Kehrt Polen mit neuer Regierung auf rechtsstaatliche Wege zurück? Wäre ein staatliches Verbot von Gender-Sprache zulässig? Andrea Tandler verständigte sich mit dem Landgericht München I auf Geständnis und mehrjährige Haftstrafe.
Thema des Tages
Polen – Regierungswechsel: Der designierte Ministerpräsident Polens, Donald Tusk, hat im Sejm das Programm der von ihm geleiteten Regierung vorgestellt. Freiheit werde nicht erreicht durch Brechen von Regeln, vielmehr durch deren Einhaltung, gibt etwa die SZ (Viktoria Großmann) die Rede wieder. Als Justizminister wurde der langjährige Ombudsmann für Bürgerrechte, Adam Bodnar, bestimmt. Die neue Regierung soll am heutigen Mittwoch von Präsident Andrzej Duda vereidigt werden.
Reinhard Veser (FAZ) macht im Leitartikel darauf aufmerksam, dass das Wahlkampfversprechen Tusks, bislang zurückgehaltene EU-Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds nach Polen zu bringen, von der Erreichung konkreter Wegmarken abhängig ist. Dass diese erreicht werden, sei angesichts der politischen Kräfteverhältnisse keineswegs ausgemacht.
Rechtspolitik
Gendern: Die Welt (Ricarda Breyton) untersucht, ob das Gendern mit Sonderzeichen in öffentlichen Institutionen verboten werden darf, wie in Bayern und Hessen geplant. In der Schule und der öffentlichen Verwaltung sei dies wohl möglich. Aufgrund von Wissenschafts- und Rundfunkfreiheit seien staatliche Sprachregelungen jedoch für diese Bereiche unzulässig.
Lobbyregister: Die EU-Kommission hat eine Gesetzesinitiative vorgestellt, nach der Mitgliedstaaten auch Lobbytätigkeiten von Lobbyist:innen zugunsten außereuropäischer Regierungen in einem Transparenzregister vermerken müssen. Das deutsche Register sehe eine derartige Pflicht bislang nicht vor, erläutert die FAZ (Thomas Gutschker).
Beschäftigtendatenschutz: Rechtsprofessor Gregor Thüsing kündigt auf beck-aktuell an, dass wohl noch vor Weihnachten ein Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gehe. Er skizziert die bisherige unübersichtliche Rechtsprechung zu § 26 BDSG, die keine Rechtssicherheit biete.
Justiz
LG München I - Andrea Tandler: Die wegen millionenschwerer Steuerhinterziehung im Zuge sogenannter Maskendeals angeklagte Unternehmerin Andrea Tandler hat sich mit dem Landgericht München I und der Staatsanwaltschaft auf eine maximale Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten geeinigt. Voraussetzung ist ein vollumfängliches Geständnis und die Begleichung von Tandlers Steuerschuld. Tandlers mitangeklagtem Geschäftspartner Darius N. stünden dreieinhalb bis vier Jahre Haft bevor, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner). Das Gericht will sein Urteil am Freitag verkünden.
Die SZ (Klaus Ott) schildert ähnliche Fälle von Steuerhinterziehung, bei denen ebenfalls mit Schein-Firmensitzen in Grünwald die dortige niedrige Gewerbesteuer ausgenutzt wurde, aber nicht ermittelt oder angeklagt werde.
EuGH zu Schufa: Die in der vergangenen Woche verkündete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur grundsätzlichen Unzulässigkeit des sogenannten Schufa-Scorings wird von Rechtsprofessorin Louisa Specht-Riemenschneider im Recht und Steuern-Teil der FAZ eingeordnet. Mitnichten sei die automatisierte Score-Wert-Bildung verboten worden, hierfür müsste vielmehr die ablehnende Kreditentscheidung "maßgeblich" auf deren Ergebnis beruhen. Darüber hinaus erlaube Art. 22 Abs. 1b der Datenschutzgrundverordnung vielfältige Regelungsspielräume nationaler Gesetzgeber, die im Bundesdatenschutzgesetz nicht ausgereizt seien.
