Sechs Prozent Steuerzinsen sind unverhältnismäßig, entschied das BVerfG. Der BGH will heute Revisions-Beschlüsse zu den NSU-Urteilen des OLG München bekanntgeben. Ein pauschales Tanzverbot ist unverhältnismäßig, so das VG Hamburg.
Thema des Tages
BVerfG zu Steuerzinsen: Die Verzinsung von Steuernachzahlungen bzw. -erstattungen in Höhe von sechs Prozent ist für die Zeit seit 2014 verfassungswidrig, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Angesichts der Niedrigzinsphase in der Folge der Finanzkrise 2008 sei eine Verzinsung in dieser Höhe "evident realitätsfern", so das Gericht. Der Bundestag muss bis Ende Juli 2022 neue Zinssätze für Steuerzinsen beschließen, die dann rückwirkend ab 2019 gelten. Das Bundesfinanzministerium kündigte an, die Entscheidung des Verfassungsgerichts bald umzusetzen. FAZ (Marcus Jung), SZ (Markus Zydra), taz (Christian Rath), Hbl (Laura de la Motte/Martin Greive), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und LTO berichten. Die Welt (Daniel Decker/Holger Zschäpitz) und spiegel.de (David Böcking) fassen die wichtigsten Konsequenzen aus der Entscheidung zusammen.
Marcus Jung (FAZ) sieht in einem separaten Kommentar Versäumnisse vor allem bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Er habe es Karlsruhe überlassen, die überhöhten Zinssätze außer Kraft zu setzen und für die überfällige Angleichung an die Realität zu sorgen. Für Christian Rath (taz) war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erwartbar gewesen und er fragt sich, wieso Finanzminister Scholz nicht rechtzeitig gegengesteuert hat. Bastian Brinkmann (SZ) fordert dynamische Werte im Finanzrecht, die sich der ökonomischen Realität automatisch anpassen – das wäre oft gerechter, allerdings auch komplizierter. Das schaffe die Steuerverwaltung nur, wenn sie völlig digitalisiert werde.
Der Beschluss habe nicht nur Signalwirkung für die konkret entschiedenen Nachzahlungszinsen, sondern auch in anderen Bereichen – etwa bei der steuerlichen Behandlung von Pensionsrückstellungen, schreiben die Rechtsanwälte Stephan Eilers und Magnus Bleifeld im FAZ-Einspruch. Daher sollte der Gesetzgeber nun zügig handeln und umfassend Rechtsklarheit schaffen.
Rechtspolitik
Hochwasser: Das Bundeskabinett hat, laut einer Meldung auf LTO, das Aufbauhilfegesetz 2021 beschlossen, das die Einrichtung eines Fonds für Betroffene aus den Hochwasserregionen vorsieht. Insgesamt soll der Fonds mit 30 Milliarden Euro ausgestattet werden, davon sind zwei Milliarden Euro für den Wiederaufbau der Infrastruktur vorgesehen, die allein vom Bund getragen werden sollen. Die Kosten für Wiederaufbaumaßnahmen der Länder in Höhe von 28 Milliarden würden von Bund und Ländern gemeinsam getragen.
Vergaberecht: Laut einem Bericht des Hbl (Julian Olk) appelliert das Bundeswirtschaftsministerium in einem Schreiben an die Europäische Kommission, baldmöglichst Ausnahmeregelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge in Notständen vorzusehen. "Dies würde es den öffentlichen Auftraggebern a priori ermöglichen, Aufträge (...) direkt zu vergeben", zitiert der Text aus dem Brief. Die Ausnahmen sollen nach dem Willen des BMWi streng auf einen im Voraus festgelegten Zeitraum begrenzt sein, der verlängert werden könne, wenn die Not- oder Krisensituation fortbestehe.
Insolvenzantragspflicht: Die Bundesregierung will die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die von Hochwasserschäden betroffen sind, bis Ende 2022 verlängern. Darüber informiert LTO. Die erste Lesung des entsprechenden Gesetzes soll am 25. August stattfinden.
