändert Regierungs-Entwurf für bundeseinheitliche Corona-Notbremse. SG Düsseldorf legt BVerfG die Asyl-Leistungskürzungen in Sammelunterkünften vor. VGH Bayern kontert Weimarer Corona-Masken-Beschluss.
Thema des Tages
Corona – Infektionsschutzgesetz: Die Koalition hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung für die geplante Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in zahlreichen Punkten modifiziert. Der Entwurf für ein"viertes Bevölkerungsschutzgesetz", auf das sich das Bundeskabinett vorherige Woche einigte, soll eine bundeseinheitliche Corona-Notbremse einführen, die ab einer 3-Tages-Inzidenz von 100 Fällen je 100.000 Einwohner:innen gelten wird. In einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestags präsentierten CDU/CSU und SPD nun aber einen umfangreichen Änderungsantrag, wonach die vorgesehenen Beschränkungen überwiegend milder ausfallen sollen, als von der Bundesregierung vorgeschlagen. So soll die nächtliche Ausgangssperre erst um 22 Uhr beginnen. Individueller Sport soll sogar bis 24 Uhr möglich bleiben. An dem im Entwurf vorgesehenen Beginn ab 21 Uhr waren zuvor verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden, welche LTO zusammenträgt. Außerdem sollen Schulen bereits ab einem Inzidenzwert von 165 – und nicht erst ab 200 – vom Präsenz- in den Distanzunterricht wechseln. Die Novelle zum IfSG soll zunächst nur befristet bis zum 30. Juni gelten. Am Mittwoch soll sie im Bundestag verabschiedet werden und muss am Donnerstag noch den Bundesrat passieren. FDP-Chef Christian Lindner kündigte bereits Änderungsanträge seiner Fraktion an. Es berichten die SZ (Henrike Roßbach/Angelika Slavik), die FAZ (Johannes Leuthäuser/Dietrich Creutzburg), die taz (Christian Rath), der Tsp (Georg Ismar/Francesco Schneider-Eicke) und das Hbl (Daniel Delhaes u.a.).
Reinhard Müller (FAZ) bemängelt, die Ziele der "Bundesnotbremse" seien "oft nicht klar" und die Zahlen "wirken wie gewürfelt". Eine "differenzierte und überzeugende Begründung" sei elementar, damit die Bevölkerung wirklich erreicht wird.
Im JuWissBlog beleuchtet der wissenschaftliche Mitarbeiter Leo Müller die (noch nicht von der Koalition geänderte) Regelungskonzeption des geplanten neuen § 28b IfSG, der aus rechtsstaatlicher Perspektive erhebliche Zweifel aufwerfe. Danach treten die darin vorgesehen Maßnahmen bei entsprechender Inzidenz ohne vorherige hoheitliche Feststellung in Kraft. Bürgerinnen und Bürger seien deshalb dazu angehalten, täglich das "Dashboard" des Robert-Koch-Instituts (RKI) aufzurufen, um sich dort selbst über den aktuellen Stand der Fallzahlen zu informieren.
Rechtspolitik
Mietspiegel: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant eine Reform des Mietspiegelrechts. Kommunen sollen einfacher und mit mehr Rechtssicherheit Mietspiegel anfertigen können, indem die Methodik in einer Verordnung vorgegeben wird. Die BadZ (Christian Rath) stellt das Vorhaben und die Kritik daran anhand der Bundestagsdebatte in der vorigen Woche dar. Nun berät der Rechtsausschuss über das Projekt.
Justiz
SG Düsseldorf zu Leistungskürzungen bei Asylsuchenden: Die Kürzung von Leistungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die in Sammelunterkünften leben, verletzt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und ist deshalb verfassungswidrig. Dieser Ansicht ist das Sozialgericht Düsseldorf und setzte das Verfahren zu den Leistungsbezügen eines 39-jährigen Asylbewerbers aus Sri Lanka aus, um die Frage gemäß Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und LTO. Alleinstehende Asylbewerbende erhalten derzeit 424 Euro, leben sie aber in einer Gemeinschaftsunterkunft wird dieser Betrag um 10 Prozent gekürzt, weil eine gemeinsame Haushaltsführung der Bewohner unterstellt wird.
