Die StA Köln durchsucht Büros und Wohnungen in Hamburg. Holen die Cum-Ex-Ermittlungen den Wahlsieger Olaf Scholz (SPD) ein? Ein Freispruch für angeklagte VW-Manager. Hat der Rechtsstaat coronabedingt Schaden genommen?
Thema des Tages
StA Köln – Cum-Ex/Warburg-Bank: Die Staatsanwaltschaft Köln hat Räume der Hamburger Finanzverwaltung sowie Wohnräume in der Hansestadt durchsucht. Ermittelt wird laut Medienberichten gegen den Ex-SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs, den ehemaligen Hamburger SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk und die Finanzbeamtin Daniela P., die als Sachgebietsleiterin innerhalb des Hamburger Finanzamts für Großunternehmen für die Privatbank M.M. Warburg zuständig war. Die Betroffenen sollen die Privatbank M.M. Warburg begünstigt haben, die sich an strafbaren Cum-Ex-Geschäften beteiligt hatte. Das Finanzamt wollte zunächst 47 Millionen Euro hinterzogene Steuern von der Bank zurückfordern, verzichtete später aber darauf. Gegen den damaligen Hamburger Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz, der sich in dieser Zeit mehrfach mit dem Bank-Chef getroffen hatte, wird derzeit nicht ermittelt. Der Abgeordnete Kahrs, der im Auftrag der Bank auf die Politik einwirken sollte, gilt jedoch als Vertrauter von Scholz. Es berichten SZ (Peter Burghardt/Klaus Ott), FAZ (Marcus Jung, ausführlicher auf faz.net), Hbl (Martin Greive u.a.) und LTO.
In einem Kommentar erinnert Marc Widmann (zeit.de) daran, dass die Affäre um unterlassene Steuerrückzahlungsforderungen ebenso wenig beendet ist wie die Kölner Ermittlungen oder der Hamburger Untersuchungsausschuss. Dass die Durchsuchung erst nach der Wahl veranlasst wurde, bezeichnet Klaus Ott (SZ) als richtig. Anderenfalls hätte es einen "unnötigen und falschen" Eingriff in den Wahlkampf gegeben. Eine Klärung des Inhalts der Kontakte zwischen Scholz und dem Bankhaus Warburg stehe aber noch aus.
Rechtspolitik
Parität im Wahlrecht: Auch der leicht gestiegene Anteil von Frauen im neuen Parlament ändere nach Ansicht von Heike Anger (Hbl) nichts daran, dass uns "das dominierende Bild vom Bundestag als Masse dunkler Anzugträger" erhalten bleibe. "Mit Blick auf fast 52 Prozent weibliche Wahlberechtigte" mute die weibliche Unterrepräsentanz "seltsam" an. Die neue Regierung müsse daher bei der ohnehin anstehenden Reform des Wahlrechts auch unbedingt "Hirnschmalz" darauf verwenden, "wie ein verfassungskonformes Paritätsgesetz beschaffen sein muss".
Einheitliches Patentgericht: Nach Bericht von LTO hat die Bundesregierung das Übereinkommen zur Umsetzung eines einheitlichen europäischen Patentrechts vorläufig ratifiziert. Der seit 2013 betriebenen Patentreform mit der Schaffung eines Einheitspatents und eines Einheitlichen Patengerichts stehe damit nichts mehr im Wege. Das Gericht solle Mitte 2022 seine Arbeit aufnehmen und damit auch die bisherige nationale gerichtliche Zuständigkeit ablösen.
Whistleblowing: In einem Gastkommentar für die Welt erinnert Gregor Thüsing, Rechtsprofessor, daran, dass die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie am 17. Dezember abläuft. Bis dahin müsse auch geklärt werden, ob Hinweisgeber auf eine finanzielle Belohnung für Tipps hoffen dürfen. Würde dies der Fall, müssten sich die Betreffenden mit dem Vorwurf auseinandersetzen, "zur Mehrung des eigenen Vermögens" und nicht "um der guten Sache" willen gehandelt zu haben.
