In Berlin hat der Prozess gegen einen früheren BND-Mitarbeiter wegen Landesverrats begonnen. Die EU wird Plattformarbeit besser absichern. Das LG Düsseldorf urteilte im Prozess um den Brandangriff auf Rettungskräfte in Ratingen.
Thema des Tages
KG Berlin – Spion im BND: In Berlin hat der Prozess gegen den früheren Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes Carsten L. begonnen, dem unter anderem Landesverrat vorgeworfen wird. Er soll Staatsgeheimnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes an Russland verraten haben. Carsten L. und sein russischer Mitangeklagter Artur E. sollen im September und Oktober 2022 - nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine - geheime Unterlagen des BND an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB übergeben haben, wobei L. die Unterlagen aus dem BND herausgeschmuggelt und E. sie nach Moskau gebracht und russischen Agenten ausgehändigt haben soll. Für die Lieferungen soll Carsten L. 450.000 Euro erhalten haben, Artur E. 400.000 Euro. Die Verlesung der Anklage wurde unterbrochen, weil die Bundesanwaltschaft die Öffentlichkeit ausschließen will, soweit es um den Inhalt der übergebenen Informationen geht. Die Verteidigung bestritt deren Geheimhaltungsbedürftigkeit. Das Gericht wollte die Frage gründlich beraten und erst am heutigen Donnerstag über den Ausschluss der Öffentlichkeit entscheiden. Die Hauptverhandlung selbst ist bis in den Juli 2024 terminiert. FAZ (Markus Wehner), SZ (Christoph Koopmann), taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO (Markus Sehl) berichten.
Rechtspolitik
Plattformarbeit: Europaparlament und Ministerrat haben sich laut FAZ (Hendrik Kafsack) in der Nacht zum Mittwoch auf eine EU-Verordnung zur Plattformarbeit geeinigt. Es geht dabei um Lieferanten und Fahrer von Onlineplattformen wie Uber, Bolt oder Deliveroo, die in der EU besser vor Scheinselbständigkeit geschützt werden sollen. Künftig sollen Arbeitsverhältnisse grundsätzlich als feste Beschäftigung eingestuft werden, wenn zwei der folgenden fünf Kriterien erfüllt sind: Der Auftraggeber legt Obergrenzen für die Bezahlung fest, die Leistung wird auch elektronisch überwacht, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsstunden werden kontrolliert, die Arbeitskleidung wird vorgegeben sowie die Verteilung der Aufgaben kontrolliert. Die Mitgliedstaaten können weitere Kriterien hinzuzufügen.
In einem separaten Kommentar befürchtet Hendrik Kafsack (FAZ) dass mit der Neuregelung "die Axt an das Geschäftsmodell der Plattformen" gelegt werde. Den vermeintlich Ausgebeuteten drohe eher der (Rück-)Fall in die Arbeitslosigkeit als Mindestlohn, Weihnachtsgeld und Betriebsrat.
Künstliche Intelligenz: beck-aktuell (Tobias Freudenberg/Monika Spiekermann) hat sich mit Rechtsanwalt Axel Spies über den geplanten AI-Act unterhalten. Spies weist darauf hin, dass zwar der Ansatz, KI zu regeln, etwas für sich habe, allerdings wisse niemand, wie sich KI entwickele und wann und wie die neuen Vorschriften dann durchsetzbar sein werden.
Sascha Lobo kommentiert in seiner Kolumne auf spiegel.de ebenfalls den neuen EU-KI-Act und findet, dass auch hier wieder – wie auch schon im Datenschutzrecht – eher eine "Philosophie der Verhinderung" zum Ausdruck komme. Der Kollateralschaden der In-Grund-und-Boden-Regulierung von sinnvollen gesellschaftlichen und ökonomischen Ansätzen werde dabei in Kauf genommen.
Sanktionen: EU-Ministerrat und Europäisches Parlament haben sich auf verbindliche Mindeststrafen für den neuen Tatbestand der Sanktionsumgehung geeinigt, meldet die FAZ. Je nach Schwere der Tat, müssen Mindestgefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren verhängt werden.
Einbürgerung/Abschiebung: Die von der Bundesregierung geplanten Änderungen im Staatsangehörigkeitsgesetz sowie das Rückführungsverbesserungsgesetz werden nicht mehr in diesem Jahr im Bundestag beschlossen. Bei beiden Projekten fordern die Grünen Nachbesserungen. So soll auch dann Anspruch auf Einbürgerung bestehen, wenn jemand unverschuldet von staatlichen Leistungen abhängig ist. Der Zeitraum mit abgesenkten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz soll nicht von 18 auf 36 Monate verdoppelt werden. Die SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion) berichtet.