VGH Bayern zu AG Weimar: Die umstrittene Corona-Entscheidung eines Familienrichters am Amtsgericht Weimar sei ein "ausbrechender Rechtsakt", dem keinerlei entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme, merkt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil zum Verbot einer Versammlung von Corona-Maßnahmen-Gegnern in Bayern an. Die Antragsteller hatten vor dem erstinstanzlichen Verwaltungsgericht Augsburg die Entscheidung des Weimarer Familienrichters angeführt, wonach die Lockdown-Regeln mit Kontaktverbot verfassungswidrig seien. Der Beschluss des AG Weimar wird laut LTO (Tanja Podolski) derzeit vom Oberlandesgericht Jena geprüft, wofür wiederum der Beschluss des VGH Bayern keinerlei Rechtsfolgen entfalte.
EuG zu Frontex/FragDenStaat: Die EU-Grenzpolizei Frontex darf weitaus weniger Gebühren von der bei einer Transparenzklage unterlegenen Organisation FragDenStaat verlangen, als sie ursprünglich gefordert hatte. Das entschied das Gericht der Europäischen Union und gab den Aktivist:innen damit teilweise Recht. Frontex hatte die Kosten seiner Privatanwälte und Spesen i.H.v. 23.700 Euro von FragDenStaat gefordert, nachdem Letztere eine Klage auf Offenlegung von Informationen über Frontex-Einsätze im Mittelmeer verloren hatte. Das EuG hat diese Kosten nun als teilweise "unverhältnismäßig und ungerechtfertigt" bezeichnet, berichtet netzpolitik.org (Ingo Dachwitz).
BVerfG zu Mietendeckel Berlin: Auf dem Verfassungsblog diskutiert nun auch Rechtsprofessor Thomas Ackermann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel und findet das Ergebnis "befremdlich". Das BVerfG räume dem Bundesgesetzgeber in der konkurrierenden Gesetzgebung selbst bei "demokratisch legitimen Regulierungswünschen, die er selbst nicht erfüllen kann", eine Vetoposition ein. Denn aufgrund der abstrakten Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches habe er gar keine Möglichkeit zur präzisen Mieten-Deckelung.
OVG Niedersachsen zu Abschiebung nach Griechenland: Flüchtlinge, die in Griechenland bereits als schutzberechtigt anerkannt wurden, dürfen aus Deutschland grundsätzlich nicht nach Griechenland zurückgeschoben werden. So urteilte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht und gab damit zwei aus Syrien stammenden Schwestern Recht, die sich laut SZ gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wendeten. In Griechenland bestehe die ernsthafte Gefahr, dass die Klägerinnen ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen können.
LSG BaWü zu Berufskrankheit im Profisport: Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat den Meniskusschaden eines Profi-Handballers als Berufskrankheit anerkannt, berichtet spiegel.de. Es komme nicht darauf an, dass der Handballer nur 20 Stunden pro Woche gespielt und trainiert habe.
LG Berlin verurteilt Serienvergewaltiger: Wegen sechsfacher Vergewaltigung, Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung verurteilte das Landgericht einen 30-Jährigen zu 14 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung. Damit blieb das Gericht nur knapp unter der möglichen Höchststrafe, berichten der Tsp (Kerstin Gehrke), die FAZ (Julia Schaaf), die SZ, spiegel.de und die taz. Der vom Gericht als Gefahr für die Allgemeinheit eingestufte Mann hatte im Sommer vergangenen Jahres sieben Frauen zwischen 14 und 27 Jahren im Gebiet südlich des Wannsees sexuell angegriffen.
StA München – BaFin/Deutsche Bank: Wegen des Handels mit Wirecard-Aktien hat die Finanzaufsicht BaFin gegen den Investor Alexander Schütz Strafanzeige bei der Münchener Staatsanwaltschaft gestellt. Nach eigenen Angaben muss diese nun prüfen, ob sie für die Anzeige gegen den in Wien lebenden Österreicher Schütz überhaupt zuständig ist, melden FAZ und SZ.
