Die bei den Demonstrationen gegen "Stuttgart 21" im Stuttgarter Schlossgarten ausgesprochenen Platzverweise waren rechtswidrig, entschied das VG Stuttgart. Das Gericht äußerte sich zudem sehr kritisch zum Einsatz eines Wasserwerfers.
Bei der Menschenansammlung am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten handelte es sich um eine verfassungsrechtlich geschützte Versammlung, so das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart. Die Polizei, bei deren Einsatz weit mehr als 100 Menschen durch Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke teils schwer verletzt worden waren, habe daher keine Platzverweise auf Grundlage des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg aussprechen dürfen - dem stehe die Sperrwirkung des Versammlungsrechts entgegen, so die Stuttgarter Verwaltungsrichter. Danach sind polizeiliche Maßnahmen, welche die Teilnahme an einer Versammlung beenden, rechtswidrig, solange die Versammlung nicht auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes aufgelöst worden ist. Für eine solche der friedlichen Versammlung habe es aber eben keinen Grund nach dem VersammlG gegeben.
Die ausgesprochenen Platzverweise, weitere "Vollstreckungsmaßnahmen" und insbesondere der Einsatz von Wasserwerfern seien schon aus diesem Grund rechtswidrig gewesen, urteilte die 5. Kammer des VG (Urt. v. 18.11.2015, Az. 5 K 3991/13, 5 K 1265/14, 5 K 2184/14, 5 K 2704/14, 5 K 2705/14 und 5 K 2706/14). Auch der vereinzelte Einsatz von Pyrotechnik durch die Demonstranten oder das Besprühen von Polizeibeamten mit Pfefferspray machte die Versammlung nicht zu einer unfriedlichen.
Im Übrigen bestünden "erhebliche Zweifel" an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes des Wasserwerfers, so das Gericht weiter. Insbesondere sei zweifelhaft, ob Wasserstöße als die intensivste Form des Einsatzes eines Wasserwerfers angemessen waren. Nach Angaben der Pressestelle handelte es sich bei dieser Feststellung um ein Obiter dictum. Eine Klage, die sich explizit gegen den Wasserwerfereinsatz gewandt hatte, wiesen die Richteraber ab. Es stehe nicht hinreichend fest, so das Gericht, dass der Kläger selbst in rechtlich relevanter Weise von dem Einsatz betroffen gewesen sei (Az. 5 K 2707/14).
Geklagt hatte gegen die Einsätze unter anderem der heute nahezu erblindete Dietrich Wagner, der an jenem "Schwarzen Donnerstag" nach heftigen Druckstößen aus einem Wasserwerfer gegen seinen Kopf aus den Augen blutete. Mit der Entscheidung des Gerichts steigen die Chancen der Opfer von damals auf Schadenersatz. Diesen müssen sie sich aber vor dem Landgericht erstreiten.
Mit Material von dpa
mbr/LTO-Redaktion
VG Stuttgart zum "schwarzen Donnerstag" bei Stuttgart 21: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17579 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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