Fehlende Staatsanwält:innen in BaWü : Der deutsche Richterbund beklagt einen Mangel an Staatsanwält:innen in Baden-Württemberg. Aktuell stünden den dortigen Staatsanwaltschaften nur 82 Prozent des erforderlichen Personals zur Verfügung. Das heißt: es fehlten 160 Staatsanwält:innen, so der Landesverband, der laut LTO nun eine schnelle Bereitstellung der "dringend benötigten" Personalstellen seitens der Landesregierung und Justizverwaltung fordert.
Justiz
LG Düsseldorf – Brandanschlag auf Einsatzkräfte: Im Prozess um die Explosion in einem Hochhaus in Ratingen bei Düsseldorf ist der Angeklagte Frank Alfred P. wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Düsseldorfer Landgericht stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Der angeklagte 57-jährige hatte sich am 11. Mai in seiner Wohnung in Ratingen verschanzt und dann Feuerwehrleute und Polizist:innen mit Benzin übergossen, angezündet und teils schwer verletzt. Nach Einschätzung des psychiatrischen Gutachters lehne P. alles, was ihm als "die Obrigkeit" erschien, ab. "Er wollte alle Einsatzkräfte töten, weil sie den von ihm gehassten Staat repräsentierten", sagte der Vorsitzende Richter. FAZ (Reiner Burger), SZ (Christian Wernicke), spiegel.de und zeit.de berichten.
EuGH zu Schufa: Rechtsanwalt und Klägervertreter Raphael Rohrmoser analysiert und kommentiert auf LTO noch einmal die Entscheidung des EuGH zum Schufa-Scoring und setzt sich dabei auch mit einem bereits erschienen Text des Beklagtenvertreters Gregor Thüsing auseinander. Anders als jener befürchtet Rohrmoser keine weitreichenden negativen Auswirkungen der Entscheidung für Verbraucher:innen. Der EuGH gebe den Verbraucher:innen vielmehr rechtsstaatliche Mittel an die Hand, um sich gegen Entscheidungen zu wehren und gerade darin liege ein großer Sieg für den Verbraucherschutz.
EuGH - SuperLeague: Der Europäische Gerichtshof wird am 21. Dezember entscheiden, ob der europäische Fußballverband UEFA seine Wettbewerbsmacht missbraucht hat, als er gegen 12 Spitzenvereine vorging, die 2021 ankündigten, eine Super League neben der UEFA Champions League zu gründen. Die Zeit (Oliver Fritsch/Jonas Schulze Pals) stellt den Konflikt ausführlich dar. Zu Wort kommt vor allem der Lobbyist Bernd Reichart, der im Auftrag von Real Madrid und des FC Barcelona für die Super League wirbt.
BGH zu Fachanwaltsfällen: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass bei der Prüfung der praktischen Erfahrungen als Voraussetzung für einen Fachanwaltstitel bei zu ähnlichen Fällen eine Herabstufung erfolgen kann. Laut beck-aktuell hatte die zuständige Rechtsanwaltskammer im konkreten Fall von 16 eingereichten Fällen lediglich den Ausgangsfall vollständig anerkannt, weitere 15 Fälle dann aber wegen zu großer Ähnlichkeit herabgestuft.
BGH zu Cum-Ex-Steuerschulden der WestLB: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Land Nordrhein-Westfalen rund eine Milliarde Euro an Verbindlichkeiten aus dem Cum-Ex-Komplex der WestLB übernehmen muss. Lange war zwischen den beiden Nachfolgeinstituten EAA und Portigon streitig, ob mit der Übertragung des Geschäftsbereichs "Kapitalmarktgeschäft" auch die Steuerverbindlichkeiten für die Cum-Ex-Geschäfte der einstigen WestLB übergegangen waren. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.
BAG zu AU-Bescheinigung: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer nach seiner Entlassung Atteste vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen. Rechtsanwalt Michael Fuhlrott erläutert auf LTO die Entscheidung, ebenso beck-aktuell (Joachim Jahn) und spiegel.de.