DSGVO-Klagen gegen Facebook: Die irische Organisation Digital Rights Ireland (DRI) ruft vom Datenleck bei Facebook betroffene Nutzer:innen aus den EU-Mitgliedstaaten zur Sammelklage gegen den amerikanischen Facebook-Konzern auf. Das IT-Sicherheitsunternehmen Hudson Rock hatte die Daten von 533 Millionen Facebook-Nutzenden vor zwei Wochen in einem Hackerforum entdeckt, was der Tech-Konzern aber herunterspielte. Mit der Klage soll nun erreicht werden, dass die Betroffenen auf Grundlage von Artikel 82 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein angemessenes Schmerzensgeld erhalten, so die FAZ (Marcus Jung).
Organisierte Kriminalität Berlin: Laut dem Lagebericht zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Berlin, den die Staatsanwaltschaft (StA) Berlin vorstellte, beschäftigen sich die Staatsanwälte heute vor allem mit Delikten wie Drogenhandel, Zwangsprostitution, Menschenhandel und bandenmäßigen Diebstählen. Während die sogenannte "Rockerkriminalität" in den letzten fünf Jahren stark zurückgegangen ist, sind Clan-Kriminalität und das neuere Phänomen der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt vermehrt in den Mittelpunkt der Ermittlungsarbeit gerückt. Wie der Tsp (Frank Bachner) und LTO (Franziska Kring) erläutern, gestalten sich die Ermittlungen in diesen Bereichen jedoch schwierig, weshalb für letztere "Wirtschaftskriminalität mit ausbeuterischem Aspekt" sogar eine neue Stelle für eine Staatsanwältin geschaffen worden ist.
Recht in der Welt
USA – Floyd-Prozess: Im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners Georg Floyd durch den inzwischen entlassenen Polizisten Derek Chauvin begannen die Abschlussplädoyers. Nach Berichten des Tsp (Juliane Schäuble), zeit.de und spiegel.de, spricht die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer Chauvin die direkte Verantwortung an Floyds Tod zu und bezeichnete die Tat als exzessive und erbarmungslose Gewalt, während die Verteidigung argumentierte, es habe sich um gerechtfertigte Gewaltanwendung während eines Polizeieinsatzes gehandelt. Die Jury zieht sich nun für ihre Beratungen zurück, wobei es hierfür keine Zeitvorgabe gibt.
Juristische Ausbildung
OVG NRW zu Examens-Korregierenden: Die Klausuren im ersten juristischen Staatsexamen müssen in Nordrhein-Westfalen von Hochschullehrer:innen korrigiert werden, Abweichungen davon sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Damit stellte das Oberverwaltungsgericht NRW die in § 14 Absatz 2 des Juristenausbildungsgesetzes (JAG NRW) enthaltene Sollvorschrift klar. Das OVG gab der klagenden Examens-Kandidatin Recht, die im Examen durchgefallen war, und ordnete die Neubewertung zweier von ihr beanstandeter Klausuren an. Das Landesjustizprüfungsamt (JPA) am Oberlandesgericht (OLG) Hamm missachte schon seit Jahren die vom JAG NRW vorgesehene Zusammensetzung des Prüfungsgremiums, weshalb das OVG das JPA nun aufforderte, den Anforderungen des JAG NRW gerecht zu werden, berichtet LTO-Karriere.
Sonstiges
Wirecard-Untersuchungsausschuss: In dieser Woche werden vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Betrugsskandal von Wirecard einige Regierungsmitglieder vernommen werden. Während bisher vor allem Behördenchefs und Mitarbeiter:innen des ehemaligen Zahlungsdienstleisters dem Ausschuss Rede und Antwort stehen mussten, werden am heutigen Dienstag unter anderem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und am Mittwoch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) befragt. Am Donnerstag wird Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und am Freitag schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aussagen, wofür das Kabinett jeweils die notwendige Aussagegenehmigung erteilte. Die SZ (Cerstin Gammelin) und der Tsp (Thorsten Mumme) berichten über den bevorstehenden "Showdown" im Ausschuss, das Hbl (F. Holtermann u.a.) gibt eine detaillierte Übersicht zu den noch offenen Fragen.
