Seit der Volkszählung von 2011 steht fest: Deutschland hat weniger Einwohner als gedacht. Für Städte wie Hamburg und Berlin sind die Folgen schmerzhaft. In Karlsruhe rütteln sie an der Statistik.
Im Streit um die als zu ungenau kritisierte Volkszählung von 2011 hat das Bundesinnenministerium den Zensus vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verteidigt. "Aus Sicht der Bundesregierung war der Zensus 2011 erfolgreich und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden", sagte Staatssekretär Klaus Vitt am Dienstag in Karlsruhe. In einem freien Land könne die Einwohnerzahl nie ganz exakt ermittelt werden. Es sei immer nur eine Annäherung möglich. Dafür sei das beste damals verfügbare Verfahren genutzt worden.
Bei dem Zensus wurde erstmals nur ein kleinerer Teil der Bürger befragt. In erster Linie nutzten die Statistiker vorliegende Meldedaten. Dagegen klagen die Stadtstaaten Berlin und Hamburg, die sich benachteiligt sehen. Ihre Einwohnerzahlen waren deutlich nach unten korrigiert worden. Deshalb büßen sie viele Millionen Euro im Länderfinanzausgleich ein (Az. 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15).
Seit der Wiedervereinigung waren die Einwohnerzahlen immer nur fortgeschrieben worden. Der Zensus brachte nach der langen Zeit einige Überraschungen. Zentrales Ergebnis war, dass in Deutschland gut 1,5 Millionen Menschen weniger leben als angenommen. Aus Sicht der Kläger tragen die großen Städte die Hauptlast, weil die Statistiker die Meldedaten hier mit einem anderen Verfahren bereinigt haben als in den kleinen Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern.
Konsequenzen sind ungewiss
Berlin entgehen derzeit 470 bis 490 Millionen Euro pro Jahr, wie Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) vor Verhandlungsbeginn sagte. "Es fehlt an allen Ecken und Enden." Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) sprach von einer finanziellen Belastung von mehr als 100 Millionen Euro. "Es geht natürlich auch darum, dass ab sofort der Schaden nicht Jahr für Jahr größer wird."
Berlin und Hamburg beantragen, dass die Verfassungsrichter Teile der Zensus-Gesetze für unvereinbar mit dem Grundgesetz und nichtig erklären. Welche Konsequenzen das hätte, ist unklar. Ob Korrekturen möglich wären oder ob das Datengebäude in sich zusammenfallen würde, ist Spekulation. Auch die finanziellen Folgen sind unklar. Das zuständige Innenministerium will sich dazu im laufenden Verfahren nicht äußern. In jedem Fall dürfte das Urteil die Politik noch einige Jahre beschäftigen.
2021, nach zehn Jahren, steht der nächste Zensus an. Die Vorbereitungen laufen längst - nach derselben Methode. Für die Zeit danach "werden derzeit Überlegungen angestellt, wie der Zensus der Zukunft nach 2021 stärker auf Register zugreifen kann", wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt. Das Urteil werde auch hier zu berücksichtigen sein.
Weil gleich zwei Verfassungsrichter krank waren, verhandelte der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle zu sechst statt zu acht. In dieser verkleinerten Besetzung wird nun auch über das Urteil beraten. Es dürfte in einigen Monaten verkündet werden.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Verhandlung am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25209 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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