Christine Lambrecht spricht über Corona-Lockerungen und steckengebliebene Gesetzesvorhaben. Der EuGH klärt Grundsätzliches zu Interpol-Fahndungen und Ermittlungs-Einstellungen und in Österreich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Bundeskanzler.
Thema des Tages
Christine Lambrecht im Interview: Im Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) spricht Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) über die Notwendigkeit der Lockerungen grundrechtseinschränkender Corona-Maßnahmen zunächst für Geimpfte und Genesene und ihre Erwartung, diese Lockerungen bei weiter sinkenden Inzidenzzahlen auch weiter betreiben zu können. Anders als bei Einschränkungen bedürfe es hier keiner bundeseinheitlichen Regelungen. Weitere Themen des ausführlichen Gespräches betreffen die Strafbarkeit von Impfpassfälschern und Impfvordränglern, das absehbare Ende des Corona-Insolvenzschutzes sowie der nicht erkennbare Fortschritt bei Gesetzesvorhaben wie den Unternehmenssanktionen und der Frauenquote in Führungspositionen. Die Ministerin macht hierfür die Union verantwortlich.
Rechtspolitik
Anleitung zum Kindesmissbrauch: Wie geplant, hat das Regierungskabinett am Mittwoch eine Formulierungshilfe zur Einführung eines neuen § 176e Strafgesetzbuch beschlossen. Die Norm soll die Verbreitung und den Besitz von Schriften unter Strafe stellen, in denen anleitende Hinweise zum sexuellen Missbrauch von Kindern enthalten sind. taz.de (Christian Rath) berichtet.
Rechtsanwalt Andre Bohn (Lawblog) stellt die bei Verschärfungen im Sexualstrafrecht gängige Begründung einer angeblichen Zunahme entsprechender Fälle in Frage. Ob die mit § 176e StGB n.F. verbundene "extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit" zu einer Abnahme von Missbrauchsfällen führe, sei ebenfalls fraglich. Die wenig eindeutige Formulierung der Norm erschwere schließlich die Erkennbarkeit einer Strafbarkeit für den "Normalbürger".
Kabinettsbeschlüsse: Das Kabinett beschloss am Mittwoch neben der Strafbarkeit sogenannter Missbrauchs-Anleitungen auch Eckpunkte für ein "Gesetz gegen demokratiefeindliche Tendenzen", die Einführung einer strafbewehrten "verhetzenden Beleidigung" sowie eine nach dem jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erforderlich gewordene Anpassung des Klimaschutzgesetzes. LTO gibt einen Überblick.
Commercial Courts: Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten beschlossen und beim Bundestag eingebracht. zpoblog.de (Peter Bert) erinnert an bisherige Versuche, sogenannte Commercial Courts mit internationaler Ausstrahlung zu etablieren und beschreibt die Kernpunkte des jetzigen Entwurfs.
Suizidhilfe: Die Zeit (Heinrich Wefing u.a.) mutmaßt, dass die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Suizidhilfe-Urteil vom Februar 2020 ausdrücklich erwähnte Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr erreicht werde. Während etwa in der Berufsordnung für Ärzte ein Passus, nach dem die Hilfe zur Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe sei, gestrichen wurde, finde sich keine politische Mehrheit für eine gesetzliche Regelung der Suizidhilfe – obwohl die Bekämpfung kommerzieller Angebote bei der Union und vielen Grünen populär sei.
Corona – Einreise: Die Bundesregierung hat Corona-Schutzmaßnahmen für Reiserückkehrer gelockert. Nach einer am gestrigen Donnerstag in Kraft getretenen Verordnung werden Betroffene bei Vorlage eines negativen Corona-Test von der grundsätzlich weiterhin geltenden 14-tägigen Quarantänepflicht befreit, schreibt die SZ (Nico Fried).
Corona – Patentrecht: Alan Posener (zeit.de) spricht sich dagegen aus, Patentrechte für Covid-Impfstoffe auszusetzen. Gerade das "darwinsche Szenario" eines kapitalistischen Wettrennens habe die Entwicklung von Vakzinen begünstigt und angetrieben. Dem stehe ein mit Exportkontrollen unterstützter "Impfnationalismus" entgegen, der die weltweite Versorgung mit Impfstoff behindere.
Justizministerin Ba-Wü: Die FAZ (Rüdiger Soldt) stellt Marion Gentges (CDU) vor, eine Fachanwältin für Arbeitsrecht und bisherige Landtagsabgeordnete, die nun als Justizministerin in Baden-Württemberg amtiert. Ihr Haus verliere in der neuen Legislaturperiode die Zuständigkeiten für Europa und Tourismus, sei dafür aber auch für Migration und Abschiebungen zuständig. Exekutive Aufgaben seien "äußerst ungewöhnlich" für ein Justizministerium.
