Das OVG Berlin-Brandenburg verlangt Klimaschutz-Sofortprogramme in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Das OLG Stuttgart verurteilte Mitglieder der Gruppe S. Das OLG Celle verurteilte den Fahrer einer gambischen Todesschwadron.
Thema des Tages
OVG Berlin-BB zu Klimaschutz-Sofortprogrammen: Die Bundesregierung muss Sofortprogramme und entsprechende Maßnahmen beschließen, um die Klimaziele in den Sektoren Verkehr und Gebäude zu erreichen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg stellte eine entsprechende Verletzung des Klimaschutzgesetzes fest. Das im Oktober 2023 von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzprogramm sei kein Sofortprogramm im Sinne von § 8 KSG. Geklagt hatten die Umweltverbände DUH und BUND. Revision wurde zugelassen. Sollte der Bundestag vor einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die von der Ampel-Koalition geplante Entschärfung des Klimaschutzgesetzes beschließen, würde die Klage der Umweltverbände in der nächsten Instanz abgewiesen. Geplant ist, dass bei Verfehlung der Sektorziele keine sektorspezifischen Sofortprogramme mehr aufgestellt werden müssen, sondern nur noch die Gesamtemissionsmenge aller Sektoren überprüft wird. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), SZ (Wolfgang Janisch u.a.), taz (Christian Rath) und LTO (Annelie Kaufmann).
Katja Gelinsky (FAZ) hält die Klimapolitik der Ampel-Koalition für ein "Trauerspiel". Es sei jedoch "sinnvoll", dass die Einhaltung der Klimaziele sektorenübergreifend kontrolliert wird. Reinhard Müller (FAZ) stellt fest, das OVG verlange nichts Unmögliches. Dennoch solle sich der Gesetzgeber "nicht in solche Korsetts zwängen", denn sie führten zu einem "Klimaregiment durch Richter". Christian Rath (taz) meint, das Urteil komme im richtigen Moment. Während die Finanzierung der Klimamaßnahmen nicht mehr gesichert sei, erinnere das OVG daran, dass Klimaschutz eine gesetzliche Verpflichtung ist. Die KSG-Novelle bezeichnet der Autor als "Volker-Wissing-Schutzgesetz".
Rechtspolitik
Abschiebung: Im Bundestag fand die erste Lesung des Regierungs-Gesetzentwurfs für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführungen statt. Der Entwurf sieht ein Maßnahmenbündel vor, u.a. die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage. Die Grünen meldeten noch Redebedarf an, berichtet die taz (Dinah Riese).
Einbürgerung: Ebenfalls in erster Lesung debattierte der Bundestag auch über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Erleichterung von Einbürgerungen. Diese soll künftig nach fünf (statt acht) Jahren legalen Aufenthalts möglich werden. Die CDU sprach von einem "Staatsangehörigkeitsentwertungsgesetz". Die Welt (Marcel Leubecher) berichtet.
Constanze von Bullion (SZ) unterstützt die Reform grundsätzlich. Sie kritisiert jedoch, dass auf Drängen der FDP nur einen Anspruch auf Einbürgerung hat, wer sein Leben selbst finanzieren kann. "Menschen, die unverschuldet Stütze beziehen, behindert sind oder alleinerziehend" dürften nicht nur als Härtefälle behandelt werden.
Schuldenbremse: Heribert Prantl (SZ) fordert in seiner Kolumne eine Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz. Er führt zahlreiche Mißstände (vom Pflegenotstand bis zu verspäteten Zügen) auf die Schuldenbremse zurück. Sie sei "verfassungsgefährliches Verfassungsrecht, weil eine Verfassung nicht dafür da ist, die Verfassung der Menschen zu ruinieren".
Datenschutzbeauftragter: Noch immer ist unklar, ob Ulrich Kelber im Bundestag als Datenschutzbeauftragter wiedergewählt wird. Sein Amtsvorgänger Peter Schaar kritisiert, für den Datenschutz wäre es ein "verheerendes Signal", wenn konstruktiv-kritische Begleiter nicht wiedergewählt würden. LTO berichtet.