BVerfG – Atomkraft und Klimaschutz: Mittels einer Verfassungsbeschwerde wollen vier Mitglieder der nordrhein-westfälischen Jungen Union die Bundesregierung zu einer Rücknahme des Atomausstiegs verpflichten. Die Beschwerdeführenden beziehen sich hierbei explizit auf den Klimaschutzbeschluss des Gerichts aus dem Jahr 2021. Sie machen geltend, dass die Regierung ihrer Verantwortung zum Schutz der Freiheit künftiger Generationen nur durch Neuaufnahme des Betriebs "klimafreundlicher Kernkraftwerke" gerecht werde. Dies berichtet die Welt (Kristian Frigelj).
BVerwG zu Unterhaltsvorschuss bei Mitbetreuung: In einem Urteil über den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss hat das Bundesverwaltungsgericht festgelegt, dass alleinerziehend ist, wer mehr als 60 Prozent der Betreuungsaufgaben übernimmt. Dies folge aus einer Auslegung der entsprechenden Vorschrift des Unterhaltsvorschussgesetzes und diene dem Schutz vor einer "prekären Belastung", so LTO. Eine solche drohe auch in Fällen, wenn das den Unterhalt verweigernde Elternteil Betreuungsaufgaben in einem überschaubaren Rahmen übernehme.
BFH – Grundsteuer: Auf Vorlage des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz wird sich der Bundesfinanzhof demnächst mit der Rechtmäßigkeit der jüngsten Grundsteuerreform befassen. Das FG hatte im November in zwei Eilbeschlüssen die Vollziehung von Steuerbescheiden außer Kraft gesetzt und dies mit ernstlichen Zweifeln an Rechtmäßigkeit und Verfasssungsmäßigkeit begründet. Dies berichtet die FAZ (Marlene Grunert).
OLGs Frankfurt/Stuttgart/München – Umsturzpläne/Reuß: Die Bundesanwaltschaft hat inzwischen bestätigt, dass sie 27 Mitglieder der "Gruppe Reuß" an den Oberlandesgerichten Frankfurt/M., Stuttgart sowie München angeklagt hat. Die Angeklagten, die zur Reichsbürgerszene gehörten, hätten sich auf einen "Tag X" vorbereitet, an dem das Reichstagsgebäude gestürmt und die Regierungsgewalt übernommen werden sollte. Hierzu hätten sich die Angeklagten in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Strafgesetzbuch zusammengefunden. Es berichten taz (Konrad Litschko) und LTO (Joschka Buchholz).
Reinhard Müller (FAZ) hält vor allem für "besorgniserregend", dass sich unter dem mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe auch "aktive Staatsdiener … von der Justiz bis zum Kommando Spezialkräfte" befunden haben. Das anstehende Verfahren belege, dass "auch formale Bildung und bedeutende Positionen in einem freien Wohlfahrtsstaat" nicht gegen "absurde Irrlehren und Gewalt" immunisierten.
OLG Hamburg – G20-Polizeigewalt: Nach abermaliger Prüfung hat die Hamburger Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen einen der 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg eingesetzten Polizisten erhoben. Über die Zulassung der Anklage wegen Körperverletzung befindet nun das Oberlandesgericht Hamburg, schreibt die FAZ (Julian Staib, ausführlicher auf faz.net).
KG Berlin – Spion im BND: Am heutigen Mittwoch beginnt am Berliner Kammergericht die Verhandlung gegen den BND-Mitarbeiter Carsten L. und den Geschäftsmann Arthur E., denen Landesverrat zugunsten Russlands vorgeworfen wird. Die Welt (Dirk Banse) fasst die Vorwürfe zusammen, bei einer Verurteilung droht den Angeklagten maximal eine lebenslange Haftstrafe.