Anlässlich des baldigen Endes, zeichnet die SZ (Jan Willmroth) die Arbeit des Wirecard-Untersuchungsausschusses und dessen bisherige Auswirkungen nach. Der Abgeordnete Fabio De Masi (Linke), der dem Untersuchungsausschusses angehört, betonte gegenüber der SZ, es sei vor allem widerlegt worden, "dass ein Untersuchungsausschuss keine Konsequenzen hat".
Braunkohleausstieg: Gegen die von der deutschen Regierung dem Energieerzeuger RWE zugesagten Entschädigungen für den Braunkohleausstieg i.H.v. 2,6, Milliarden Euro haben sich nun einige der größten deutschen Kommunalversorger an die EU-Kommission gewandt und fordern diese auf, die Zahlungen im Rahmen einer beihilferechtlichen Prüfung zu stoppen. Die Entschädigungen seien sowohl aus beihilfe- wie auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht unzulässig, da sie eine Wettbewerbsverzerrung erzeugen, meinen die Kommunalversorger und sind bereit, gegebenenfalls auch durch Klage gegen die Entschädigung vorzugehen. Sollte das Beihilfeverfahren der EU-Kommission mit einer Freigabe enden, seien sowohl eine Nichtigkeits- als auch eine Konkurrentenklage denkbar, äußerte sich Anwältin Ines Zenke gegenüber dem Hbl (Jürger Flauger).
Medienöffentlichkeit bei Gericht: Zwar haben sich die Befürchtung der Justiz, die Anfertigung von Filmaufnahmen der Urteilsverkündungen an den fünf obersten Bundesgerichten könne negative Auswirkungen auf die Arbeit und Außenwirkung der Bundesgerichte haben, nicht bewahrheitet, sie hätten die Gerichtsbarkeit und Berichterstattung aber dennoch beeinflusst, erläutert Rechtsanwalt und Journalist Timo Conraths auf LTO. So seien Urteils-Texte, die vor Kameras verlesen werden, meist präziser und teilweise für Nicht-Juristen weniger verständlich, als jene, die ohne Kameras im Raum vorgetragen würden, wird BGH-Pressesprecherin Dietlind Weinland zitiiert.
Erweiterte DNA-Analyse: Mit der Neufassung des § 81e der Strafprozessordnung von Dezember 2019 dürfen molekulargenetische Untersuchungen nun auch zur Feststellung von Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie dem Alter von Verdächtigen getroffen werden. Verboten bleibt weiterhin die Ermittlung der biogeographischen Herkunft. Damit bleibe die den DNA-Spuren "innewohnenden Erkenntnismöglichkeiten" weiterhin weitgehend ungenutzt, meint Strafrichter Wolfgang Böhm in FAZ-Einspruch und erörtert, warum diese Einschränkung der Ermittlungsbehörden rechtlich nicht haltbar ist.
Geschichte der Menschenrechte: Die FAZ (Christian Hillgruber) stellt die beiden aus einem Forschungsprojekt des aus Historikerinnen und Juristen bestehenden Arbeitskreises "Menschenrechte im 20. Jahrhundert" hervorgegangenen Sammelbände "Quellen zur Geschichte der Menschenrechte" vor. Der erste Band enthält dreizehn kommentierte Texte zum Inhalt und zur Wirkungsgeschichte der Menschenrechte, während der komplementär dazu verfasste Band lebensgeschichtliche Interviews enthält, die verdeutlichen sollen, warum verschiedene Akteure sich auf die Menschenrechte berufen.
Dieselskandal: Fast sechs Jahre nach Bekanntwerden der von Volkswagen verwendeten illegalen Abschalteinrichtungen in Diesel-Motoren, ist die Aufarbeitung des VW-Dieselskandals noch lange nicht abgeschlossen. deutschlandfunk.de (Silke Hahne) gibt einen Überblick über die bisherigen Vorgänge, die juristische Aufarbeitung und die nicht zuletzt für den Abgasskandal geschaffene Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage.
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 20. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44760 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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