BMJ Buschmann legte einen Referentenentwurf zum Weisungsrecht der Justizministerien gegenüber den Staatsanwaltschaften vor. Cum-Ex-Chef-Ermittlerin Brorhilker verlässt die Justiz. BGH hebt die "nicht geringe" Menge Cannabis nicht an.
Thema des Tages
Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften: LTO (Markus Sehl) berichtet exklusiv über einen Referentenentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zur Regelung des externen Weisungsrechts der Justizministerien gegenüber den Staatsanwaltschaften. Darin bekennt sich das Bundesministerium der Justiz (BMJ) grundsätzlich zum Weisungsrecht und geht davon aus, dass eine Abschaffung des Weisungsrechts gegen Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz verstoßen würde. Es will aber in § 146 GVG erstmals gesetzliche Vorgaben für die Ausübung des Weisungrechts machen und Transparenzerfordernisse aufstellen. So sollen Weisungen nur zulässig sein "zur Verhinderung rechtswidriger Entscheidungen", "soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht" oder "im Bereich der Ermessensausübung". Justizfremde Erwägungen sollen ausdrücklich ausgeschlossen werden. Außerdem sieht der Entwurf eine Dokumentationspflicht vor, sodass Weisungen schriftlich abgesetzt und begründet werden müssten. Nur in eiligen Ausnahmefällen könnte das noch am Folgetag nachgeholt werden. Es soll also keine geheimen Weisungen geben können.
Rechtspolitik
Resilienz des BVerfG: Im Interview mit zeit.de (Heinrich Wefing) fordert der ehemalige Bundesverfassungsrichter Johannes Masing eine stärkere verfassungsrechtliche Absicherung der Unabhängigkeit des BVerfGs. Es sei ein unnötiges Risiko, dass der Gesetzgeber zentrale Fragen der Unabhängigkeit mit einer einfachen Mehrheit ändern könne. Insbesondere die Regeln der Richterwahl würden derzeit vom einfachen Recht normiert und es sei unerlässlich, sie in der Verfassung festzuschreiben. Für eine Sicherung der Arbeitsweise des BVerfG schlägt Masing vor, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu einem Zustimmungsgesetz zu machen, sodass der Bundesrat allen Änderungen zustimmen müsste.
Justiz
OStAin Anne Brorhilker: Die Kölner Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal, Anne Brorhilker, will die Staatsanwaltschaft verlassen und wird sich künftig als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation "Bürgerbewegung Finanzwende" für den Kampf gegen Finanzkriminalität einsetzen. Unter der Führung Brorhilkers wurde in Köln in rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt, wobei die Staatsanwaltschaft bundesweit als federführend bei der Aufarbeitung des Skandals galt. Brorhilker begründete die Kündigung mit ihrer Enttäuschung über das Vorgehen von Justiz und Politik bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität. Auch elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle seien derartige Steuerdelikte längst nicht gestoppt und es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Es werde nicht kontrolliert, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", so Brorhilker. Es berichten SZ (Nils Wischmeyer), FAZ (Marcus Jung), taz (Hermannus Pfeiffer), spiegel.de, beck-aktuell und LTO.
Marcus Jung (FAZ) kommentiert, dass es ein offenes Geheimnis gewesen sei, dass die Zahl der Kritiker:innen Brorhilkers in Düsseldorf rund um Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) stieg und sie an Einfluss zu verlieren drohte, wozu es nun nicht mehr kommen werde. Für ihre Überzeugung zur Bekämpfung der Finanzkriminalität gehe sie mit dem Verlust aller Pensionsansprüche ein hohes materielles Risiko ein und das verdiene Respekt. Christian Rath (BadZ) findet, dass Brorhilker ihre Vorwürfe konkretisieren sollte, immerhin sei sie selbst in Köln unantastbar gewesen und habe sich gegen NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) durchgesetzt. Gemeinsam mit Finanzwende-Chef Gerhard Schick könne sie nun in der öffentlichen Debatte viel bewegen.