Einschüchterungsklagen: Journalist:innen und Aktivist:innen sollen in der EU künftig besser gegen Klagen geschützt werden, die sie in ihrer Arbeit behindern und einschüchtern. Europaparlament und Ministerrat einigten sich auf Regeln gegen sogenannte Slapp-Klagen. So sollen Gerichte "gebeten werden", derartige Einschüchterungs-Klagen frühzeitig abzuweisen, wenn sie offensichtlich unbegründet sind. beck-aktuell berichtet.
Justiz
OLG Stuttgart zur Gruppe S.: Neun Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe S. wurden vom Oberlandesgericht Stuttgart nach 173 Verhandlungstagen wegen Gründung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die höchste Strafe erhielt der Rädelsführer Werner S. Die Gruppe hatte sich bewaffnet und plante einen Umsturz. Durch Anschläge sollte ein Bürgerkrieg ausgelöst werden. Ein Mitglied der Gruppe, das die Polizei informiert hatte, wurde freigesprochen. Es berichten FAZ (Rüdiger Soldt), SZ (Leopold Zaak), taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Julia Jüttner) und LTO.
OLG Celle zu Morden in Gambia: Der Gambier Bai Lowe wurde vom Oberlandesgericht Celle wegen zwei Morden und einem Mordversuch in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Lowe habe als Fahrer der Todesschwadron "Junglers", die im Auftrag des damaligen gambischen Diktators Yahya Jammeh am Mord an einem Journalisten und einem oppositionellen Soldaten teilgenommen. Es ist die erste Verurteilung nach dem Weltrechtsprinzip für ein Mitglied einer afrikanischen Todesschwadron. Die taz (Dominic Johnson) berichtet.
EuGH zu zweitem Asylantrag in anderem EU-Staat: Wenn Migrant:innen, die in einem EU-Staat einen Asylantrag gestellt hatten, in einen anderen EU-Staat weiterziehen und dort einen erneuten Asylantrag stellen, ist ihnen auch dort das Merkblatt für Asylantragsteller zu geben und ein persönliches Gespräch zu führen. Das entschied der Europäische Gerichtshof. Möglicherweise könnten so Informationen erlangt werden, die zur Zuständigkeit des zweiten EU-Staats für das Asylverfarhen führen. Unterbleibt die Befragung, kann dies zur Nichtigkeit der Entscheidung führen, die Migrant:innen an den Einreisestaat zu überstellen, der nach den Dublin-Regeln in der Regel für das Asylverfahren zuständig ist. Es berichtet LTO (Tanja Podolski).
BFH zu Steuerberaterprüfung und Geschlechtsdiskriminierung: Es verstößt nicht gegen das Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung, wenn bei der Steuerberaterprüfung die Angabe des Namens und nicht einer anonymen Kennziffer gefordert wird. Dies entschied der Bundesfinanzhof und lehnte die Klage einer Frau ab, die die schlechte Bewertung ihrer Prüfung auf eine Diskriminierung zurückführte. beck-aktuell berichtet.
KG Berlin – Spion im BND: Das Kammergericht hat die Anklage gegen den ehemaligen hochrangigen BND-Mitarbeiter Carsten L. zugelassen. Er soll für Russland spioniert haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Landesverrat vor. LTO (Markus Sehl) schildert ausführlich die Vorwürfe gegen L. Der Prozess soll am 13. Dezember beginnen.
LG Leipzig - Gil Ofarim: Linda Pfleger (LTO) schildert nach der Einstellung des Verfahrens gegen Gil Ofarim das "Gefühl einer herben menschlich-moralischen Ernüchterung". Völlig unklar sei nach wie vor das Motiv für Ofarims Falschbeschuldigung. Er habe im Prozess nicht wie ein Mann mit Starallüren und übertriebenem Egoismus gewirkt, auch Zeug:innen hätten ihn nicht so geschildert. Allerdings sei auch das Gericht nach Ofarims Geständnis zu versöhnlich mit dem Angeklagte umgegangen. "Es hätte bei allem Verständnis wenigstens nochmal öffentlich, geballt und mit deutlichen Worten zusammenfassen können, was Ofarim da angerichtet hat."