Justiz
EuGH zu Interpol-Fahndung: Eine Interpol-Fahndung mit sogenannter Red Notice verpflichtet Mitglieder, die ausgeschriebene Person festzunehmen und eine Auslieferung zu prüfen. Auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Wiesbaden nahm der Europäische Gerichtshof nun Stellung zur Frage, ob die Einstellung von Ermittlungen gegen die gesuchte Person nach § 153a Strafprozessordnung einen solchem Fahndungsersuchen wegen des Verbots einer Doppelbestrafung entgegensteht. Wegen des durch die Fahndung eingeschränkten Rechts auf Freizügigkeit nach Art. 21 EU-Vertrag ist dies zumindest im Schengen-Raum und in der EU der Fall, so beck-aktuell (Joachim Jahn) und Doktorand Felix Krämer im Verfassungsblog. Gleichwohl könne eine vorläufige Festnahme einen notwendigen Zwischenschritt zur erforderlichen Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen darstellen. Der vom Gericht diesbezüglich angemahnte Rechtsbehelf existiere in Deutschland nicht, dies werde sich ändern müssen. Hierauf weist die Analyse von LTO (Annelie Kaufmann) hin.
EuG zu Amazon-Steuernachzahlung: Das Gericht der Europäischen Union hat eine Anordnung der EU-Kommission aufgehoben, nach der Luxemburg vom Online-Händler Amazon rund 250 Millionen Euro Steuern nachfordern hätte sollen. Die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass die betreffende europäische Tochtergesellschaft Amazons ihre Steuerlast zu Unrecht verringert habe, so LTO über die Entscheidung.
Ein Hintergrund-Bericht im Unternehmens-Teil der FAZ (Werner Mussler/Roland Lindner) legt dar, dass Amazon seine Steuer-Praxis mittlerweile dahingehend geändert habe, dass es statt einer einzigen europäischen Tochtergesellschaft mehrere in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gebe. Auch bei diesen führten Verlustvorträge und angebliche Investitionen dazu, dass "Amazon genauso wirkungsvoll Steuern sparen" könne, wie bei der von der EU-Kommission beanstandeten Praxis sogenannter Steuervorbescheide ("Tax Rulings") in Luxemburg.
BVerfG zu Klimaschutz: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts habe in seinem jüngsten Beschluss zum Klimaschutzgesetz ein Grundrecht auf Klimaschutz "faktisch geschaffen", behauptet die FAZ (Reinhard Müller) in einer Analyse. Nach dem zitierten Rechtsprofessor Christian Calliess wirke ein solches "Grundrecht auf Freiheit vor Umweltbelastungen" auch in die Zukunft, wecke die 1994 geschaffene Staatszielbestimmung des Umweltschutzes aus seinem "verfassungsrechtlichen Dornröschenschlaf" und ließe unter Umständen auch Beschwerden von außerhalb Deutschlands zu.
BVerfG – Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Vier Zeitarbeitsfirmen haben mit Unterstützung von Branchenverbänden beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die verschärften Vorschriften für die Fleischbranche eingereicht. Sie halten u.a das Verbot der Leiharbeit, das in der Fleischbranche in drei Jahren gelten soll, für einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit, berichtet spiegel.de. Die Misstände in der Fleischbranche hätten nichts mit Zeitarbeit zu tun.
OLG Dresden – islamistischer Angriff auf Schwule: In einer Reportage schreibt die Zeit (Anne Hähnig u.a.) über den Werdegang Abdullah H.s, der wegen seines tödlichen Angriffs auf ein schwules Paar vor der Verurteilung durch das Oberlandesgericht Dresden steht. Auch nach Verbüßung seiner in einer anderen Sache verhängten Haftstrafe sei den Sicherheitsbehörden die von H. ausgehende Gefahr bewusst gewesen.
OLG Köln zu Glyphosat-Gutachten: Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln durfte das Portal "FragDenStaat" ein vom Bundesinstitut für Risikobewertung erstelltes Gutachten zu Krebsgefahren des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat veröffentlichen. Das dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstehende Institut hatte die Veröffentlichung wegen urheberrechtlicher Bedenken verhindern wollen, schreiben LTO und netzpolitik.org (Arne Semsrott). Als Berichterstattung sei die Veröffentlichung jedoch zulässig gewesen.
OLG Schleswig zu Betriebsschließungs-Versicherung: Ein Gaststättenbetreiber hat keinen Anspruch auf Ersatz des coronabedingten Ertragsausfallschadens aus einer Betriebsschließungsversicherung, berichtet spiegel.de. Weder sei das Coronavirus im Versicherungsvertrag genannt noch habe der Betrieb der Gaststätte zu einer Gefahr geführt.
