CDU-Politiker Patrick Schnieder fordert Refom der Wahlprüfung. Die Bundesanwaltschaft hat Täter eines Kriegsverbrechens in der Ukraine identifiziert. Zwei Rechtsprofessorinnen fordern höhere Strafen, insbesondere für Sexualstraftäter.
Thema des Tages
Wahlprüfung: Für eine Neuregelung der Wahlprüfung spricht sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Patrick Schnieder in der FAZ aus. Das aktuelle Wahlprüfungsverfahren habe nach der chaotischen Bundestagswahl in Berlin seinen ersten echten Praxistest nach sieben Jahrzehnten nicht bestanden. So hätten Äußerungen im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags nahegelegt, dass es nicht allein um rechtliche, sondern auch um parteipolitische Erwägungen gegangen sei. Das zweistufige Verfahren dauere auch zu lange. Wenn die Wiederholungswahl in Berlin erst 2,5 Jahre nach dem fehlerhaften Wahlgang stattfinde, gefährde dies die Legitimation der Gesetzgebung. Schnieder schlägt daher ein einstufiges System vor, das komplett in der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts liegen sollte. Hierfür müsse das Grundgesetz geändert werden.
Rechtspolitik
Bundeswehr im Ausland/Rotes Meer: Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Beteiligung der Bundeswehr an der "Operation Prosperity Guardian", mit der die Vereinigten Staaten zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Bahrain, Kanada, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Norwegen und den Seychellen die Routen von Handelsschiffen schützen wollen, erläutern die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen Rouven Diekjobst und Vanessa Vohs im FAZ-Einspruch. Die Autor:innen plädieren für eine Grundgesetzänderung. Es sei notwendig, die Zeitenwende auch wehrverfassungsrechtlich einzukleiden. Insbesondere sollten Art. 24 II und 87a II GG an völkerrechtliche Vorgaben sowie an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden.
Wehrpflicht: Die von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ins Gespräch gebrachte Wehrpflicht nach schwedischem Modell würde eine Grundgesetzänderung erfordern, analysiert LTO (Christian Rath). Zum einen würde eine Einberufung ausgewählter Einzelner gegen die Wehrgerechtigkeit verstoßen, zum anderen seien Frauen bisher laut Artikel 12a von der Wehrpflicht ausgenommen.
Suizidhilfe: In Teilen der Ärzteschaft wachse der Wunsch nach einem gesetzlichen Rahmen für den assistierten Suizid, schreibt die FAZ (Kim Björn Becker). Wer Suizidhilfe in Anspruch nehmen wolle, finde derzeit kaum Ärzte. Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, mit der das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe aufgehoben wurde, seien Ärzte oft noch zurückhaltend, weil es keine etablierten Standards gebe.
§ 316a StGB: Sebastian Felz vom "Forum Justizgeschichte" erinnert auf beck-aktuell an die Entstehungsgeschichte des § 316a StGB, der den "Räuberischen Angriff auf Kraftfahrer" unter Strafe stellt und den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) jetzt streichen will. Das Gesetz, mit dem § 316a StGB eingeführt wurde, sei das "Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen" von 1938 gewesen, erläutert der Autor, das auf Anweisung von Hitler persönlich entstanden sei und alle Merkmale eines Unrechtsgesetzes getragen habe.
Produkthaftung: Die EU-Gremien haben sich auf eine Weiterentwicklung der EU-Produkthaftungsrichtlinie geeinigt. Diese soll jetzt auch Schäden erfassen, die durch Software entstehen. Welche Beweiserleichterungen dabei gelten, erläutert die Juristin Meret Sophie Noll vom Verbraucherzentrale Bundesverband im Interview mit der taz (Svenja Bergt).