Handlungsfähigkeit des Staates: Rechtsprofessor Hermann Hill stellt im FAZ-Einspruch ein Innovationsprogramm vor, mit dem Deutschland "sowohl für schleichende als auch für plötzlich auftretende bzw. sich verschärfende Krisen und Katastrophen" schneller handlungsfähig werden könne. Hierfür böte die Digitalisierung hinreichende Möglichkeiten. "Agile Policymaking" etwa erlaube, den Leistungsempfang "im Rahmen der elektronischen Antragstellung differenziert und personalisiert" anzuwenden "und adaptiv je nach korrekter oder fehlerhafter Inanspruchnahme und zielgerechtem Wirkungsgrad" weiterzuentwickeln. Daneben sollten auch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz "sukzessive in das Verwaltungshandeln einzubauen" sein.
EU-Steuertransparenz: Der Rat der EU hat die Einführung "Public Country-by-Country Reporting" für Steuerzahlungen großer Unternehmen beschlossen. Vorbehaltlich der zu erwartenden Zustimmung des EU-Parlaments müssten nach der nationalen Umsetzung Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro öffentlich machen, wie viele Steuern sie auf wieviel Gewinn innerhalb jedes EU-Mitgliedstaates gezahlt haben, so die SZ (Björn Finke). Acht EU-Staaten hätten die per Mehrheitsentscheid getroffene Entscheidung kritisiert. Sie gingen von der Notwendigkeit einer einstimmigen Entscheidung aus, sodass ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof drohe.
Justiz
LG Braunschweig zu VW-Betriebsratsvergütung: Laut Urteil des Landgerichts Braunschweig ist den angeklagten früheren und aktiven VW-Personalmanagern keine pflichtwidrige Untreue zu Lasten des Unternehmens wegen der Genehmigung der außergewöhnlich hohen Vergütung des früheren Betriebsrats Bernd Osterloh vorzuwerfen. Den somit Freigesprochenen sei zugute gekommen, dass sie sich vor den fraglichen Entscheidungen ausführlich rechtlich beraten ließen, so die FAZ (Christian Müßgens). Ob die Bezahlung Osterlohs "in Ordnung" gewesen sei, habe das Gericht hingegen nicht zu beantworten. Nach der mündlichen Urteilsverkündung sei vielmehr eine gesetzgeberische Klarstellung vonnöten, ob sich die Vergütung von Betriebsräten nach deren letzten "regulären" Gehältern zu richten habe.
Dem separaten Kommentar von Christian Müßgens (FAZ) zufolge, habe die Anklage aufgrund dieser gesetzlichen Unklarheit "von vornherein unter einem schlechten Stern" gestanden. Für Max Hägler (SZ) lädt die besondere Unternehmensstruktur von VW und die dort herrschende Intransparenz zu Mauscheleien ein, dies habe auch die Diesel-Affäre bewiesen. Daher dürfe das Vorstandsressort Rechtsaufsicht keineswegs abgeschafft werden, es müsse vielmehr gestärkt werden. Daniel Zwick (Welt) hält schließlich das Urteil für "richtig", weil Gehälter "keine Schmiergelder" seien. Daneben sei auch das deutsche Modell der Mitbestimmung bestätigt worden. Dessen besondere Ausprägung bei VW habe dazu beigetragen, den Strukturwandel weg vom Verbrennungsmotor "konstruktiv" zu beschleunigen.
Corona – Rechtsschutz: Auf einer vom Berliner Anwaltsverein veranstalteten Diskussionsrunde trugen die Rechtsanwälte Niko Härting und Gerhard Strate Kritik an der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Aufarbeitung der Corona-Pandemie vor. So habe Strate die Vermutung geäußert, dass die relativ regierungsfreundlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der letzten Zeit mit der Ernennung Stephan Harbarths zum Präsidenten im Zusammenhang stünden. Härting habe dagegen eine kritiklose Übernahme von Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts durch Verwaltungsgerichte moniert. Diesen Äußerungen wurde von den Teilnehmenden der Veranstaltung zum Teil deutlich widersprochen, so der ausführliche Bericht von LTO (Markus Sehl).
BGH zur Werbung von Freiberufler:innen: Der Bundesgerichtshof hat sich grundsätzlich zur Werbung in freien Berufen geäußert. Ende Juli entschied das Gericht, dass die Werbung für eine "Kieferorthopädie" bzw. die "Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie" eines Zahnarztes, der zwar eine ausländische Zusatzqualifikation, aber eben nicht den entsprechenden Fachzahnarzttitel besitzt, unzulässig ist. Rechtsanwalt Martin W. Huff erklärt auf LTO die auch für die Anwaltschaft beachtlichen Aspekte des Urteils. So sei Vorsicht geboten bei Angaben zu Spezialisierungen oder besonderen "Zertifikaten" in der Nähe von Fachanwaltstiteln.