LG Hamburg zu Gruppenvergewaltigung: Auf bild.de (Anja Wieberneit) erklärt Kay Wantzen, der Pressesprecher des Landgerichts Hamburg, das Urteil von Dienstag, wonach von neun jungen Männern, die im Hamburger Stadtpark eine betrunkene 15-Jährige vergewaltigten, nur einer eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung erhielt. Im Jugendstrafrecht gehe es um Erziehung, nicht um Abschreckung.
AG München zu Tiefgaragenrolltor: Ein Münchenerin bekommt von ihrer Wohnungseigentümergemeinschaft keinen Schadenersatz für die Beschädigung ihres Porsche-Pkw, entschied das Amtsgericht München. Beim Ausfahren aus der Tiefgarage hatte das sich schließende Rolltor das Dach des Porsche beschädigt. Die Frau konnte nicht beweisen, dass sie beim Grün-Zeichen sofort losgefahren war und das Rolltor eine Funktionsstörung hatte. Laut Amtsgericht lag die Beweislast bei der Frau. LTO berichtet.
BVerfG-Vizepräsidentin König: Die SZ (Wolfgang Janisch) portraitiert Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht, die am Mittwoch das Urteil zum Wahlrecht verkünden musste, obwohl sie gemeinsam mit zwei anderen Richtern ein Sondervotum verfasst hatte. Der Vorgang zeige, dass die Vorsitzende eines Senats zwar dessen "Gesicht ist, aber keineswegs dessen Chefin".
Recht in der Welt
Russland - LGBT-Bewegung: Das Oberste Gericht Russlands hat auf Antrag des russischen Justizministeriums die "internationale LGBT-Bewegung" für extremistisch erklärt. Sie stachele zu religiösem und sozialem Hass auf. Wen das Urteil betrifft und was es bedeutet, ist noch unklar. tagesschau.de und taz (Inna Hartwich) berichten.
Juristische Ausbildung
Nachteilsausgleich im Staatsexamen: Die Jurastudentin Michelle Sieburg schildert auf LTO-Karriere wie der Nachteilsausgleich für beeinträchtigte Studierende im Staatsexamen funktioniert. Es gebe zum Beispeil Schreibpausen, Schreibzeitverlängerungen oder es kann eine nicht juristisch gebildete Person als Schreibhilfe zugelassen werden. Die Hilfen seien individuell, es gebe keinen abgeschlossenen Katalog. Voraussetzung sei, dass die Betroffenen nur in ihrer Darstellungsfähigkeit und nicht in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Ausgleichsberechtigt seien zB. Körperbehinderte, chronisch Kranke, aber auch Personen mit einer vorübergehenden Einschränkung wie einer Sehnenscheidenentzündung. Der Umgang mit Legasthenie sei uneinheitlich.
Sonstiges
Bündnis Sarah Wagenknecht: Rechtsprofessorin Sophie Schönberger hält die Parbeigründung des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) über einen vorgeschalteten Verein, der bereits eine Million Euro Spenden eingesammelt hat, für illegal. So würden die Beschränkungen für Parteien, insbesondere bei der Finanzierung, ausgehebelt. Der BSW-Schatzmeister entgegnet, dass man bereits als Verein die Anforderungen des Parteiengesetzes einhalte. Schönberger genügen solche Erklärungen nicht, weil sie nicht kontrollierbar seien. Die SZ (Boris Herrmann/Angelika Slavik) berichtet.
Maskenverbot in Baden-Württemberg: In Baden-Württemberg ist seit einer Änderung des Schulgesetzes 2020 die "Verhüllung des Gesichts" in der Schule verboten. Ausnahmen, etwa aus gesundheitlichen Gründen, müssten von der Schulleitung genehmigt werden. Die Regelung dient dem Kampf gegen islamische Niqabs, betrifft aber auch Corona-Schutzmasken, deren Tragen derzeit nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben ist. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 1. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53309 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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