Digitale Rechtspolitik 2023: netzpolitik.org (Anna Biselli/Daniel Leisegang u.a.) fasst digitalpolitische Vorhaben zusammen, die 2023 die Rechtspolitik beschäftigten, so zum Beispiel die so genannte Chatkontrolle, die von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, derzeit aber "auf der Kippe" stehe. Außerdem schwele nach wie vor der Konflikt zwischen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wegen der Vorratsdatenspeicherung. Zwar sei man bei der europäischen KI-Verordnung im Trilog zu einer Einigung gekommen, es stehe nun aber zu befürchten, dass dadurch der Einsatz biometrischer Gesichtserkennung europaweit etabliert werde.
Justiz
GBA – russische Kriegsverbrechen in der Ukraine: Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sind im ersten deutschen Ermittlungsverfahren zu einem konkreten Kriegsverbrechen in der Ukraine Tatverdächtige identifiziert worden. Es gehe um den Vorwurf, dass Zivilisten – darunter eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit – in dem Kiewer Vorort Hostomel von russischen Streitkräften beschossen und verletzt wurden. Die mutmaßlichen Schützen und die verantwortlichen Offiziere seien nun bekannt. spiegel.de berichtet.
Strafmaß: Die Gerichte müssten ihre Strafen insbesondere bei Sexualdelikten grundlegend überdenken, fordern die Rechtsprofessorinnen Elisa Hoven und Frauke Rostalski in der FAZ. Die beiden Juristinnen berichten über eine Studie, in der sie Richter:innen und Lai:innen verschiedene Fallvignetten vorgelegt hätten, für die fiktive Strafen festgelegt werden sollten. Dabei hätten die Lai:innen durchgehend signifikant härter gestraft, besonders deutlich seien die Unterschiede dabei im Bereich der Sexualdelikte gewesen. Ein Umdenken in der Justiz sei hier erforderlich, so die Autorinnen, denn die derzeitige Strafzumessungspraxis sei in einer Zeit entstanden, in der sexuelle Übergriffe viel zu häufig bagatellisiert wurden.
LSG NRW - Höhe des Bürgergelds: Eine Familie aus NRW klagt mithilfe einer Musterklage des Sozialverbands VdK vor dem Landessozialgericht Essen auf höheres Bürgergeld. Die Höhe des Bürgergelds sei nicht schnell genug an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden, es sei daher nicht existenzsichernd. Das Sozialgericht Düsseldorf hatte die Klage zurückgewiesen, Eine Erhöhung berge die Gefahr, "dass breite Schichten der Bevölkerung ihre Arbeit aufgeben und von Sozialleistung leben wollen". Der Fall soll bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen werden. Die SZ (Michael Schlegel) berichtet im Rahmen eines Hintergrunds zur Diskussion um die anstehende Bürgergelderhöhung um 12 Prozent.
LG Bamberg zu "Deutschland im Deep Web 3": Das LG Bamberg hat einen Studenten, der die Darknet-Plattform "Deutschland im Deep Web3" betrieb, vor Weihnachten zu einer Haftstrafe von vier Jahren und 9 Monaten verurteilt. Über die Plattform sind unter anderem Drogen verkauft worden. Die Zeit (Jens Tönnesmann) berichtet.
Fluggastklagen: Richter Thomas Melzer widmet sich in der Zeit noch einmal dem Massenphänomen der Fluggastklagen und den Versuchen der Ziviljustiz, damit fertig zu werden. Ein Problem dabei ist auch der Nachwuchsmangel in der Justiz: Die Rechtsabteilungen von Lufthansa in Frankfurt am Main oder von Flightright in Berlin lägen "dem Jungjuristen" näher als die Zivilabteilung eines märkischen Amtsgerichts, schreibt der Autor mit Bezug auf das für den Berliner Flughafen zuständige Amtsgericht Königs Wusterhausen.
Rechtsprechung 2023: beck-aktuell (Miriam Montag) setzt in einem Teil 2 den Rückblick auf wichtige Urteile des ablaufenden Jahres fort: Die medial wichtigste Entscheidung betraf danach die 2021 neu eingeführte und vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Möglichkeit nach einem rechtskräftigen Urteil einen Mordangeklagten erneut vor Gericht zu bringen. Außerdem hat sich der Bundesgerichtshof mit der Strafverfolgung Minderjähriger und der Bundesfinanzhof mit dem Solidaritätszuschlag befasst. Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wird in Berlin die Bundestagswahl von 2021 teilweise wiederholt.