BAG zu Krankschreibung: Das vor drei Wochen ergangene Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum ggf. erschütterten Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird von Rechtsanwalt Alexander Birkhahn im Recht und Steuern-Teil der FAZ besprochen. Während die Arbeitgeberseite die Entscheidung als Ermutigung verstehen sollte, "künftig nicht jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung quasi als höhere Gewalt hinzunehmen", sollten sich Arbeitnehmer und -nehmerinnen bewusst sein, dass Krankschreibungen von Arbeitsgerichten künftig kritischer geprüft werden.
OVG SH zu Fehmarnbelttunnel: Das schleswig-holsteinische Oberverwaltungsgericht hat in einem unanfechtbaren, nun veröffentlichten Beschluss in der vergangenen Woche entschieden, dass für den Bau des Fehmarnbelttunnels benötigte Grundstücke vorzeitig an die Bauträger übertragen werden dürfen. Die sogenannte Besitzeinweisung sei rechtmäßig, weil noch ausstehende Prüfungen keine Bedingungen seien, deren Erfüllung von der Enteignungsbehörde zu prüfen seien. LTO berichtet.
LG München I – Dammbruch in Brasilien: Zum Auftakt des Verfahrens über die Verantwortlichkeit für einen Dammbruch in Brasilien schilderten Angehörige von Opfern des Unglücks ihre Erfahrungen. Der Chefjustiziar des beklagten TÜV Süd habe sein Beileid ausgesprochen, im Übrigen aber eine Haftung für etwaige Schäden beim Bauherrn des Damms, einem großen Bergbau-Unternehmen gesehen, berichten SZ (Sophie Scholl) und FAZ (Henning Peitsmeier). Trotz grundsätzlicher Vergleichsbereitschaft beider Parteien habe keine Einigung erzielt werden können. Die Urteilsverkündung ist für den 1. Februar terminiert.
LG Düsseldorf – Schönheits-Chirurg: Am Landgericht Düsseldorf muss sich ein Schönheitschirurg wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei Fällen verantworten. In den angeklagten Fällen waren Patientinnen nach einem als "Brazilian Butt Lift" bekannten Eingriff, bei dem körpereigenes Fett zunächst abgesaugt und dann in das Gesäß gespritzt wird, verstorben. Zum Auftakt habe die Verteidigung die zur Verhandlung stehenden Behandlungen als "lege artis" bezeichnet, schreibt die SZ (Jana Stegemann).
LG Berlin – Kannibalismus: Der Angeklagte Stefan R, dem der Mord an einem Sexpartner aus kannibalistischen Motiven vorgeworfen wird, hat im Prozess vor dem Landgericht Berlin erstmals ausgesagt. Der Sexpartner sei nach dem Sex ohne sein Zutun wegen Drogenmissbrauchs gestorben. Er habe keinen Rettungswagen gerufen, weil er nicht als Schwuler enttarnt werden wollte und weil der Mann ohnehin schon tot gewesen sei. Er habe dann in Panik die Leiche in seiner Badewanne zerteilt und die einzelnen Körperteile an verschiedenen Orten vergraben. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.
70 Jahre BVerfG: Den Reigen von Texten über Wesen und Wirken des nunmehr 70 Jahre alten Bundesverfassungsgerichts setzen tagesschau.de (Frank Bräutigam/Claudia Kornmeier) und der SWR RadioReportRecht (Gigi Deppe) mit historisch eingefärbten Beiträgen fort. spiegel.de (Rolf Lamprecht) stellt zehn "Urteile, die unser Leben verändert haben", vor. Die Liste reicht vom Lüth-Urteil 1958 bis zum 2009 verkündeten Urteil über die Vereinbarkeit des Vertrages von Lissabon mit dem Grundgesetz. netzpolitik.org (Markus Reuter) schließlich legt dar, warum das Karlsruher Gericht "für Bürgerrechtler:innen … ganz oft die letzte Hoffnung" ist.
Klimaschutzklagen: Rechtsanwalt Thomas Dünchheim gibt im Hbl-Rechtsboard einen Überblick über entschiedene und noch anhängige Klimaschutzklagen. Eine Aufgabe für die künftige Koalition werde sein, Rechtsklarheit für betroffene Unternehmen zu "schaffen im Balanceakt zwischen Industrie und Klima".