LG Bonn zu Cum-Ex/Warburg-Mitarbeiter: Am Landgericht Bonn sind zwei Mitarbeiter der Warburg-Bank wegen Steuerhinterziehung bzw. Beihilfe hierzu durch Cum-Ex-Steuertricksereien verurteilt worden. Während die FAZ (Marcus Jung) darauf verweist, dass die Schuldsprüche erstmals "nicht das Spitzenpersonal, sondern normale Angestellte" der Bank betreffen und Unverständnis der Kammer wiedergibt, dass Anklagen in diesem Themenkomplex bislang immer nur die Warburg-Bank beträfen, sieht der Bericht des Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) vor allem schlechte Vorzeichen für Christian Olearius, dessen Verurteilung bevorstehen dürfte.
AG Reutlingen zu Anwalt, der Flüchtling nötigte: spiegel.de berichtet vertieft über die Verurteilung eines Anwalts, der einen von ihm vertretenen Nigerianer zu Oralverkehr nötigte. Es gebe vermutlich weitere ähnliche Taten des Anwalts, der sich zuletzt auf die Vertretung afrikanischer Asylantragsteller spezialisiert hatte.
AG Berlin-Tiergarten – Klimaprotest/Brandenburger Tor: Wegen der Farbattacke auf das Brandenburger Tor im vergangenen September hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen sechs Mitglieder der "Letzten Generation" wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung beim zuständigen Amtsgericht Tiergarten erhoben. Weitere Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Vorfall dauerten an, so LTO. Der Vorfall habe zudem eine erneute Prüfung der Generalstaatsanwaltschaft veranlasst, ob die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung einzustufen sei. Die Berliner Anklagebehörde habe zudem eine Fallstatistik bekannt gegeben. So seien 99 rechtskräftige Verurteilungen von Klima-Aktivist:innen erwirkt worden, 120 Anklagen erhoben und in mehr als 1.000 Fällen ein Strafbefehl beantragt worden. Mehr als 3.000 Ermittlungsverfahren seien aktuell in der Hauptstadt offen.
Recht in der Welt
EGMR/Russland – Krim: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt am heutigen Mittwoch über die Begründetheit einer ukrainischen Staatenbeschwerde gegen von Russland zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen infolge der Annexion der Krim 2014. Die Zulässigkeit der Beschwerde hat das Gericht bereits Ende 2020 festgestellt, erinnert LTO (Franziska Kring) in einer ausführlichen Darstellung. Nun werde darüber befunden, ob Russland wegen "effektiver Kontrolle" des Gebiets für dortige Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sei.
USA – Abtreibung in Texas: LTO berichtet Hintergründe über die Entscheidung des Supreme Courts des US-amerikanischen Bundesstaats Texas, der einer Schwangeren die Abtreibung untersagte. Das Gericht habe anerkannt, dass die Schwangerschaft angesichts der Trisomie-18-Erkrankung der Leibesfrucht "extrem kompliziert" sei. Der in Texas erforderliche Nachweis einer Risikoschwangerschaft, bei der das Leben der Mutter in Gefahr ist, sei aber nicht erbracht worden. Die Klägerin ist nun in einen anderen Bundesstaat gereist, um den Eingriff durchführen zu lassen.
Nach Ansicht von Ann-Kathrin Nezik (SZ) belegt die texanische Entscheidung die "unmenschlichen Folgen" des Grundsatzurteils des US-Supreme Courts aus dem Sommer 2022.
USA – Google Play Store: Ein Gericht in San Francisco/USA hat festgestellt, dass der Google Play Store auf Android-Betriebssystemen ein illegales Monopol darstelle. Auch die Pflichtanbindung an das Bezahlsystem von Google sei illegal. Über diesen vom Spielehersteller Epic Games errungenen Sieg schreibt u.a. die FAZ (Maximilian Sachse) in Frage-und-Antwort-Form. Ob Google infolge des Urteils Auflagen erfüllen muss, entscheide das Gericht erst im nächsten Jahr.