Recht in der Welt
Österreich – Sebastian Kurz: Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz eröffnet. Der Regierungschef stehe im Verdacht, im Rahmen seines Auftritts als "Auskunftsperson" im Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre die Unwahrheit über seine Rolle bei der Ernennung eines Parteifreundes zum Chef einer staatlichen Holdinggesellschaft gesagt zu haben. Die Berichte von FAZ (Stephan Löwenstein), spiegel.de (Walter Mayr) und taz (Ralf Leonhard) weisen darauf hin, dass eine nun mögliche Anklage gegen den Bundeskanzler ein Novum in der österreichischen Geschichte darstellen würde.
Cathrin Kahlweit (SZ) kommentiert im Leitartikel, dass die Justiz für Kurz "nichts als ein Vehikel seiner politischen Gegner" sei. Dieser "Feldzug" der von ihm angeführten ÖVP, "ihre Missachtung von Institutionen und ihre Selbstermächtigung im Umgang mit dem Gesetz" erinnere an "Verfolgungswahn".
Türkei – Deniz Yücel: In einer der Welt (Daniel-Dylan Böhmer) vorliegenden Anklage wird dem Journalisten Deniz Yücel die "öffentliche Verunglimpfung des türkischen Staates und der türkischen Nation" vorgeworfen. Der Vorwurf stütze sich auf Artikel Yücels sowie eine schriftliche Erklärung in dem gegen ihn in Abwesenheit geführten Strafverfahren in Istanbul. Dort habe der Journalist u.a. vom türkischen Völkermord an den Armeniern gesprochen.
USA – Floyd-Prozess: Der wegen Mordes an George Floyd verurteilte frühere Polizist Derek Chauvin kann sich laut zeit.de auf eine langjährige Haftstrafe einstellen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft habe der zuständige Richter erschwerende Umstände festgestellt. Dies bedeute etwa, dass bei der im nächsten Monat geplanten Strafmaßbemessung fehlende Vorstrafen Chauvins unberücksichtigt bleiben würden. Der Strafprozess gegen frühere Kollegen des Verurteilten werde nicht wie geplant im August beginnen. Die Verschiebung solle ein faires Verfahren gewährleisten, berichtet spiegel.de. Neben dem Vorwurf der Beihilfe könnte den drei Polizisten aber weiterhin eine Anklage auf Bundesebene wegen der Missachtung verfassungsmäßiger Rechte Floyds drohen.
Ägypten – Ever Given: Vor gut zwei Monaten sorgte die unfreiwillige Blockade des Suezkanals durch das Frachtschiff "Ever Given" für weltweite Schlagzeilen. Mittlerweile wird das Schiff noch immer von der zuständigen ägyptischen Behörde festgehalten, deren beim Eigner des Frachters angemeldete Schadensersatzforderung ist zwischenzeitlich auf 600 Millionen US-Dollar reduziert worden. Einen möglichen Ausweg weist eine Schadensteilung nach den Grundsätzen der sogenannten Havarie grosse, erläutert LTO (Annelie Kaufmann). Hierbei würden auch die Händler mit Waren an Bord des havarierten Schiffs herangezogen.
Sonstiges
Lawyers for Future: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) stellt die Volljuristin Ida Westphal Ziele und Anliegen des von ihr als Vorsitzende geleiteten Vereins Lawyers for Future vor. In Anlehnung an die Fridays for Future-Bewegung solle juristische Unterstützung bei unterschiedlichen Fragestellungen im Bereich des Klimaschutzes erarbeitet und angeboten werden.
Corona – Fälschungen von Impfausweisen: Gegenüber der StZ (Christian Gottschalk) erläutert Rechtsprofessor Volker Erb, dass bei der strafbaren Ahndung der Fälschung von Impfausweisen sowohl die Urkundenfälschung nach § 267 Strafgesetzbuch als auch die eher unbekannte Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB in Frage komme, wobei Erb die Voraussetzungen der jeweiligen Tatbestandverwirklichung erläutert.
Haftungsrisiken für Manager: Nicht erst die von VW gegenüber dem früheren Chef Martin Winterkorn erhobene Schadensersatzforderung hat den Umfang von Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder unterstrichen. In einem ausführlichen Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch beschreibt Rechtsanwalt Jens König die Voraussetzungen einer derartigen Inanspruchnahme aufgrund einer aktienrechtlichen Organhaftung und führt Wege an, mit denen sich Betroffene schützen können, etwa eine "nachvollziehbare und schlüssige Dokumentation" jeglicher unternehmerischer Entscheidung.
Das Letzte zum Schluss
Undank ist der Welten Lohn: Keinerlei untertänige Dankbarkeit zeigen nach Meldung der FAZ (Hans-Christian Rößler) spanische Steuerbehörden gegenüber dem mittlerweile in Abu Dhabi lebenden, emeritierten Monarchen Juan Carlos. Der hatte nach Korruptionsvorwürfen dem Fiskus vollkommen selbstlos und freiwillig knappe viereinhalb Millionen überwiesen. Um die Herkunft des Geldes zu klären, ist nun eine Steuerprüfung eingeleitet worden.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 13. bis 14. Mai 2021: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44959 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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