Recht in der Welt
IStGH – Afghanistan: Karim Khan, Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof, hat nach Bericht der FAZ angekündigt, die Ermittlungen seiner Behörde zu Verbrechen in Afghanistan künftig auf solche der Taliban und des örtlichen Ablegers des sogenannten IS konzentrieren zu wollen. Hierfür sprächen die begrenzten Ressourcen der Anklagebehörde sowie "Schwere, Ausmaß und anhaltender Charakter" der mutmaßlichen Verbrechen.
Spanien – Super League: Der europäische Fußball-Verband UEFA hat gegen den Richter Manuel Ruiz de Lara vom Handelsgericht Nr. 17 in Madrid einen umfangreichen Befangenheitsantrag eingereicht. Ruiz, der der UEFA jegliche Sanktionen gegen Vereine verboten hatte, die sich an der Gründung einer eigenständigen Super League beteiligten, erwecke den Anschein der Befangenheit, weil er im April einen umfangreichen Antrag von Real Madrid auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die UEFA bereits nach zwei Stunden erlassen und sich auch außerhalb des Verfahrens parteilich geäußert habe. Bisher hält sich die UEFA allerdings an die Vorgabe des Richters, keine Sanktionen gegen abtrünnige Clubs zu verhängen. Die UEFA hofft auf eine baldige Klärung der Rechtslage in ihrem Sinne durch den Europäischen Gerichtshof. Es berichten die SZ (Thomas Kistner) und LTO.
USA – R. Kelly: Ein US-Bundesgericht in New York hat den Sänger R. Kelly wegen aller neun gegen ihn erhobenen Anklagepunkte – u.a. sexuelle Ausbeutung Minderjähriger – für schuldig befunden. Das Strafmaß werde Anfang Mai verkündet, schreiben FAZ (Christiane Heil) und bild.de (Herbert Bauernebel). Kelly müsse mit bis zu 100 Jahren Freiheitsstrafe rechnen.
China/USA – Geiseldiplomatie: Nachdem das US-amerikanische Justizministerium am vergangenen Freitag seinen Auslieferungsantrag gegen die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou zurückgezogen hatte, darf sich nun auch ein US-amerikanisches Geschwisterpaar über die Aufhebung eines chinesischen Ausreiseverbotes freuen. Die Festsetzung der chinesischstämmigen Geschwister habe der Ergreifung ihres Vaters gedient, schreibt die FAZ (Friederike Böge). Bereits zuvor war zwei Kanadiern die Ausreise aus der Volksrepublik gestattet worden.
Südkorea/Japan – Entschädigung: Erstmals hat ein südkoreanisches Gericht die Liquidierung beschlagnahmter japanischer Vermögenswerte zur Erfüllung von Schadensersatzansprüchen ehemaliger Zwangsarbeiter:innen angeordnet. Die noch nicht rechtskräftige Entscheidung stelle eine neue Eskalationsstufe im schwierigen Verhältnis zwischen beiden Ländern dar und zeige den unterschiedlichen Blick auf die Besetzung Koreas durch Japan schreibt die FAZ (Patrick Welter).
Juristische Ausbildung
Seminarvortrag: Für viele Jurastudierende gehört der Seminarvortrag im Schwerpunktbereich zu den eher unangenehmen Pflichten der Ausbildung. Wie der Vortrag dennoch gelingen kann, verrät LTO-Karriere (Sabine Olschner).
Sonstiges
KI am Arbeitsplatz: Der Einsatz künstlicher Intelligenz birgt für Unternehmen weiterhin erhebliche Compliance-Risiken, schreibt Rechtsanwalt Jan Tibor Lelley im Recht und Steuern-Teil der FAZ. Zwar hätten sowohl die EU – mit dem im April präsentierten Vorschlag zur Regulierung Künstlicher Intelligenz – als auch der Bund – mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz vom Juni – Bemühungen zur Schaffung von Rechtssicherheit unternommen. Entscheidende Fragen blieben nach beiden Regelungen aber weiterhin offen, dies beginne bei der Definition von KI. Einsatzwillige Unternehmen seien gut beraten, Betriebsvereinbarungen abzuschließen und den "digitalen Kollegen fortlaufend unter menschliche Aufsicht" zu stellen, schon aus ethischen Gründen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 29. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46144 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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