BVerfG 2023: Es sei ein Jahr voller Verfahren zu zentralen Fragen des politischen Betriebs gewesen, schreibt Wolfgang Janisch (SZ) über das zu Ende gehende Jahr des Bundesverfassungsgerichts. Kritisch schaut er u.a. zurück auf die Entscheidung zur Schuldenbremse, in der das Bundesverfassungsgericht "der Politik vehement in die Parade gefahren" sei, und die Turbulenzen um die Nachfolge von Peter Müller. Janisch fragt dabei, "wodurch ein Urteil zum politischen Übergriff" werde und "wo das parteipolitische Postenzuschanzen" anfange. Es gebe dafür keine klare Trennlinie, aber es gebe die Verantwortung der Beteiligten, mahnt er.
BGH 2023: Zu den zehn wichtigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zählen laut LTO (Stefan Schmidbauer) u.a. die Urteile zu Abschalteinrichtungen bei Dieselfahrzeugen, zur Betriebsratsvergütung bei VW und zu den Verwahrkosten für abgeschleppte Autos.
Alarm im BAG: Das Bundesarbeitsgericht musste wegen eines verdächtigen Paketes, das beim Röntgen aufgefallen war, geräumt werden. Das Paket enthielt aber nur ein harmloses Weihnachtsgeschenk. LTO berichtet.
Recht in der Welt
USA - New York Times vs. OpenAI: Die New York Times verklagt den ChatGPT-Entwickler OpenAI und Microsoft. Das Blatt wirft den Firmen vor, dass sie Wissen aus Millionen Artikeln benutzt hätten, um ChatGPT zu trainieren und damit auf Kosten der New York Times ein Geschäft aufzubauen. Es sei möglich, dass eine erfolgreiche Klage viele Nachahmer in der Medienbranche finden könnte. FAZ, Hbl und spiegel.de berichten.
USA - Trump/Wahlausschluss: Der Supreme Court von Michigan hat es abgelehnt, Ex-US-Präsident Donald Trump von den Vorwahlen der Republikaner auszuschließen. Er bestätigte damit die Entscheidung eines unterinstanzlichen Gerichts. zeit.de berichtet.
Gegen den Ausschluss Trumps von den Vorwahlen in Colorado durch den Supreme Court von Colorado hat eine Organisation im Namen der Republikaner von Colorado beim US-Supreme Court Rechtsmittel eingelegt. spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Wehrpflichtige Ukrainer: Warum Deutschland nicht verpflichtet ist, in Deutschland lebende ukrainische wehrpflichtige Flüchtlinge auszuliefern, erläutert die SZ (Ronen Steinke). Denn nach Art. 4 des europäischen Auslieferungsabkommens sei eine Auslieferung wegen Delikten, die ausschließlich in der Verletzung militärischer Pflichten bestehen, ausgeschlossen. Allerdings sei Deutschland auch nicht verpflichtet, diesen Männern Asyl zu gewähren, denn die bloße Kriegsdienstverweigerung sei noch kein Asylgrund.
Seehaus-Streit in RAK München: Der Streit um die Zukunft des der RAK München gehörende Seehauses dauert an. Weil die Unterhaltskosten hoch sind und eine kostspielige Sanierung der fast 150-jährigen Villa ansteht, muss jetzt geklärt werden, wie das Gebäude künftig genutzt werden solle. Die RAK meint dabei, so berichtet LTO (Martin Huff), dass eine Fortsetzung der Nutzung weder rechtlich zulässig noch wirtschaftlich sei. Die "Seehausinitiative Münchener Rechtsanwälte" ist dagegen anderer Auffassung.
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LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 28. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 28.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53503 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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