Das VG Kassel hat dem Regierungspräsidium seiner Stadt noch einmal den hohen Stellenwert des Sonntagsschutzes vor Augen geführt und zwei Bewilligungen für einen Amazon-Dienstleister zur Sonntagsarbeit aufgehoben.
Reine Umsatzinteressen und mögliche geschäftliche Nachteile reichen für sich genommen nicht aus, um eine Ausnahme vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen zu begründen. Dies hat das Verwaltungsgericht (VG) Kassel am Dienstag entschieden und damit zwei Bescheide des Kasseler Regierungspräsidiums aufgehoben (Urt. v. 13.06.2017, Az. 3 K 2203/14.KS).
Beigeladen war ein Speditionsunternehmen, welches Aufträge sowohl für das Versandunternehmen Amazon Deutschland als auch für andere Unternehmen, die Produkte über dessen Internetseite verkaufen, ausführt. Es betreibt zwei Logistikzentren im hessischen Bad Hersfeld, für die man beim Kasseler Regierungspräsidium die Beschäftigung von bis zu 900 Arbeitern für die Sonntage am 14. und 21. Dezember 2014 beantragt hatte. Auf der Amazon-Website sind Bestellungen an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr möglich, Ladenöffnungszeiten gibt es naturgemäß nicht.
Das Präsidium bewilligte die Beschäftigung der Arbeitnehmer, wogegen die Arbeitnehmergewerkschaft ver.di vor dem VG Klage erhob. Die 3. Kammer des Gerichts hielt den Antrag von ver.di für begründet und hob die Bewilligungen auf.
Ausnahme von Beschäftigungsverbot nur mit gutem Grund
Zur Begründung verwiesen die Richter auf § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), wonach Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von null bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden dürfen. Ausnahmen hiervon sind nur fünf Mal im Jahr möglich und auch nur, wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens es erfordern. Diese Voraussetzung vermochten das Gericht hier aber nicht zu erkennen.
Ein Schaden, wie ihn das Gesetz fordert, könnten insbesondere Schadensersatzansprüche von Kunden, Vertragsstrafen, entgangene Aufträge sowie der Verlust von Kunden sein, führte die Kammer aus. Das Unternehmen habe aber keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, welche darauf hindeuteten.
Das Speditionsunternehmen hatte nach Meinung der Richter zu pauschal auf drohende Regressansprüche seiner Lieferanten für den Fall, dass Kundenaufträge nicht angenommen würden, verwiesen. Zudem, so die Entgegnung des Unternehmens, drohe ein langfristiger Schaden durch den dauerhaften oder teilweisen Abfluss von Kunden wegen möglicherweise verspäteter Lieferung ihrer Einkäufe.
Bloßes Umsatz- und Erwerbsinteresse genügt nicht
Letztere Behauptung disqualifizierte das Gericht bereits mit der Feststellung, dass es sich bei der Beigeladenen lediglich um einen Logistikdienstleister handele, dessen Aufgabe es nur sei, Waren auf eine Bestellung für den Amazon-Konzern oder dritte Anbieter hin versandfertig zu machen und zu versenden.
Dazu stellte es fest, dass das bloße Umsatzinteresse des Unternehmens und ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse der Kunden grundsätzlich nicht genügten, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen. Außerdem dürfe sich ein Unternehmen nicht durch Lieferversprechen einfach vom Sonntagsarbeitsverbot suspendieren können.
Im Übrigen, so das Gericht, hätte der Anstieg des Bestellvolumens auch durch eine Verteilung auf andere Logistikzentren vermieden werden können. Gerade dann genieße der Sonntagsschutz immer Vorrang. Mit ähnlicher Begründung hat auch schon das VG Augsburg in einem Beschluss in der Adventszeit 2015 ver.di Recht gegeben. Auch damals ging es um ein Sonntagsbeschäftigungsanliegen von Amazon.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es besteht noch die Möglichkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof.
mam/LTO-Redaktion
VG Kassel hebt Bewilligungen auf: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23180 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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