BayObLG – Wirecard/Anleger: Beim Bayerischen Obersten Landesgericht gehen immer mehr Anträge zum Wirecard-Kapitalanleger-Musterverfahren ein und erhöhen die Belastung der bayerischen Justiz. Bisher seien mehr als 8.000 Anmeldungen gezählt worden, berichtet LTO. Das Verfahren könne mit dem aktuellen Personalstand des Gerichts nicht bewältigt werden, heißt es vom BayObLG, zusätzliche Richter:innen und Mitarbeiter:innen seien notwendig.
BVerwG zu Unterhaltsvorschuss bei Mitbetreuung: Auch spiegel.de und beck-aktuell berichten jetzt über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nur besteht, wenn der eigene Betreuungsanteil mindestens 60 Prozent beträgt.
LG Wuppertal – Säureangriff auf Innogy-Gründer: Vom Prozessauftakt gegen einen 35-jährigen Mann, der den früheren Finanzvorstand des Unternehmens Innogy mit Säure angegriffen haben soll, berichtet die FAZ (Reiner Burger). L. kündigte an, sich nicht einlassen zu wollen und auch seine Anwälte gaben zunächst keine Erklärung ab. Die Kammer zeigte sich überzeugt, dass L. und ein bereits verurteilter Mittäter nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag eines Mittelsmanns für den eigentlichen Auftraggeber handelten.
LG München I - Andrea Tandler: Am Freitag soll das Urteil im Steuerprozess gegen Andrea Tandler gesprochen werden. Die Angeklagte hat mit dem Gericht eine Verfahrensabsprache getroffen, nach der die zu erwartende Haftstrafe zwischen vier Jahren und drei Monaten und vier Jahren und neun Monaten betragen soll. Die SZ (Thomas Balbierer/Annette Ramelsberger) schaut in einer Seite 3-Reportage zurück auf den Prozess. Das Gericht habe früh deutlich gemacht, dass es zu einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung tendiere. Doch erst kurz vor Ende des Prozesses habe Tandler mit einem Geständnis den Weg zu einer Verständigung über das Strafmaß freigemacht.
GBA – Folter in Syrien: Weil er in Syrien Menschen gefoltert haben soll, ist in Baden-Württemberg ein Syrer im Auftrag der Bundesanwaltschaft festgenommen worden. Der Mann soll als Mitglied der Terrormiliz Hisbollah in Syrien Zivilisten misshandelt haben, ein Mensch wurde erschossen, meldet die SZ.
Recht in der Welt
USA – Abtreibungspille: Der US-Supreme Court will über den Zugang zur Abtreibungspille Mifepriston entscheiden. Die Regierung unter US-Präsident Joe Biden hatte eine Entscheidung des Supreme Courts beantragt, nachdem ein Berufungsgericht in New Orleans entschieden hatte, die Verfügbarkeit des Medikaments zu erschweren. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Streikrecht für Referendar:innen: Anfang Dezember hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auch die Beschäftigten an Gerichten zum Streik aufgefordert. Die Rechtsreferendare Tobias Vogt und Carl Cevin-Key Coste stellen im Verfassungsblog fest, dass auch Rechtsreferendar:innen streiken dürfen und selbst ein Streik im Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft verhältnismäßig wäre.
Sonstiges
Klimaprotest und Seenotrettung: Der emeritierte Rechtsprofessor Reiner Schmidt setzt sich in der FAZ kritisch mit dem vor einiger Zeit ebenfalls in der FAZ erschienenen Beitrag von zehn Strafrechtswissenschaftler:innen "Warum es falsch ist, Klimaprotest und Seenotrettung zu kriminalisieren" auseinander. Wollte man auf den Einsatz die Reaktionsmöglichkeiten, die unser Rechtsstaat zur Verfügung stellt, verzichten, weil es ja schließlich jeweils "zuallererst nur um einen Diskursbeitrag" geht, dann verabschiede man sich aus unserer Demokratie, warnt er.
In einem weiteren Beitrag in der FAZ sieht das der BGH-Richter Peter Allgayer ähnlich: Wer meine, eine demokratische Gesellschaft gebe sich nicht auf, wenn sie selbst den Rechtsbruch zuallererst als einen Diskursbeitrag begreife, solle sich der Tragweite dieser These bewusst sein.
Zukunftsfähige Anwaltskanzlei: Die Rechtsanwälte Michael Zollner und Carl Renner sowie der Softwareentwickler Philipp Rieber schreiben auf LTO über den notwendigen Wandel bei kanzleiinternen Organisationsstrukturen. Als Vorbilder böten sich erfolgreiche Digitalunternehmen und IT-Teams an.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 14. Dezember 2023: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53414 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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