BGH zu nicht geringer Cannabis-Menge: Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss festgesetzt, ab wann der Besitz einer "nicht geringen Menge" im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Konsumcannabisgesetz (KCanG) vorliegt: Wenn die Cannabismenge mindestens 7,5 Gramm des berauschenden Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, soll ein besonders schwerer Fall vorliegen. Damit bleibt der Grenzwert, der schon für § 29a Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zugrunde gelegt wurde, auch unter Beachtung der neuen Rechtslage bestehen. Damit widersetzt sich der BGH der Wertung des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung des KCanG anmerkte, dass der Grenzwert im Lichte der legalisierten Mengen künftig "deutlich höher liegen muss" als in der Vergangenheit. Es scheint unklar, wie der Grenzwert von 7,5 g THC mit dem erlaubten Besitz von 50 g Cannabis aus Eigenanbau vereinbar ist. Im konkreten Fall wurde immerhin bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass nun ein neuer Strafrahmen gilt. Es berichten beck-aktuell und LTO.
BVerfG – Christian Olearius/Tagebücher: Nachdem der Bundesgerichtshof der Süddeutschen Zeitung gestattet hatte, im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal wörtlich aus den Tagebüchern von Christian Olearius, Miteigentümer der Privatbank M.M. Warburg, zu zitieren, hat das Bundesverfassungsgericht dessen Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung nicht stattgegeben. Der BGH hatte § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten eines Strafverfahrens) nicht als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen. In seiner Beschwerde habe Olearius nicht substantiiert dargelegt, dass der BGH die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung missachtet und somit gegen das Willkürverbot verstoßen habe, so das BVerfG. Es berichten tsp.de (Jost Müller-Neuhof), FAZ (Katja Gelinsky), spiegel.de und LTO.
BVerfG – Bundestags-Wahlrecht: Die SZ (Wolfgang Janisch) und beck-aktuell (Maximilian Amos) bringen Vorberichte zu der an diesem Dienstag und Mittwoch stattfindenden Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die 2023 verabschiedete Reform des Bundestags-Wahlrechts, die eine Verkleinerung des Bundestags anstrebte. Zentrale Streitpunkte des Verfahrens sind die gestrichene Grundmandatsklausel und die Möglichkeit, dass ein Wahlkreis ohne Direktmandat bleibt.
BAG zu Kettenbefristung: Das Bundesarbeitsgericht hat die Ablehnung eines Bewerbers für eine befristete Stelle an einer bayerischen Universität bestätigt, die darauf gestützt wurde, dass im Falle einer Zusage eine unzulässige Kettenbefristung vorliege und damit eine Befristungskontrollklage durch den Bewerber drohe. Dieser hatte nämlich vorher schon befristete Stellen an der Universität gehabt und wäre mit diesem Vertrag dann insgesamt auf über acht befristete Jahre gekommen. Öffentliche Arbeitgeber müssten sich nicht offenen Auges rechtswidrig verhalten, so das BAG. beck-aktuell berichtet.
LG Heilbronn zu Raser-Unfall: Das Landgericht Heilbronn hat einen 21-Jährigen, der mit rund 100 km/h in der Heilbronner Innenstadt durch eine Tempo-40-Zone fuhr und bei einem Unfall einen 42-jährigen Mann tötete, wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren Haft verurteilt. Die Frau des toten Unfallgegners wurde bei dem Unfall schwer verletzt und die beiden Kinder leicht. Es berichten FAZ (Rüdiger Soldt), spiegel.de und zeit.de.
LG Augsburg zu Böllerwurf im Stadion: Nach einem Böllerwurf während eines Fußball-Bundesligaspiels des FC Augsburg im November 2023 hat das Landgericht Augsburg einen 28-Jährigen wegen der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt. Durch die Zündung des in Deutschland nicht zugelassenen Böllers wurden zwölf Menschen verletzt, darunter auch Kinder. Drei weitere Täter wurden wegen Beihilfe zu der Tat verurteilt und erhielten Haftstrafen auf Bewährung. Es berichten FAZ und spiegel.de.
LG München I – Silvestermord 1978: An diesem Mittwoch wird das Landgericht München I sein Urteil zum sogenannten "Silvestermord" von 1978 verkünden. Angeklagt ist ein heute 70-jähriger Brite. Er soll in der Silvesternacht 1978 in München einen Rentner, der mit Strichern verkehrte, erschlagen haben und dabei heimtückisch, aus Habgier und zur Ermöglichung einer anderen Straftat gehandelt haben. 2021 waren Ermittler bei Asservaten auf einen Fingerabdruck des Angeklagten gestoßen, nachdem es jahrzehntelang keine Anhaltspunkte gegeben hatte. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. spiegel.de berichtet.