Guatemala – Wahlergebnis: Die Generalstaatsanwaltschaft Guatemalas hat dem Obersten Wahlgericht des Landes einen Untersuchungsbericht mit Belegen angeblicher Unregelmäßigkeiten der im Juli stattgefundenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vorgelegt. Hieraus müsse die Annulierung des gesamten Wahlprozesses folgen. Dieser Einschätzung widersprach das Gericht jedoch umgehend. Nach dem Bericht der FAZ (Tjerk Brühwiller) stellt das Manöver der Anklagebehörde einen erneuten Versuch der politischen Elite des Landes und der "mit ihr verbündeten Justiz" dar, die Ernennung des Wahlsiegers Bernardo Arevalos zum Präsidenten zu verhindern.
Japan – sexueller Übergriff in der Armee: Ein japanisches Berufungsgericht hat drei frühere Soldaten wegen eines sexuellen Übergriffs zulasten der Soldatin Rina Gonoi zu Bewährungsstrafen verurteilt. Der zweieinhalb Jahre zurückliegende Übergriff war von den Vorgesetzten der Soldatin zunächst ignoriert worden, schreibt die SZ (Thomas Hahn). Daraufhin hatte die mittlerweile aus dem Dienst ausgeschiedene Gonoi eine auch international beachtete Social-Media-Kampagne gestartet und hierdurch auch eine Reform des japanischen Sexualstrafrechts bewirkt.
Juristische Ausbildung
Verwaltungspraktikum: Die Jurastudentin Annabell Horn stellt auf LTO-Karriere mögliche Einsatzbereiche für das Praktikum in der Verwaltung vor, etwa in Staatskanzleien, dem Sozialverband VdK Deutschland e.V. und der Bundesrechtsanwaltskammer.
Sonstiges
Steuervermeidung: Eine Referatsleiterin des Bundesfinanzministeriums ist offenbar im vergangenen Juni auf einer Veranstaltung der Großkanzlei Flick Gocke Schaumburg aufgetreten und hat dort auf einen soeben beschlossenen Wegfall einer Steuervergünstigung hingewiesen. Zugleich verwies sie auf Möglichkeiten, eine dadurch entstehende höhere Steuerbelastung zu vermeiden. Das Ministerium wolle den Vorgang nun in dienstrechtlicher Hinsicht prüfen, berichten taz (Simon Poelchau) und zeit.de (Jurik Casper Iser).
Gemeinnützigkeit: Die Plattform Campact hat gegenüber mehreren Finanzämter dargelegt, dass Landesverbände des Bundes der Steuerzahler sich allgemeinpolitisch engagieren. Anders als bei linken Organisationen werde dies aber bei konservativen Verbänden akzeptiert. Auch dies zeige, dass eine Neuregelung des Gemeinnützigkeitsrechts erforderlich ist. Die SZ (Stephan Radomsky) berichtet.
Verdachtsfall JA NRW: Der nordrhein-westfälische Landesverband der AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" ist vom Verfassungsschutz des Landes als rechtsextremer Verfachtsfall eingestuft worden. Über die entsprechende Mitteilung von Innenminister Herbert Reul (CDU) berichtet LTO und verweist in diesem Zusammenhang auf vergleichbare Entscheidungen in Brandenburg und Sachsen. Am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster wehren sich sowohl der Bundesverband der AfD als auch der JA-Bundesverband gegen diese Einstufung. Die mündliche Verhandlung ist für den 27. Februar geplant.
Roman von Bernhard Schlink: "Das späte Leben", der neueste Roman von Bernhard Schlink, begleitet die letzten Wochen eines emeritierten Rechtsprofessors, dem der baldige Tod diagnostiziert wird. Wohlwollende Besprechungen bringen SZ (Nils Minkmar) und FAZ (Andreas Platthaus).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 13. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53405 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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