Justiz
BGH – NSU: An diesem Donnerstag will der Bundesgerichtshof Entscheidungen über Revisionen im NSU-Prozess mitteilen. Die Beschlüsse des BGH könnten Schlusspunkt sein in einer langen Auseinandersetzung der Justiz mit der rechten Terrorzelle, schreibt die SZ (Annette Ramelsberger). Es könne allerdings auch sein, dass der BGH die Revisionen für berechtigt hält – zumindest jene von Beate Zschäpe, die als Mittäterin verurteilt worden war. Denn die Mittäter-Theorie des Oberlandesgerichts München widerspreche der langjährigen Rechtsprechung des BGH.
VG Hamburg zum coronabedingten Tanzverbot: Wie LTO meldet, hat das Verwaltungsgericht Hamburg dem Eilantrag eines Paares gegen ein Tanzverbot bei seiner Hochzeitsfeier stattgegeben. 41 von den vorgesehenen 51 Gästen seien bereits vollständig geimpft, argumentierten die Antragsteller. Deshalb gehe von der geplanten Hochzeitsfeier ein derart niedriges Infektionsrisiko aus, dass das absolute Tanzverbot nicht mehr gerechtfertigt sei, gab ihnen das Verwaltungsgericht recht.
BVerfG zum Rundfunkbeitrag: Wenig überzeugt von den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im jüngsten Beschluss zum Rundfunkbeitrag zeigt sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Jendrik Wüstenberg im JuWissBlog. Er befürchtet, dass die Fortsetzung der vom Ergebnis her gedachten "Rundfunkphilosophie" des BVerfG den Frust vieler Beitragszahler noch weiter erhöhen und das System in eine zunehmende Legitimationskrise stürzen könnte. Man hätte sich daher gewünscht, so Wüstenberg, dass das BVerfG einmal grundsätzlicher seine bisherige Rechtsprechung überdenkt und Alternativen aufzeigt.
BSG zu Kosten einer ausländischen Behandlung: Weil eine Rehabilitationsmaßnahme in den USA nicht dem bisherigen Stand der Wissenschaft entsprach, erhält eine querschnittsgelähmte Frau die entsprechenden Kosten nicht von ihrer Krankenversicherung erstattet, entschied das Bundessozialgericht laut beck-aktuell (Joachim Jahn). Die Frau hatte 2006 einen Reitunfall, 2013 begann sie eine Behandlung in einem amerikanischen Trainingszentrum. Die DAK lehnte die Übernahme der Kosten in Höhe von umgerechnet mehr als 100.000 Euro ab, auch weil hierzulande genügend adäquate Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.
StA Köln – Thomas Drach: Die Staatsanwaltschaft Köln wirft dem früheren Reemtsma-Entführer und mutmaßlichen Serienräuber Thomas Drach jetzt auch versuchten Mord vor. Im Rahmen eines Überfalles auf eine Ikea-Filliale soll Drach bei einem Schusswechsel einen Geldboten lebensgefährlich verletzt haben. Der Haftbefehl wurde entsprechend erweitert. Bisher werden ihm bereits drei Raubüberfälle auf Geldtransporter vorgeworfen, heißt es auf spiegel.de.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Wie jetzt auch spiegel.de (Jan Puhl) berichtet, hat die polnische Regierung kurz vor Fristablauf im Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission geantwortet. Allerdings sei in dem Schreiben kaum ein Einlenken zu erkennen, heißt es im Text. Zwar soll die umstrittene Disziplinarkammer keine neuen Fälle mehr annehmen, die anhängigen Verfahren jedoch liefen weiter und die Urteile seien rechtsgültig.
Sonstiges
Verbände fordern Abschiebestopp: Der Deutsche Anwaltverein (DAV), der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Pro Asyl und weitere Organisationen fordern einen sofortigen und unbefristeten Abschiebestopp nach Afghanistan. Der bisherige bloße "Entscheidungsstopp" sei rechtswidrig, kritisieren die Verbände laut LTO.
GenStA Koppers: Der Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers wird heute 60 Jahre alt und wird aus diesem Anlass von der FAZ (Markus Wehner) porträtiert. Sie ist die erste Frau in diesem Amt.
Anwalt mit Depression: Syndikusrechtsanwalt Byung Jin Park berichtet im Interview mit LTO (Franziska Krings) über sein Leben mit einer Depression und wie er die Krankheit überwunden hat.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 19. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45770 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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