LG München I zu "Manta Manta": Vor dem Landgericht München I haben die Produktionsfirma Constantin Film und der Drehbuchautor Stefan Cantz, der den ersten Teil des 90er-Jahre-Films "Manta Manta" geschrieben hat, einen Vergleich geschlossen. Cantz erhält danach 35.000 Euro. Er hatte geklagt, weil das Fortsetzungswerk "Manta Manta – Zwoter Teil", an dem er nicht mehr beteiligt worden war, auf der Grundidee seines Drehbuchs aufbaute. Dadurch sei ein Bearbeitungsrecht verletzt worden. Es berichten SZ (David Steinitz), Welt und beck-aktuell.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Vor dem Landgericht München I hat der einstige Leiter der konzerneigenen Wirecard-Bank, Rainer Wexeler, Vorwürfe gegen den früheren Konzernchef Markus Braun bestätigt, dass er Wirecard durch die leichtfertige Vergabe von Krediten geschadet haben soll. Braun habe hochriskante Kredite ohne Absicherung an Geschäftspartner vergeben wollen. Gesetze und Regularien seien für "den größten Boss" nicht "so von Bedeutung" gewesen. Es berichten SZ (Stephan Radomsky) und spiegel.de.
Recht in der Welt
USA – Trump/Stormy Daniels: In seinem Eröffnungsplädoyer hat der Staatsanwalt dem angeklagten Ex-Präsidenten Donald Trump eine unerlaubte Beeinflussung der Präsidentenwahl 2016 vorgeworfen. Trump habe die Unterdrückung negativer Geschichten über seine außerehelichen Affären unter anderem mit einer Pornodarstellerin durch Zahlung von Schweigegeld veranlasst und in der Folge Geschäftsunterlagen entsprechend gefälscht. Diese Vertuschung sei im Hinblick auf die Wahl vorgenommen worden, sodass "Wahlbetrug" vorliege. Es berichten spiegel.de und zeit.de.
Sonstiges
Apartheid: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lisa Wiese grenzt auf LTO den Rechtsbegriff der Apartheid gegenüber der inflationären Benutzung des Begriffs zur Beschreibung einer extremen Ungleichheit ab. Als Rechtsbegriff sei Apartheid erstmals in der Anti-Apartheidkonvention 1976 als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert und der völkerstrafrechtlichen Verfolgung unterstellt worden.
Scholz auf TikTok: Rechtsprofessor Rolf Schwartmann und Richterin Kristin Benedikt reagieren im FAZ-Einspruch auf die Behauptung des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink, dass der neu eingerichtete TikTok-Account von Olaf Scholz gegen geltendes Recht verstoße. Dies sei unter anderem deshalb nicht der Fall, weil Scholz nicht für die Verstöße von TikTok verantwortlich gemacht werden könne.
Arbeit: Rechtsprofessor Gregor Thüsing hebt in einer Kolumne auf beck-aktuell angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit die Wichtigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt hervor, die essentiell für soziale Sicherheit und sozialen Frieden sei. Sie müsse weiterhin ein zentrales Ziel der Weiterentwicklung des Arbeits-, aber auch des Sozialrechts sein.
Kant und das Grundgesetz: Anlässlich des 300. Geburtstags von Immanuel Kant am 22. April untersucht Rechtsprofessor Mathias Hong auf dem Verfassungblog die gegenseitigen Bezüge von Grundgesetz (GG) und Kants Werk. Das GG habe zwar nicht Kants Philosophie übernommen, aber es habe an ihn angeknüpft und mit der Menschenwürdegarantie habe es Selbstzweckformel, Verdinglichungsverbot und kategorische Geltung als Elemente adaptiert.
Das Letzte zum Schluss
Keine Strafe für Eigenbrauer: Im belgischen Brügge wurde ein Mann von einem Gericht vom Vorwurf Fahrens unter Alkoholeinfluss freigesprochen, obwohl er beim Autofahren zweimal mit erhöhten Blutalkoholwerten (2,1 und 1,6 Promille) aufgefallen war. Eine ärztliche Untersuchung hatte ergeben, dass der Mann unter dem extrem seltenen Eigenbrauer-Syndrom leidet, bei dem der Körper eigenständig Alkohole generiert, die die Leber schädigen und zu einer Alkoholisierung mit den typischen Symptomen führen. spiegel.de berichtet.
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LTO/tr/chr
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Die juristische Presseschau vom 23. April 2024: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54390 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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